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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Man sollte nun denken, daß auf eine Umgebung, in welcher der Glaube an
Zauberei lebendig ist, ein so.abnormer Zustand einen Eindruck machen müßte,
der den Glauben an die Beschuldigungen Telramunds nur befestigen könnte,
allein im Gegentheil sie sind sehr gerührt und zweifelhaft, und Telramund
muß erst die Ritter an seiner Ehre Preis, den König an die Dienste, die er
ihm geleistet habe (wie unedel!), erinnern, so daß dieser sich entschuldigt und
das Gottesgericht beginnen laßt/

Den vorherverkündenden Traum kennt auch die alte Sage, aber die Clair-
voyance nervenschwacher Frauen natürlich nicht. Ich fürchte sehr, hier hat
das Bestreben, im modernen Sinn zu motiviren, dem Dichter einen Streich
gespielt, indem er den Glauben an das mittelalterliche Mysterium des Gral
durch das moderne Mysterium des Somnambulismus stützen will. Allein dies¬
mal ist Satan durch Beelzebub ausgetrieben. Einmal ist die Wahrheit des
thierischen Magnetismus doch heutzutage kein Glaubensartikel, wie dazumal
die des Gral, daß man ohne weiteres darauf provociren dürste wie auf eine all¬
gemeine Ueberzeugung; im Gegentheil steht der magnetische Rapport in einem ziem¬
lich zweideutigen Ruf. Sodann aber, was viel wichtiger ist, darf das krankhaft Ab¬
norme der menschlichen Natur noch viel weniger als das Wunderbare als poetisches
Motiv verwandt werden: es verletzt unmittelbar das gesunde Gefühl, und das
pathologische Interesse, welches wir an einer solchen Erscheinung nehmen können,
darf nicht mit dem poetischen identificirt werden. Wie wohlthuend gesund ist
in der alten Sage das Bild, die fälschlich Beklagte, welche im Bewußtsein
ihrer Unschuld ruhig und klar dem Verleumder gegenübersteht, und durch den
Rettung verheißenden Traum gestärkt und gekräftigt nur um so fester in ihrem
Gottvertrauen'wird. Und wie ist auch in das Liebesverhältniß zu Lohengrin,
das schon durch seine Halbgottsnatur zweifelhaft und unnatürlich wird, durch
die verhimmelnde Clairvoyance Elsas, die an die sinnlich süßliche Schwärmerei
herrnhuthischer Lieder erinnert, ein neues Element gebracht, durch das es vol¬
lends zwitterhaft wird. Auch die Darstellung der Claivoycmce selbst ist schil¬
lernd und schwankend; ein eigentlicher magnetischer Schlaf ist es nicht, in dem
Elsa sich befindet, wenigstens erwacht sie nicht aus demselben, und doch spricht
sie zu Zeiten ganz verständig und der Situation angemessen, auch ehe Lohen¬
grin erschienen ist, so daß auch der unbefangene Zuhörer nicht recht klug daraus
wird, wie weit ihre Traumseligkeit unwillkürlich ist oder nicht.

Ehe das Gottesgericht angesagt wird, verspricht Elsa dem gottgesandten
Kämpen die Krone und ihre Hand, was die Ritter zu dem Ausruf bewegt:


Ein hoher Preis, stund' er in Gottes Hand!
Wer um ihn stritt', wohl setzt' er schweres Pfand!

wobei sie sich hoffentlich mehr denken, als wir vermögen. Als aus die erste
Aufforderung Niemand erscheint, bittet Elsa "sehr unschuldig":


Man sollte nun denken, daß auf eine Umgebung, in welcher der Glaube an
Zauberei lebendig ist, ein so.abnormer Zustand einen Eindruck machen müßte,
der den Glauben an die Beschuldigungen Telramunds nur befestigen könnte,
allein im Gegentheil sie sind sehr gerührt und zweifelhaft, und Telramund
muß erst die Ritter an seiner Ehre Preis, den König an die Dienste, die er
ihm geleistet habe (wie unedel!), erinnern, so daß dieser sich entschuldigt und
das Gottesgericht beginnen laßt/

Den vorherverkündenden Traum kennt auch die alte Sage, aber die Clair-
voyance nervenschwacher Frauen natürlich nicht. Ich fürchte sehr, hier hat
das Bestreben, im modernen Sinn zu motiviren, dem Dichter einen Streich
gespielt, indem er den Glauben an das mittelalterliche Mysterium des Gral
durch das moderne Mysterium des Somnambulismus stützen will. Allein dies¬
mal ist Satan durch Beelzebub ausgetrieben. Einmal ist die Wahrheit des
thierischen Magnetismus doch heutzutage kein Glaubensartikel, wie dazumal
die des Gral, daß man ohne weiteres darauf provociren dürste wie auf eine all¬
gemeine Ueberzeugung; im Gegentheil steht der magnetische Rapport in einem ziem¬
lich zweideutigen Ruf. Sodann aber, was viel wichtiger ist, darf das krankhaft Ab¬
norme der menschlichen Natur noch viel weniger als das Wunderbare als poetisches
Motiv verwandt werden: es verletzt unmittelbar das gesunde Gefühl, und das
pathologische Interesse, welches wir an einer solchen Erscheinung nehmen können,
darf nicht mit dem poetischen identificirt werden. Wie wohlthuend gesund ist
in der alten Sage das Bild, die fälschlich Beklagte, welche im Bewußtsein
ihrer Unschuld ruhig und klar dem Verleumder gegenübersteht, und durch den
Rettung verheißenden Traum gestärkt und gekräftigt nur um so fester in ihrem
Gottvertrauen'wird. Und wie ist auch in das Liebesverhältniß zu Lohengrin,
das schon durch seine Halbgottsnatur zweifelhaft und unnatürlich wird, durch
die verhimmelnde Clairvoyance Elsas, die an die sinnlich süßliche Schwärmerei
herrnhuthischer Lieder erinnert, ein neues Element gebracht, durch das es vol¬
lends zwitterhaft wird. Auch die Darstellung der Claivoycmce selbst ist schil¬
lernd und schwankend; ein eigentlicher magnetischer Schlaf ist es nicht, in dem
Elsa sich befindet, wenigstens erwacht sie nicht aus demselben, und doch spricht
sie zu Zeiten ganz verständig und der Situation angemessen, auch ehe Lohen¬
grin erschienen ist, so daß auch der unbefangene Zuhörer nicht recht klug daraus
wird, wie weit ihre Traumseligkeit unwillkürlich ist oder nicht.

Ehe das Gottesgericht angesagt wird, verspricht Elsa dem gottgesandten
Kämpen die Krone und ihre Hand, was die Ritter zu dem Ausruf bewegt:


Ein hoher Preis, stund' er in Gottes Hand!
Wer um ihn stritt', wohl setzt' er schweres Pfand!

wobei sie sich hoffentlich mehr denken, als wir vermögen. Als aus die erste
Aufforderung Niemand erscheint, bittet Elsa „sehr unschuldig":


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[0096] Man sollte nun denken, daß auf eine Umgebung, in welcher der Glaube an Zauberei lebendig ist, ein so.abnormer Zustand einen Eindruck machen müßte, der den Glauben an die Beschuldigungen Telramunds nur befestigen könnte, allein im Gegentheil sie sind sehr gerührt und zweifelhaft, und Telramund muß erst die Ritter an seiner Ehre Preis, den König an die Dienste, die er ihm geleistet habe (wie unedel!), erinnern, so daß dieser sich entschuldigt und das Gottesgericht beginnen laßt/ Den vorherverkündenden Traum kennt auch die alte Sage, aber die Clair- voyance nervenschwacher Frauen natürlich nicht. Ich fürchte sehr, hier hat das Bestreben, im modernen Sinn zu motiviren, dem Dichter einen Streich gespielt, indem er den Glauben an das mittelalterliche Mysterium des Gral durch das moderne Mysterium des Somnambulismus stützen will. Allein dies¬ mal ist Satan durch Beelzebub ausgetrieben. Einmal ist die Wahrheit des thierischen Magnetismus doch heutzutage kein Glaubensartikel, wie dazumal die des Gral, daß man ohne weiteres darauf provociren dürste wie auf eine all¬ gemeine Ueberzeugung; im Gegentheil steht der magnetische Rapport in einem ziem¬ lich zweideutigen Ruf. Sodann aber, was viel wichtiger ist, darf das krankhaft Ab¬ norme der menschlichen Natur noch viel weniger als das Wunderbare als poetisches Motiv verwandt werden: es verletzt unmittelbar das gesunde Gefühl, und das pathologische Interesse, welches wir an einer solchen Erscheinung nehmen können, darf nicht mit dem poetischen identificirt werden. Wie wohlthuend gesund ist in der alten Sage das Bild, die fälschlich Beklagte, welche im Bewußtsein ihrer Unschuld ruhig und klar dem Verleumder gegenübersteht, und durch den Rettung verheißenden Traum gestärkt und gekräftigt nur um so fester in ihrem Gottvertrauen'wird. Und wie ist auch in das Liebesverhältniß zu Lohengrin, das schon durch seine Halbgottsnatur zweifelhaft und unnatürlich wird, durch die verhimmelnde Clairvoyance Elsas, die an die sinnlich süßliche Schwärmerei herrnhuthischer Lieder erinnert, ein neues Element gebracht, durch das es vol¬ lends zwitterhaft wird. Auch die Darstellung der Claivoycmce selbst ist schil¬ lernd und schwankend; ein eigentlicher magnetischer Schlaf ist es nicht, in dem Elsa sich befindet, wenigstens erwacht sie nicht aus demselben, und doch spricht sie zu Zeiten ganz verständig und der Situation angemessen, auch ehe Lohen¬ grin erschienen ist, so daß auch der unbefangene Zuhörer nicht recht klug daraus wird, wie weit ihre Traumseligkeit unwillkürlich ist oder nicht. Ehe das Gottesgericht angesagt wird, verspricht Elsa dem gottgesandten Kämpen die Krone und ihre Hand, was die Ritter zu dem Ausruf bewegt: Ein hoher Preis, stund' er in Gottes Hand! Wer um ihn stritt', wohl setzt' er schweres Pfand! wobei sie sich hoffentlich mehr denken, als wir vermögen. Als aus die erste Aufforderung Niemand erscheint, bittet Elsa „sehr unschuldig":

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/96>, abgerufen am 22.07.2024.