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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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Die Leipziger Abonnemeutconcerte im Winter
1853-54

Die Abonnemeutconcerte im Gcwandhaussaale sind der Stolz der Leipziger.
Mit Recht: nicht allein, weil sie, von der Universität abgesehen, bis jetzt so ziemlich
das Einzige waren, dessen sich Leipzig in Kunst und Wissenschaft zu rühmen hat,
sondern weil sie die Grundlage des weitverbreiteten Rufes musikalischer Nei¬
gung und Einsicht sind, dessen sich Leipzig in der That noch erfreut. Ein solches
Institut, das seit länger als einem halben Jahrhundert in anerkannter Wirksam¬
keit steht, in Ehren zu halten, seine Fortbildung nach Kräften zu fördern und die
Männer, welche in uneigennützigen Eifer für die Musik die Concert" leiten,
in ihren Bestrebungen zu unterstützen, ist eine Pflicht, nicht allein des Localpatrio-
tismus, sondern im Interesse der Kunst selbst begründet. Denn es ist wahrlich
nicht gleichgiltig, daß derselben ein Platz gesichert bleibe, wo eine zahlreiche
Reihe von jährlich.wiederkehrenden Aufführungen mit Einsicht und genügenden
Mitteln s^' geleitet werden, daß Empfänglichkeit und Verständniß des Publicums
für das Wahre und Schöne erhalten und clnsgebildet werden. Wenn irgendwo,
so ist hier eine ernste, durch keine persönliche Parteinahme befangene Kritik am
Ort, die bei aller Freude, mit welcher sie die gelungenen Leistungen eines gro߬
artigen heimischen Instituts anerkennt, sich nicht scheuet Mängel aufzudecken und
vor Gefahren zu warnen. Hören wir die Stimmen unsrer jonrnalieren Kritiker,
so können wir freilich unbesorgt sein: wir ^stehen auf der Höhe des musikalischen
Ruhms, jedes Concert flicht ein neues Blatt in die alten Lorbeerkränze; be¬
sonders versteht es sich von selbst, daß das Orchester stets Außerordentliches leistet
und dem Recensenten nnr die leichte Mühe bleibt, ans dem Programm zu con-
statiren, welche Symphonie oder Ouvertüre unübertrefflich executire worden sei.
In der That legen unsre musikalischen Tagcökritiker, die im günstigsten Fall ein¬
seitig parteiisch sind, eine so naive Unwissenheit und Urteilslosigkeit an den Tag,
daß die unfreiwillige Komik ihrer Phraseologie, wie spaßhaft sie auch mitunter
ist, doch für so wesentliche Mängel uicht ganz entschädigen kann. Wäre die


Grenzboten, II. 1864. 26
Die Leipziger Abonnemeutconcerte im Winter
1853-54

Die Abonnemeutconcerte im Gcwandhaussaale sind der Stolz der Leipziger.
Mit Recht: nicht allein, weil sie, von der Universität abgesehen, bis jetzt so ziemlich
das Einzige waren, dessen sich Leipzig in Kunst und Wissenschaft zu rühmen hat,
sondern weil sie die Grundlage des weitverbreiteten Rufes musikalischer Nei¬
gung und Einsicht sind, dessen sich Leipzig in der That noch erfreut. Ein solches
Institut, das seit länger als einem halben Jahrhundert in anerkannter Wirksam¬
keit steht, in Ehren zu halten, seine Fortbildung nach Kräften zu fördern und die
Männer, welche in uneigennützigen Eifer für die Musik die Concert« leiten,
in ihren Bestrebungen zu unterstützen, ist eine Pflicht, nicht allein des Localpatrio-
tismus, sondern im Interesse der Kunst selbst begründet. Denn es ist wahrlich
nicht gleichgiltig, daß derselben ein Platz gesichert bleibe, wo eine zahlreiche
Reihe von jährlich.wiederkehrenden Aufführungen mit Einsicht und genügenden
Mitteln s^' geleitet werden, daß Empfänglichkeit und Verständniß des Publicums
für das Wahre und Schöne erhalten und clnsgebildet werden. Wenn irgendwo,
so ist hier eine ernste, durch keine persönliche Parteinahme befangene Kritik am
Ort, die bei aller Freude, mit welcher sie die gelungenen Leistungen eines gro߬
artigen heimischen Instituts anerkennt, sich nicht scheuet Mängel aufzudecken und
vor Gefahren zu warnen. Hören wir die Stimmen unsrer jonrnalieren Kritiker,
so können wir freilich unbesorgt sein: wir ^stehen auf der Höhe des musikalischen
Ruhms, jedes Concert flicht ein neues Blatt in die alten Lorbeerkränze; be¬
sonders versteht es sich von selbst, daß das Orchester stets Außerordentliches leistet
und dem Recensenten nnr die leichte Mühe bleibt, ans dem Programm zu con-
statiren, welche Symphonie oder Ouvertüre unübertrefflich executire worden sei.
In der That legen unsre musikalischen Tagcökritiker, die im günstigsten Fall ein¬
seitig parteiisch sind, eine so naive Unwissenheit und Urteilslosigkeit an den Tag,
daß die unfreiwillige Komik ihrer Phraseologie, wie spaßhaft sie auch mitunter
ist, doch für so wesentliche Mängel uicht ganz entschädigen kann. Wäre die


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[0209] Die Leipziger Abonnemeutconcerte im Winter 1853-54 Die Abonnemeutconcerte im Gcwandhaussaale sind der Stolz der Leipziger. Mit Recht: nicht allein, weil sie, von der Universität abgesehen, bis jetzt so ziemlich das Einzige waren, dessen sich Leipzig in Kunst und Wissenschaft zu rühmen hat, sondern weil sie die Grundlage des weitverbreiteten Rufes musikalischer Nei¬ gung und Einsicht sind, dessen sich Leipzig in der That noch erfreut. Ein solches Institut, das seit länger als einem halben Jahrhundert in anerkannter Wirksam¬ keit steht, in Ehren zu halten, seine Fortbildung nach Kräften zu fördern und die Männer, welche in uneigennützigen Eifer für die Musik die Concert« leiten, in ihren Bestrebungen zu unterstützen, ist eine Pflicht, nicht allein des Localpatrio- tismus, sondern im Interesse der Kunst selbst begründet. Denn es ist wahrlich nicht gleichgiltig, daß derselben ein Platz gesichert bleibe, wo eine zahlreiche Reihe von jährlich.wiederkehrenden Aufführungen mit Einsicht und genügenden Mitteln s^' geleitet werden, daß Empfänglichkeit und Verständniß des Publicums für das Wahre und Schöne erhalten und clnsgebildet werden. Wenn irgendwo, so ist hier eine ernste, durch keine persönliche Parteinahme befangene Kritik am Ort, die bei aller Freude, mit welcher sie die gelungenen Leistungen eines gro߬ artigen heimischen Instituts anerkennt, sich nicht scheuet Mängel aufzudecken und vor Gefahren zu warnen. Hören wir die Stimmen unsrer jonrnalieren Kritiker, so können wir freilich unbesorgt sein: wir ^stehen auf der Höhe des musikalischen Ruhms, jedes Concert flicht ein neues Blatt in die alten Lorbeerkränze; be¬ sonders versteht es sich von selbst, daß das Orchester stets Außerordentliches leistet und dem Recensenten nnr die leichte Mühe bleibt, ans dem Programm zu con- statiren, welche Symphonie oder Ouvertüre unübertrefflich executire worden sei. In der That legen unsre musikalischen Tagcökritiker, die im günstigsten Fall ein¬ seitig parteiisch sind, eine so naive Unwissenheit und Urteilslosigkeit an den Tag, daß die unfreiwillige Komik ihrer Phraseologie, wie spaßhaft sie auch mitunter ist, doch für so wesentliche Mängel uicht ganz entschädigen kann. Wäre die Grenzboten, II. 1864. 26

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/208>, abgerufen am 23.07.2024.