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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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man behaupten möchte, dieselbe sei Grundgedanke für alle Operationen. Wie
wäre es möglich, so fragt man, daß deßnngeachtet die Kriegsministerien von Paris
und London einen Plan acceptiren möchten, der die gleichzeitige Handlung aus¬
schloß, der dem Verlangen des Omer Pascha nach einer Kooperation französischer
und englischer Truppen in der Bulgarei eine Weigerung entgegenstellte?! Dennoch
existirt ein solcher Entwurf thatsächlich, und wenn ich recht unterrichtet bin, hatte
er uoch vor kurzem Aussicht, jedem andern vorgezogen zu werden.

Sie erinnern sich einer vor einem Monat in Umlauf gewesenen Zeitungs¬
nachricht, wonach Herr Thiers sammt den Marschällen Valle'e und Se. Arnaud
in die Tuilerien beschicken worden seien, um über einen Feldzugsplan zu rath-
schlagen. Man sprach zu gleicher Zeit von zwei entgegengesetzten Ansichten. Die
Balkanlinie machte für beide so zu sagen die Scheidelinie aus. Der Staatschef
ließ seine eigne Ansicht durch den Marschall Se. Arnaud vertreten und war für
eine Operation in der Flanke des russischen Heeres, wogegen Herr Thiers die
Vortheile geltend gemacht zu hoben scheint, die ein Abwarten der Russen diesseits
des Balkans, etwa in Adrianopel oder in noch rückwärtigerer Stellung habe"
würde.

Diese Vortheile sind nicht wegzuleugnen, und es wird nur einer Hindeutung
auf dieselben bedürfen, um sie auch dem Laien im Kriegswesen faßlich zu machen.
Indeß kann ich nicht umhin im voraus rücksichtlich derselben zu bemerken, daß
sie mehr strategisch als politisch sind. Man denke sich eine Armee von circa
100,000 Mann die Donau überschreitend und, wie die Russen es eben jetzt ver¬
suchen, gegen den Balkan vordringend. Unter allen Umständen wird man mehr
Streitkräfte nöthig haben, um dieselbe in ihrer Basis aufzuhalten, als man deren
bedarf, wenn sie nahe an ihrem Objecte angelangt ist, den Balkan überschritten
hat und vor Adrianopel eintrifft. Es ist eins gegen tausend zu wetten, daß
von den -100,000 Mann, welche in Bulgarien einbrechen, nicht 30,000 Mann
nach Rumelien übergeführt werden können. Den ganzen Nest nehmen Deta-
chirnngcn, Krankheiten und nothwendige Localreserven hinweg. Während man
also mit 30,000 Mann den Nüssen, abgesehen von der türkischen Streitmacht,
in Bulgarien nicht gewachsen sein dürfte, würde man ihnen mit derselben Anzahl
in Rumelien entschieden überlegen sein.

Herr Thiers und Marschall Valle'e haben offenbar diese Vortheile geltend
zu machen gewußt; aber sie scheinen dabei den ungeheuren politischen Nachtheil
nicht in volle Anrechnung zu bringen, den ein Abwarten hinter dem Balkan nach
sich ziehen möchte. Man opfert die türkische Armee, in der das türkische Reich
selbst heute seine stärkste Repräsentation hat, den vernichtenden, Schlägen eines
überlegenen Feindes; mehr noch, man gibt diesem selbst, außer del: Walachei,
einen neuen Zuwachs zu seinem Machtkrcis und im besonderen eine Position,
von der aus er-im Stande sein dürfte, dem griechischen Aufstand die Hand zu


man behaupten möchte, dieselbe sei Grundgedanke für alle Operationen. Wie
wäre es möglich, so fragt man, daß deßnngeachtet die Kriegsministerien von Paris
und London einen Plan acceptiren möchten, der die gleichzeitige Handlung aus¬
schloß, der dem Verlangen des Omer Pascha nach einer Kooperation französischer
und englischer Truppen in der Bulgarei eine Weigerung entgegenstellte?! Dennoch
existirt ein solcher Entwurf thatsächlich, und wenn ich recht unterrichtet bin, hatte
er uoch vor kurzem Aussicht, jedem andern vorgezogen zu werden.

Sie erinnern sich einer vor einem Monat in Umlauf gewesenen Zeitungs¬
nachricht, wonach Herr Thiers sammt den Marschällen Valle'e und Se. Arnaud
in die Tuilerien beschicken worden seien, um über einen Feldzugsplan zu rath-
schlagen. Man sprach zu gleicher Zeit von zwei entgegengesetzten Ansichten. Die
Balkanlinie machte für beide so zu sagen die Scheidelinie aus. Der Staatschef
ließ seine eigne Ansicht durch den Marschall Se. Arnaud vertreten und war für
eine Operation in der Flanke des russischen Heeres, wogegen Herr Thiers die
Vortheile geltend gemacht zu hoben scheint, die ein Abwarten der Russen diesseits
des Balkans, etwa in Adrianopel oder in noch rückwärtigerer Stellung habe»
würde.

Diese Vortheile sind nicht wegzuleugnen, und es wird nur einer Hindeutung
auf dieselben bedürfen, um sie auch dem Laien im Kriegswesen faßlich zu machen.
Indeß kann ich nicht umhin im voraus rücksichtlich derselben zu bemerken, daß
sie mehr strategisch als politisch sind. Man denke sich eine Armee von circa
100,000 Mann die Donau überschreitend und, wie die Russen es eben jetzt ver¬
suchen, gegen den Balkan vordringend. Unter allen Umständen wird man mehr
Streitkräfte nöthig haben, um dieselbe in ihrer Basis aufzuhalten, als man deren
bedarf, wenn sie nahe an ihrem Objecte angelangt ist, den Balkan überschritten
hat und vor Adrianopel eintrifft. Es ist eins gegen tausend zu wetten, daß
von den -100,000 Mann, welche in Bulgarien einbrechen, nicht 30,000 Mann
nach Rumelien übergeführt werden können. Den ganzen Nest nehmen Deta-
chirnngcn, Krankheiten und nothwendige Localreserven hinweg. Während man
also mit 30,000 Mann den Nüssen, abgesehen von der türkischen Streitmacht,
in Bulgarien nicht gewachsen sein dürfte, würde man ihnen mit derselben Anzahl
in Rumelien entschieden überlegen sein.

Herr Thiers und Marschall Valle'e haben offenbar diese Vortheile geltend
zu machen gewußt; aber sie scheinen dabei den ungeheuren politischen Nachtheil
nicht in volle Anrechnung zu bringen, den ein Abwarten hinter dem Balkan nach
sich ziehen möchte. Man opfert die türkische Armee, in der das türkische Reich
selbst heute seine stärkste Repräsentation hat, den vernichtenden, Schlägen eines
überlegenen Feindes; mehr noch, man gibt diesem selbst, außer del: Walachei,
einen neuen Zuwachs zu seinem Machtkrcis und im besonderen eine Position,
von der aus er-im Stande sein dürfte, dem griechischen Aufstand die Hand zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/190>, abgerufen am 22.12.2024.