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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band.

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betrifft, so ist sie offenbar zu lang ausgesponnen. Die beiden Leute sind
gleich zu Anfang des Romans vollständig ineinander verliebt, und das einzige
Hinderniß der Heirath war die zu große Jugend Fledas. Aber im 3. Bande
hat sie das heiratsfähige Alter erreicht, und es ist nicht der geringste ersicht¬
liche Grund vorhanden, ihr Glück zu verzögern. Statt dessen wird sie uoch
durch drei Bände hindurch mit allerlei Prüfungen gequält, die ganz unnöthig find,
da ihr Geliebter von ihrer Vollkommenheit aufs innigste durchdrungen ist. Ans
die christlichen Doctrinen der Verfasserin, die sich zuweilen in recht ungehöriger
Stelle zndrängen, haben wir bereits aufmerksam gemacht. -- Ueber diese"
sehr erheblichen Ausstellungen dürfen wir aber nicht übersehe", daß die Ver¬
fasserin eine sehr gebildete Frau ist, ein feines Gefühl, und für die Details des
Lebens ein scharfes und glückliches Ange hat. Als Ganzes kann uus die Novelle
nicht fesseln, aber sehr viele Einzelnheiten erregen ein lebendiges und warmes In¬
teresse. -- Die Verwandtschaft der Verfasserin mit den englischen Damen Currer
Bell und Julia Kavanagh haben wir schon angedeutet. Die Grundlage ist fast
bei allen dreien die nämliche, und selbst in dem Rahmen und in dem Faden der
Erzählung ist die gegenseitige Einwirkung unverkennbar. --


Die Nachtlampe von A. v. Sternberg. 2. Band. Berlin, Denker. --

Herr von Sternberg kommt uns zuweilen vor wie der letzte der deutschen
Romantiker. Zwar ist der frivole Beischmack, den er meistens seine" Erzählungen
zu gebe" weiß, nicht ganz im Geist der eigentlichen Romantik; aber seine Erfin¬
dung, die Methode seiner Composition, seine Farbe und Charakteristik sind noch
ganz in der Tieck-Hoffmann-Eichendorffschen Weise. Der gegenwärtige Band
enthält eine Reihe artiger Capriccios, die wol ein flüchtiges Interesse hervorrufen
können; eigentlicher Inhalt ist nicht darin z" finden. --


Das stille Haus, eine Erzählung für Winterabende von N. v. Sternberg, Berlin,
Decker. --

Wir können von diesem Capriccio, welches nur die äußere Form einer zusam¬
menhängenden Erzählung tragt, eigentlich aber aus einer bunten Reihe von Bil¬
dern zusammengefegt ist, etwas Aehnliches sagen, wie von dem vorigen. ES
ist so viel Hoffmann darin, als bei einem leichtsinnigen Weltkindc nnr immer
deutbar ist. Es fehlt nicht an Geistergeschichten, an vermauerten Nischen mit le¬
bendig begrabenen Personen, an labyrinthischen Treppen, die den Uneingeweihten
in der Irre herumführen, ja es fehlt selbst nicht an einer Theorie der dämonisch-
magnetischen Willenskraft. "Es gibt kein Wunder, von dem uns in den Tradi¬
tionen der Völker berichtet wird, das uicht auch in unsern Tagen möglich wäre,
wenn uur die ausreichenden Kräfte da sind und die rechten Mittel angewendet
werden. . . . Der Glaube, der Wunder wirkt, ist die höchste Exstase der Seele
und das Zusammenwachsen aller ihrer Kräfte, und der Wille, der Wunder wirkt,


betrifft, so ist sie offenbar zu lang ausgesponnen. Die beiden Leute sind
gleich zu Anfang des Romans vollständig ineinander verliebt, und das einzige
Hinderniß der Heirath war die zu große Jugend Fledas. Aber im 3. Bande
hat sie das heiratsfähige Alter erreicht, und es ist nicht der geringste ersicht¬
liche Grund vorhanden, ihr Glück zu verzögern. Statt dessen wird sie uoch
durch drei Bände hindurch mit allerlei Prüfungen gequält, die ganz unnöthig find,
da ihr Geliebter von ihrer Vollkommenheit aufs innigste durchdrungen ist. Ans
die christlichen Doctrinen der Verfasserin, die sich zuweilen in recht ungehöriger
Stelle zndrängen, haben wir bereits aufmerksam gemacht. — Ueber diese»
sehr erheblichen Ausstellungen dürfen wir aber nicht übersehe«, daß die Ver¬
fasserin eine sehr gebildete Frau ist, ein feines Gefühl, und für die Details des
Lebens ein scharfes und glückliches Ange hat. Als Ganzes kann uus die Novelle
nicht fesseln, aber sehr viele Einzelnheiten erregen ein lebendiges und warmes In¬
teresse. — Die Verwandtschaft der Verfasserin mit den englischen Damen Currer
Bell und Julia Kavanagh haben wir schon angedeutet. Die Grundlage ist fast
bei allen dreien die nämliche, und selbst in dem Rahmen und in dem Faden der
Erzählung ist die gegenseitige Einwirkung unverkennbar. —


Die Nachtlampe von A. v. Sternberg. 2. Band. Berlin, Denker. —

Herr von Sternberg kommt uns zuweilen vor wie der letzte der deutschen
Romantiker. Zwar ist der frivole Beischmack, den er meistens seine» Erzählungen
zu gebe» weiß, nicht ganz im Geist der eigentlichen Romantik; aber seine Erfin¬
dung, die Methode seiner Composition, seine Farbe und Charakteristik sind noch
ganz in der Tieck-Hoffmann-Eichendorffschen Weise. Der gegenwärtige Band
enthält eine Reihe artiger Capriccios, die wol ein flüchtiges Interesse hervorrufen
können; eigentlicher Inhalt ist nicht darin z» finden. —


Das stille Haus, eine Erzählung für Winterabende von N. v. Sternberg, Berlin,
Decker. —

Wir können von diesem Capriccio, welches nur die äußere Form einer zusam¬
menhängenden Erzählung tragt, eigentlich aber aus einer bunten Reihe von Bil¬
dern zusammengefegt ist, etwas Aehnliches sagen, wie von dem vorigen. ES
ist so viel Hoffmann darin, als bei einem leichtsinnigen Weltkindc nnr immer
deutbar ist. Es fehlt nicht an Geistergeschichten, an vermauerten Nischen mit le¬
bendig begrabenen Personen, an labyrinthischen Treppen, die den Uneingeweihten
in der Irre herumführen, ja es fehlt selbst nicht an einer Theorie der dämonisch-
magnetischen Willenskraft. „Es gibt kein Wunder, von dem uns in den Tradi¬
tionen der Völker berichtet wird, das uicht auch in unsern Tagen möglich wäre,
wenn uur die ausreichenden Kräfte da sind und die rechten Mittel angewendet
werden. . . . Der Glaube, der Wunder wirkt, ist die höchste Exstase der Seele
und das Zusammenwachsen aller ihrer Kräfte, und der Wille, der Wunder wirkt,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97779/100>, abgerufen am 01.07.2024.