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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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freilich in dem Gelnet der eigentlichen Naturwissenschaft nicht abgehen, denn der
Weg in derselben ist nicht so gerade, wie in der Mathematik, er hebt von sehr
verschiedenen Punkten an: allein sobald man die Ueberzeugung ausgibt, daß ein
für einen abstracten Gegenstand gefundenes und vollkommen erwiesenes Gesetz in
Beziehung auf diesen Gegenstand auch in allen höheren Sphären des Denkens
seine Geltung haben müsse, so muß man sich entschließen, den Begriff der
Wissenschaft überhaupt aufzugeben. Herr Erdmann scheint auch geahnt zu haben,
daß in dieser Deduction etwas fehlt, er wendet daher andere Redefiguren an; er
behauptet Seite -13, daß mau doch nicht blos Naturforscher sei. "Man braucht
gar ^ nicht auf die seltenen Fälle aufmerksam zu machen, welche den Physiologen
(nicht nnr wie Newton einmal in einer schwachen Stunde, sondern oft) als
Parlamentsredner oder gar als Neichsregenten zeigen, sondern jeder derselben wird
die Zumuthung abscheulich finden, den Naturforscher nie zu vergessen, um z. B.
im naturwissenschaftlichen Interesse seine Braut zu küsse"; wenigstens würde ich
es ihm nicht rathen, das der schönen Dame zu sagen." -- Das ist nun eine
von jenen Stellen, in denen uns die Manier des Herrn Erdmann, schlechte Witze
an Stelle der Gründe zu setzen, ebenso widerlich wird, wie dieselbe Manier
bei Herrn Vogt. Die Sophistik ist so handgreiflich, daß kaum ein Kind
dadurch getäuscht werden kann. Ich kann als Parlamentsredner oder als
Bräutigam andere Interessen und andere Empfindungen haben, wie als Natur¬
forscher, aber das Gesetz meines Denkens bleibt in allen drei Fällen das nämliche
und wenn ich in einer schwachen Stunde, um in der Weise des Herrn Erdmann
zu reden, von meinem Liebchen mich überreden lasse, die Summe der Winkel im
Dreieck wäre nicht -- 2 K., so bin ich ein Narr und habe'nicht mit zu reden,
wo vernünftige Männer sprechen. Wie gefährlich jene Sophistik ist, zeigt sogleich
die Fortsetzung. "Selbst wenn sich einer so auf die Naturwissenschaft beschränkte,
daß er ganz und nur Physiolog wäre, so berechtigt ihn dies nur, sich aller theo¬
logischen Vorstellungen zu enthalten. . . sobald er aber . . . sich als Antitheolvg
gerirte, würde er . . . zum Ignoranten." Hochverehrter Herr Professor! Diese
Lehre würde sehr weise sein, wenn die Theologie sich mit weiter nichts beschäf¬
tigte, als mit theologischen Dingen; in Beziehung auf diese würde der Natur¬
forscher allerdings sagen können: das kann wol möglich sein, ich verstehe nichts
davon. Aber leider docirt die Theologie fortwährend über Gegenstände, die
nicht rein theologischer Natur sind, sondern die in das Gebiet der Naturwissenschaft
gehören. Haben Sie vielleicht von einem gewissen Galilei gehört? Dieser Mann
hatte die Vermessenheit zu behaupten, die Sonne stehe still und die Erde bewege -
sich; die Theologen dagegen behaupteten, die Sonne bewege sich, weil ein¬
mal der Richter Josua genöthigt gewesen war, ihr Stillstand zu gebieten. Und
weil damals die Theologen noch sehr mächtig waren, so zwangen sie jenen frechen
und unehrerbietigem Philosophen, Abbitte zu leisten und zu erklären, nicht die


8* .

freilich in dem Gelnet der eigentlichen Naturwissenschaft nicht abgehen, denn der
Weg in derselben ist nicht so gerade, wie in der Mathematik, er hebt von sehr
verschiedenen Punkten an: allein sobald man die Ueberzeugung ausgibt, daß ein
für einen abstracten Gegenstand gefundenes und vollkommen erwiesenes Gesetz in
Beziehung auf diesen Gegenstand auch in allen höheren Sphären des Denkens
seine Geltung haben müsse, so muß man sich entschließen, den Begriff der
Wissenschaft überhaupt aufzugeben. Herr Erdmann scheint auch geahnt zu haben,
daß in dieser Deduction etwas fehlt, er wendet daher andere Redefiguren an; er
behauptet Seite -13, daß mau doch nicht blos Naturforscher sei. „Man braucht
gar ^ nicht auf die seltenen Fälle aufmerksam zu machen, welche den Physiologen
(nicht nnr wie Newton einmal in einer schwachen Stunde, sondern oft) als
Parlamentsredner oder gar als Neichsregenten zeigen, sondern jeder derselben wird
die Zumuthung abscheulich finden, den Naturforscher nie zu vergessen, um z. B.
im naturwissenschaftlichen Interesse seine Braut zu küsse»; wenigstens würde ich
es ihm nicht rathen, das der schönen Dame zu sagen." — Das ist nun eine
von jenen Stellen, in denen uns die Manier des Herrn Erdmann, schlechte Witze
an Stelle der Gründe zu setzen, ebenso widerlich wird, wie dieselbe Manier
bei Herrn Vogt. Die Sophistik ist so handgreiflich, daß kaum ein Kind
dadurch getäuscht werden kann. Ich kann als Parlamentsredner oder als
Bräutigam andere Interessen und andere Empfindungen haben, wie als Natur¬
forscher, aber das Gesetz meines Denkens bleibt in allen drei Fällen das nämliche
und wenn ich in einer schwachen Stunde, um in der Weise des Herrn Erdmann
zu reden, von meinem Liebchen mich überreden lasse, die Summe der Winkel im
Dreieck wäre nicht — 2 K., so bin ich ein Narr und habe'nicht mit zu reden,
wo vernünftige Männer sprechen. Wie gefährlich jene Sophistik ist, zeigt sogleich
die Fortsetzung. „Selbst wenn sich einer so auf die Naturwissenschaft beschränkte,
daß er ganz und nur Physiolog wäre, so berechtigt ihn dies nur, sich aller theo¬
logischen Vorstellungen zu enthalten. . . sobald er aber . . . sich als Antitheolvg
gerirte, würde er . . . zum Ignoranten." Hochverehrter Herr Professor! Diese
Lehre würde sehr weise sein, wenn die Theologie sich mit weiter nichts beschäf¬
tigte, als mit theologischen Dingen; in Beziehung auf diese würde der Natur¬
forscher allerdings sagen können: das kann wol möglich sein, ich verstehe nichts
davon. Aber leider docirt die Theologie fortwährend über Gegenstände, die
nicht rein theologischer Natur sind, sondern die in das Gebiet der Naturwissenschaft
gehören. Haben Sie vielleicht von einem gewissen Galilei gehört? Dieser Mann
hatte die Vermessenheit zu behaupten, die Sonne stehe still und die Erde bewege -
sich; die Theologen dagegen behaupteten, die Sonne bewege sich, weil ein¬
mal der Richter Josua genöthigt gewesen war, ihr Stillstand zu gebieten. Und
weil damals die Theologen noch sehr mächtig waren, so zwangen sie jenen frechen
und unehrerbietigem Philosophen, Abbitte zu leisten und zu erklären, nicht die


8* .
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[0067] freilich in dem Gelnet der eigentlichen Naturwissenschaft nicht abgehen, denn der Weg in derselben ist nicht so gerade, wie in der Mathematik, er hebt von sehr verschiedenen Punkten an: allein sobald man die Ueberzeugung ausgibt, daß ein für einen abstracten Gegenstand gefundenes und vollkommen erwiesenes Gesetz in Beziehung auf diesen Gegenstand auch in allen höheren Sphären des Denkens seine Geltung haben müsse, so muß man sich entschließen, den Begriff der Wissenschaft überhaupt aufzugeben. Herr Erdmann scheint auch geahnt zu haben, daß in dieser Deduction etwas fehlt, er wendet daher andere Redefiguren an; er behauptet Seite -13, daß mau doch nicht blos Naturforscher sei. „Man braucht gar ^ nicht auf die seltenen Fälle aufmerksam zu machen, welche den Physiologen (nicht nnr wie Newton einmal in einer schwachen Stunde, sondern oft) als Parlamentsredner oder gar als Neichsregenten zeigen, sondern jeder derselben wird die Zumuthung abscheulich finden, den Naturforscher nie zu vergessen, um z. B. im naturwissenschaftlichen Interesse seine Braut zu küsse»; wenigstens würde ich es ihm nicht rathen, das der schönen Dame zu sagen." — Das ist nun eine von jenen Stellen, in denen uns die Manier des Herrn Erdmann, schlechte Witze an Stelle der Gründe zu setzen, ebenso widerlich wird, wie dieselbe Manier bei Herrn Vogt. Die Sophistik ist so handgreiflich, daß kaum ein Kind dadurch getäuscht werden kann. Ich kann als Parlamentsredner oder als Bräutigam andere Interessen und andere Empfindungen haben, wie als Natur¬ forscher, aber das Gesetz meines Denkens bleibt in allen drei Fällen das nämliche und wenn ich in einer schwachen Stunde, um in der Weise des Herrn Erdmann zu reden, von meinem Liebchen mich überreden lasse, die Summe der Winkel im Dreieck wäre nicht — 2 K., so bin ich ein Narr und habe'nicht mit zu reden, wo vernünftige Männer sprechen. Wie gefährlich jene Sophistik ist, zeigt sogleich die Fortsetzung. „Selbst wenn sich einer so auf die Naturwissenschaft beschränkte, daß er ganz und nur Physiolog wäre, so berechtigt ihn dies nur, sich aller theo¬ logischen Vorstellungen zu enthalten. . . sobald er aber . . . sich als Antitheolvg gerirte, würde er . . . zum Ignoranten." Hochverehrter Herr Professor! Diese Lehre würde sehr weise sein, wenn die Theologie sich mit weiter nichts beschäf¬ tigte, als mit theologischen Dingen; in Beziehung auf diese würde der Natur¬ forscher allerdings sagen können: das kann wol möglich sein, ich verstehe nichts davon. Aber leider docirt die Theologie fortwährend über Gegenstände, die nicht rein theologischer Natur sind, sondern die in das Gebiet der Naturwissenschaft gehören. Haben Sie vielleicht von einem gewissen Galilei gehört? Dieser Mann hatte die Vermessenheit zu behaupten, die Sonne stehe still und die Erde bewege - sich; die Theologen dagegen behaupteten, die Sonne bewege sich, weil ein¬ mal der Richter Josua genöthigt gewesen war, ihr Stillstand zu gebieten. Und weil damals die Theologen noch sehr mächtig waren, so zwangen sie jenen frechen und unehrerbietigem Philosophen, Abbitte zu leisten und zu erklären, nicht die 8* .

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/67>, abgerufen am 22.07.2024.