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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Lohengrin, Oper von Richard Wagner.

Die glücklichen Leipziger erleben jetzt eine musikalische Aera nach der an¬
dern. Kaum ist es ein Jahr, seit die Aufführung Tann häusers eine neue
Aera für die Oper begründete, seitdem brach mit H. Berlioz eine neue Aera
für die Gewandhausconcerte, mit Joh. Brahms eine neue Aera für die
Quartettunterhaltungen an, und schon wieder sind wir mit dem Lohengrin in
eine neue Aera eingetreten. Hoffen wir, daß die musikalische Zeitrechnung
durch alle diese Aeren nicht allzusehr in Verwirrung gerathe.

In der That verdient es alle Anerkennung, daß die Theaterdirection den
Aufwand an Mitteln, alle Betheiligten die Opfer an Zeit und Mühe nicht
gescheut haben, um den Lohengrin auf die Bühne zu bringen. Daß einem
jeden ernstlich gemeinten künstlerischen Streben die Möglichkeit gegeben werde,
öffentlich zu erproben, wieweit es Lebenskraft und Fähigkeit zu wirken besitze,
das müssen auch die wünschen, welche etwa mit diesem Streben nicht einver¬
standen sind. Und zwar schon deshalb, weil auch die Kritik sich mit Erfolg
nur an ein Publicum wenden kann, welches mit dem Kunstwerk selbst vertraut
ist. Wenn aber, aus was immer für Ursachen, sich um ein Kunstwerk ein
Nimbus gebildet hat, als sei dasselbe eine ganz außerordentliche, unerhörte
Erscheinung, die aus Unverstand oder Mißgunst dem Publicum vorenthalten
werde, so daß dieses zu dem Reiz der Neuheit noch den des Verbotenen em¬
pfindet und in eine sympathetische Aufregung für die verkannte Größe geräth,
dann ist es vollends wünschenswerth, daß die wirkliche Production das In¬
teresse des Publicums auf das wirkliche, d. h. in der Leistung des Künstlers
begründete Verhältniß zurückführe. Mit dieser Anerkennung verbindet sich
der Wunsch, daß mit gleichem Eifer auch die Werke ernst strebender Kunst¬
jünger aus die Bühne gebracht werden mögen, welche nicht die Protection einer
einflußreichen Clique und wohlorganisirten Claque, nicht den Heiligenschein des
Märtyrerthums, nicht die Prätention einer ausschweifenden Verschwendung


Grenzboten. I. 18si. 11
Lohengrin, Oper von Richard Wagner.

Die glücklichen Leipziger erleben jetzt eine musikalische Aera nach der an¬
dern. Kaum ist es ein Jahr, seit die Aufführung Tann häusers eine neue
Aera für die Oper begründete, seitdem brach mit H. Berlioz eine neue Aera
für die Gewandhausconcerte, mit Joh. Brahms eine neue Aera für die
Quartettunterhaltungen an, und schon wieder sind wir mit dem Lohengrin in
eine neue Aera eingetreten. Hoffen wir, daß die musikalische Zeitrechnung
durch alle diese Aeren nicht allzusehr in Verwirrung gerathe.

In der That verdient es alle Anerkennung, daß die Theaterdirection den
Aufwand an Mitteln, alle Betheiligten die Opfer an Zeit und Mühe nicht
gescheut haben, um den Lohengrin auf die Bühne zu bringen. Daß einem
jeden ernstlich gemeinten künstlerischen Streben die Möglichkeit gegeben werde,
öffentlich zu erproben, wieweit es Lebenskraft und Fähigkeit zu wirken besitze,
das müssen auch die wünschen, welche etwa mit diesem Streben nicht einver¬
standen sind. Und zwar schon deshalb, weil auch die Kritik sich mit Erfolg
nur an ein Publicum wenden kann, welches mit dem Kunstwerk selbst vertraut
ist. Wenn aber, aus was immer für Ursachen, sich um ein Kunstwerk ein
Nimbus gebildet hat, als sei dasselbe eine ganz außerordentliche, unerhörte
Erscheinung, die aus Unverstand oder Mißgunst dem Publicum vorenthalten
werde, so daß dieses zu dem Reiz der Neuheit noch den des Verbotenen em¬
pfindet und in eine sympathetische Aufregung für die verkannte Größe geräth,
dann ist es vollends wünschenswerth, daß die wirkliche Production das In¬
teresse des Publicums auf das wirkliche, d. h. in der Leistung des Künstlers
begründete Verhältniß zurückführe. Mit dieser Anerkennung verbindet sich
der Wunsch, daß mit gleichem Eifer auch die Werke ernst strebender Kunst¬
jünger aus die Bühne gebracht werden mögen, welche nicht die Protection einer
einflußreichen Clique und wohlorganisirten Claque, nicht den Heiligenschein des
Märtyrerthums, nicht die Prätention einer ausschweifenden Verschwendung


Grenzboten. I. 18si. 11
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[0089] Lohengrin, Oper von Richard Wagner. Die glücklichen Leipziger erleben jetzt eine musikalische Aera nach der an¬ dern. Kaum ist es ein Jahr, seit die Aufführung Tann häusers eine neue Aera für die Oper begründete, seitdem brach mit H. Berlioz eine neue Aera für die Gewandhausconcerte, mit Joh. Brahms eine neue Aera für die Quartettunterhaltungen an, und schon wieder sind wir mit dem Lohengrin in eine neue Aera eingetreten. Hoffen wir, daß die musikalische Zeitrechnung durch alle diese Aeren nicht allzusehr in Verwirrung gerathe. In der That verdient es alle Anerkennung, daß die Theaterdirection den Aufwand an Mitteln, alle Betheiligten die Opfer an Zeit und Mühe nicht gescheut haben, um den Lohengrin auf die Bühne zu bringen. Daß einem jeden ernstlich gemeinten künstlerischen Streben die Möglichkeit gegeben werde, öffentlich zu erproben, wieweit es Lebenskraft und Fähigkeit zu wirken besitze, das müssen auch die wünschen, welche etwa mit diesem Streben nicht einver¬ standen sind. Und zwar schon deshalb, weil auch die Kritik sich mit Erfolg nur an ein Publicum wenden kann, welches mit dem Kunstwerk selbst vertraut ist. Wenn aber, aus was immer für Ursachen, sich um ein Kunstwerk ein Nimbus gebildet hat, als sei dasselbe eine ganz außerordentliche, unerhörte Erscheinung, die aus Unverstand oder Mißgunst dem Publicum vorenthalten werde, so daß dieses zu dem Reiz der Neuheit noch den des Verbotenen em¬ pfindet und in eine sympathetische Aufregung für die verkannte Größe geräth, dann ist es vollends wünschenswerth, daß die wirkliche Production das In¬ teresse des Publicums auf das wirkliche, d. h. in der Leistung des Künstlers begründete Verhältniß zurückführe. Mit dieser Anerkennung verbindet sich der Wunsch, daß mit gleichem Eifer auch die Werke ernst strebender Kunst¬ jünger aus die Bühne gebracht werden mögen, welche nicht die Protection einer einflußreichen Clique und wohlorganisirten Claque, nicht den Heiligenschein des Märtyrerthums, nicht die Prätention einer ausschweifenden Verschwendung Grenzboten. I. 18si. 11

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/89>, abgerufen am 22.07.2024.