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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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äußerer Mittel -- welche bei demjenigen Theil des Publicums, das auch in
Kunstsachen den Werth nach dem Preise mißt, das respectvolle Präjudiz erregt,
woran man soviel wende, das müsse doch auch etwas werth sein -- in die
Wagschale zu legen haben.

Hätte man es mit einer Oper zu thun, welche sich mit den gewöhnlichen
Ansprüchen der Gattung genügen läßt, so könnte man sich der undankbaren
Mühe überheben, das Opernbuch im einzelnen zu analysiren; allein da dasselbe
die Prätension macht, als eine selbstständige dramatische Dichtung zu gelten,
und die Bedeutung der Musik grade in der Eigenthümlichkeit des Textes ge¬
sucht wird, so wird es nöthig, diesen einer genauen Betrachtung zu unterwersen.

Wagner hat im lobenswerthen Bestreben, seinen Opern einen nationalen
Charakter zu geben, wie im Tannhäuser so auch im Lohengrin den Stoff der
deutschen Sage entnommen. Sie ist in mehren altdeutschen Gedichten be¬
handelt worden, und Wagner hat es versucht, aus denselben die verschiedenen
Motive zu einem Ganzen zusammenzusetzen.

Der Kern dieser in Flandern heimischen Sage ist, daß ein Ritter in einem
Nachen, der von einem Schwan gezogen wird, ni^s Land gebracht, die Liebe
der jungfräulichen Erbin der Krone gewinnt und sich ihr vermählt; ihr aber
das Versprechen abnimmt, nie nach seinem Namen und seiner Herkunft zu
fragen, denn dann müsse er sie sogleich verlassen. Da sie nun, nachdem sie
eine Zeitlang glücklich zusammen gelebt, doch einstmals ihrem Versprechen un¬
getreu wird, so verläßt er sie und ihre Kinder wirklich auf demselben vom
Schwane gezogenen Nachen, auf welchem er gekommen war.

Es ist also das alte Thema von der unbezähmbaren Neugierde der Frauen,
welche durch ein Verbot nur noch mehr gewürzt, die schönsten und edelsten
Verhältnisse, welche auf Vertrauen und Glauben beruhen, zu zerstören im
Stande ist, das in unzähligen Sagen aller Zeiten behandelt, auch hier zu
Grunde liegt, aber in einer Wendung, welche für unsere Gefühls- und An¬
schauungsweise etwas seht Befremdliches, ja Verletzendes hat. Denn offenbar
beruht das Wesen der Liebe auf dem hingebendsten, zweifellosen Vertrauen,
aber dem gegenseitigen, vor allem in dem, was das Verhältniß der Liebenden
angeht. Ein beabsichtigtes Verheimlichen, ein Verbot, das Verheimlichte zu
erfragen von der einen Seite ist, wenn es eine Prüfung sein soll, eine lieb¬
lose Ueberhebung, oder wenn in der That etwas zu verschweigen ist, ein wirk¬
licher Mangel an Vertrauen; es müßte denn eine zwingende Nothwendigkeit
die Verheimlichung gebieten. Diese aber muß als eine wirkliche anschaulich
gemacht und vor unserem Gefühl gerechtfertigt werden, wenn wir das Verbot
Lohengrins als ein poetisches anerkennen sollen. Ist aber dieses geschehen,
so erwächst die weitere Forderung, psychologisch zu rechtfertigen, daß Elsa trotz
ihrer Liebe doch ihr Versprechen bricht und nach ihres Gemahls Herkunft fragt.


äußerer Mittel — welche bei demjenigen Theil des Publicums, das auch in
Kunstsachen den Werth nach dem Preise mißt, das respectvolle Präjudiz erregt,
woran man soviel wende, das müsse doch auch etwas werth sein — in die
Wagschale zu legen haben.

Hätte man es mit einer Oper zu thun, welche sich mit den gewöhnlichen
Ansprüchen der Gattung genügen läßt, so könnte man sich der undankbaren
Mühe überheben, das Opernbuch im einzelnen zu analysiren; allein da dasselbe
die Prätension macht, als eine selbstständige dramatische Dichtung zu gelten,
und die Bedeutung der Musik grade in der Eigenthümlichkeit des Textes ge¬
sucht wird, so wird es nöthig, diesen einer genauen Betrachtung zu unterwersen.

Wagner hat im lobenswerthen Bestreben, seinen Opern einen nationalen
Charakter zu geben, wie im Tannhäuser so auch im Lohengrin den Stoff der
deutschen Sage entnommen. Sie ist in mehren altdeutschen Gedichten be¬
handelt worden, und Wagner hat es versucht, aus denselben die verschiedenen
Motive zu einem Ganzen zusammenzusetzen.

Der Kern dieser in Flandern heimischen Sage ist, daß ein Ritter in einem
Nachen, der von einem Schwan gezogen wird, ni^s Land gebracht, die Liebe
der jungfräulichen Erbin der Krone gewinnt und sich ihr vermählt; ihr aber
das Versprechen abnimmt, nie nach seinem Namen und seiner Herkunft zu
fragen, denn dann müsse er sie sogleich verlassen. Da sie nun, nachdem sie
eine Zeitlang glücklich zusammen gelebt, doch einstmals ihrem Versprechen un¬
getreu wird, so verläßt er sie und ihre Kinder wirklich auf demselben vom
Schwane gezogenen Nachen, auf welchem er gekommen war.

Es ist also das alte Thema von der unbezähmbaren Neugierde der Frauen,
welche durch ein Verbot nur noch mehr gewürzt, die schönsten und edelsten
Verhältnisse, welche auf Vertrauen und Glauben beruhen, zu zerstören im
Stande ist, das in unzähligen Sagen aller Zeiten behandelt, auch hier zu
Grunde liegt, aber in einer Wendung, welche für unsere Gefühls- und An¬
schauungsweise etwas seht Befremdliches, ja Verletzendes hat. Denn offenbar
beruht das Wesen der Liebe auf dem hingebendsten, zweifellosen Vertrauen,
aber dem gegenseitigen, vor allem in dem, was das Verhältniß der Liebenden
angeht. Ein beabsichtigtes Verheimlichen, ein Verbot, das Verheimlichte zu
erfragen von der einen Seite ist, wenn es eine Prüfung sein soll, eine lieb¬
lose Ueberhebung, oder wenn in der That etwas zu verschweigen ist, ein wirk¬
licher Mangel an Vertrauen; es müßte denn eine zwingende Nothwendigkeit
die Verheimlichung gebieten. Diese aber muß als eine wirkliche anschaulich
gemacht und vor unserem Gefühl gerechtfertigt werden, wenn wir das Verbot
Lohengrins als ein poetisches anerkennen sollen. Ist aber dieses geschehen,
so erwächst die weitere Forderung, psychologisch zu rechtfertigen, daß Elsa trotz
ihrer Liebe doch ihr Versprechen bricht und nach ihres Gemahls Herkunft fragt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/90>, abgerufen am 25.08.2024.