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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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wie die einzelnen Theile des Ganzen untereinander in einem richtigen Verhältnisse
stehen.

Das Liederfingen, und was demselben entspricht, der Vortrag der Etüden
und kleinen Salonpiecen durch die Jnstrnmentalvirtnvsen, hat auch auf das Pu-
blicum nicht allein dadurch, daß es seine Aufmerksamkeit zerstreut, einen ungün¬
stigen. Einfluß gehabt und wesentlich' zu der Unsitte beigetragen, daß bei diesen
Stücklein Dacapo gerufen, oder, wie beim Krämer, eine Zugabe erbeten wird.
Ja, dies ist schon in dem Maße eingerissen, daß ein Künstler oder eine Sängerin,
die nicht auf diese Weise ein Uebriges zu thun gezwungen werden, so gut als Fiasco
gemacht haben. Ueberhaupt ist es sehr zu beklagen, daß auch hier'die Beifalls¬
bezeigungen aller Art in einem solchen Maße verschwendet werden, daß eigentlich
jede verständige Norm für ein Kunsturtheil dabei abhanden gekommen-ist. Frei¬
lich ist es schon und erfreulich, wenn das Publicum sich lebhaft bei den Leistungen
der Künstler betheiligt und namentlich seine Freude über das Gelungene unmit¬
telbar zu erkennen gibt. Allein über diese Aeußerungen des Wohlwollens hinaus
soll sich doch auch ein Kunsturtheil bilden und aussprechen, und das Wechselver¬
hältniß zwischen Publicum und Künstler soll wesentlich ein bildendes sein. Da¬
von zeigen sich hier selten Spuren: das Urtheil ist meistens sehr summarisch und
in der Regel nach einer Seite hin übertrieben, oft aus schwer zu begreifenden
Ursachen; im allgemeinen zum Anerkennen geneigt. Aber jene innerliche Theil¬
nahme, welche, aufmerksam folgend, eine gelungene Einzelnheit, eine glückliche Auf¬
fassung, einen genialen Wurf, eine leuchtende Schönheit im Moment empfindet,
ebenso rasch dnrch das Verfehlte und Geschmacklose verletzt wird, und dnrch die
unwillkürliche, wenn anch leise Aeußerung seiner Stimmung in ein sympathetisches
Verhältniß zu den Ausübenden tritt, welches, diesen die höchste Spannkraft und
Befriedigung verleiht -- diese wird man hier vergebens suchen. Jene Ueber-
schwenglichkeit des Beifalls hat nun nenerdings nicht selten eine zischende Oppo¬
sition hervorgerufen, die meistens nicht dem Künstler, sondern nur deu maßlos
Klatschender gilt. Man hat sie hart getadelt, und nicht mit Unrecht, da es allerdings
sehr wünschenswert!) ist, daß das Publicum der Gewandhausconcerte sich als zu
einer Gesellschaft von gutem Ton vereinigt ansehe, mir dürfte man dann, von
der andern Seite sich erinnern, daß es auch einen Anstand des Beifalls zu be¬
obachten gibt. Zum Theil scheint jener extravagante Ton dnrch die lebhafte Be¬
theiligung der jungen Zöglinge des Konservatoriums hervorgerufen. Der Jugend
halt man lebhaften Ungestüm in Sympathien und Antipathien billig zugute, doch
wäre es nicht übel, wenn sie sich von Zeit zu Zeit daran erinnerte, daß , ihre
Stellung weder in künstlerischer noch socialer Beziehung sie schon berechtigt, das
große Wort zu führen, sondern daß sie in beiden Hinsichten meistens noch zu ler¬
nen habe, wie man sich benimmt.

Es wäre unbillig, we.um man der Direction einen Vorwurf daraus machen


wie die einzelnen Theile des Ganzen untereinander in einem richtigen Verhältnisse
stehen.

Das Liederfingen, und was demselben entspricht, der Vortrag der Etüden
und kleinen Salonpiecen durch die Jnstrnmentalvirtnvsen, hat auch auf das Pu-
blicum nicht allein dadurch, daß es seine Aufmerksamkeit zerstreut, einen ungün¬
stigen. Einfluß gehabt und wesentlich' zu der Unsitte beigetragen, daß bei diesen
Stücklein Dacapo gerufen, oder, wie beim Krämer, eine Zugabe erbeten wird.
Ja, dies ist schon in dem Maße eingerissen, daß ein Künstler oder eine Sängerin,
die nicht auf diese Weise ein Uebriges zu thun gezwungen werden, so gut als Fiasco
gemacht haben. Ueberhaupt ist es sehr zu beklagen, daß auch hier'die Beifalls¬
bezeigungen aller Art in einem solchen Maße verschwendet werden, daß eigentlich
jede verständige Norm für ein Kunsturtheil dabei abhanden gekommen-ist. Frei¬
lich ist es schon und erfreulich, wenn das Publicum sich lebhaft bei den Leistungen
der Künstler betheiligt und namentlich seine Freude über das Gelungene unmit¬
telbar zu erkennen gibt. Allein über diese Aeußerungen des Wohlwollens hinaus
soll sich doch auch ein Kunsturtheil bilden und aussprechen, und das Wechselver¬
hältniß zwischen Publicum und Künstler soll wesentlich ein bildendes sein. Da¬
von zeigen sich hier selten Spuren: das Urtheil ist meistens sehr summarisch und
in der Regel nach einer Seite hin übertrieben, oft aus schwer zu begreifenden
Ursachen; im allgemeinen zum Anerkennen geneigt. Aber jene innerliche Theil¬
nahme, welche, aufmerksam folgend, eine gelungene Einzelnheit, eine glückliche Auf¬
fassung, einen genialen Wurf, eine leuchtende Schönheit im Moment empfindet,
ebenso rasch dnrch das Verfehlte und Geschmacklose verletzt wird, und dnrch die
unwillkürliche, wenn anch leise Aeußerung seiner Stimmung in ein sympathetisches
Verhältniß zu den Ausübenden tritt, welches, diesen die höchste Spannkraft und
Befriedigung verleiht — diese wird man hier vergebens suchen. Jene Ueber-
schwenglichkeit des Beifalls hat nun nenerdings nicht selten eine zischende Oppo¬
sition hervorgerufen, die meistens nicht dem Künstler, sondern nur deu maßlos
Klatschender gilt. Man hat sie hart getadelt, und nicht mit Unrecht, da es allerdings
sehr wünschenswert!) ist, daß das Publicum der Gewandhausconcerte sich als zu
einer Gesellschaft von gutem Ton vereinigt ansehe, mir dürfte man dann, von
der andern Seite sich erinnern, daß es auch einen Anstand des Beifalls zu be¬
obachten gibt. Zum Theil scheint jener extravagante Ton dnrch die lebhafte Be¬
theiligung der jungen Zöglinge des Konservatoriums hervorgerufen. Der Jugend
halt man lebhaften Ungestüm in Sympathien und Antipathien billig zugute, doch
wäre es nicht übel, wenn sie sich von Zeit zu Zeit daran erinnerte, daß , ihre
Stellung weder in künstlerischer noch socialer Beziehung sie schon berechtigt, das
große Wort zu führen, sondern daß sie in beiden Hinsichten meistens noch zu ler¬
nen habe, wie man sich benimmt.

Es wäre unbillig, we.um man der Direction einen Vorwurf daraus machen


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[0216] wie die einzelnen Theile des Ganzen untereinander in einem richtigen Verhältnisse stehen. Das Liederfingen, und was demselben entspricht, der Vortrag der Etüden und kleinen Salonpiecen durch die Jnstrnmentalvirtnvsen, hat auch auf das Pu- blicum nicht allein dadurch, daß es seine Aufmerksamkeit zerstreut, einen ungün¬ stigen. Einfluß gehabt und wesentlich' zu der Unsitte beigetragen, daß bei diesen Stücklein Dacapo gerufen, oder, wie beim Krämer, eine Zugabe erbeten wird. Ja, dies ist schon in dem Maße eingerissen, daß ein Künstler oder eine Sängerin, die nicht auf diese Weise ein Uebriges zu thun gezwungen werden, so gut als Fiasco gemacht haben. Ueberhaupt ist es sehr zu beklagen, daß auch hier'die Beifalls¬ bezeigungen aller Art in einem solchen Maße verschwendet werden, daß eigentlich jede verständige Norm für ein Kunsturtheil dabei abhanden gekommen-ist. Frei¬ lich ist es schon und erfreulich, wenn das Publicum sich lebhaft bei den Leistungen der Künstler betheiligt und namentlich seine Freude über das Gelungene unmit¬ telbar zu erkennen gibt. Allein über diese Aeußerungen des Wohlwollens hinaus soll sich doch auch ein Kunsturtheil bilden und aussprechen, und das Wechselver¬ hältniß zwischen Publicum und Künstler soll wesentlich ein bildendes sein. Da¬ von zeigen sich hier selten Spuren: das Urtheil ist meistens sehr summarisch und in der Regel nach einer Seite hin übertrieben, oft aus schwer zu begreifenden Ursachen; im allgemeinen zum Anerkennen geneigt. Aber jene innerliche Theil¬ nahme, welche, aufmerksam folgend, eine gelungene Einzelnheit, eine glückliche Auf¬ fassung, einen genialen Wurf, eine leuchtende Schönheit im Moment empfindet, ebenso rasch dnrch das Verfehlte und Geschmacklose verletzt wird, und dnrch die unwillkürliche, wenn anch leise Aeußerung seiner Stimmung in ein sympathetisches Verhältniß zu den Ausübenden tritt, welches, diesen die höchste Spannkraft und Befriedigung verleiht — diese wird man hier vergebens suchen. Jene Ueber- schwenglichkeit des Beifalls hat nun nenerdings nicht selten eine zischende Oppo¬ sition hervorgerufen, die meistens nicht dem Künstler, sondern nur deu maßlos Klatschender gilt. Man hat sie hart getadelt, und nicht mit Unrecht, da es allerdings sehr wünschenswert!) ist, daß das Publicum der Gewandhausconcerte sich als zu einer Gesellschaft von gutem Ton vereinigt ansehe, mir dürfte man dann, von der andern Seite sich erinnern, daß es auch einen Anstand des Beifalls zu be¬ obachten gibt. Zum Theil scheint jener extravagante Ton dnrch die lebhafte Be¬ theiligung der jungen Zöglinge des Konservatoriums hervorgerufen. Der Jugend halt man lebhaften Ungestüm in Sympathien und Antipathien billig zugute, doch wäre es nicht übel, wenn sie sich von Zeit zu Zeit daran erinnerte, daß , ihre Stellung weder in künstlerischer noch socialer Beziehung sie schon berechtigt, das große Wort zu führen, sondern daß sie in beiden Hinsichten meistens noch zu ler¬ nen habe, wie man sich benimmt. Es wäre unbillig, we.um man der Direction einen Vorwurf daraus machen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/215>, abgerufen am 22.12.2024.