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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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nur mit Kavalieren und Fräulein, mit Bedienten und Zofen zu thun hat. Für
die Lectüre sind diese Lustspiele zum große" Theil ungenießbar, weil die Intrigue
so verwickelt ist und dabei die Personen so wenig charakteristische Eigenschaften haben,
daß man fortwährend die eine mit der andern verwechselt und alle Augenblicke
den Zusammenhang verliert. Auf der Bühne müssen sie. sich ganz vortrefflich
Machen, aber nicht auf der unsrigen, theils weil die Sitten nus so, durchaus fremd
sind, daß sie auch jede Verarbeitung ausschließen, theils weil die Form ihre Aus¬
führung unmöglich macht. Ju Versen verstehen wir sie nicht recht, und in Prosa
würden sie den größten Theil ihres Zaubers verliere". Die bedeutendsten unter
diesen Lustspielen sind: "Stille Wasser siud tief" und "das laute Geheimniß",
beide von Gries übersetzt. Es ist in ihnen mehr charakteristisches Leben und
größere Einfachheit der Komposition, als in irgend einem andern Calderonschen
Lustspiel. Mit dem "lauten Geheimniß" hat man es häufig aus unsern Theatern
versucht und eine gewisse Wirkung bleibt auch niemals aus, weil die Poesie dieses
Stücks sich nicht unterdrücken läßt. Der Eindruck ist aber doch immer nicht der,
den sonst die unmittelbare Anschauung eines Bühnenstücks zu machen pflegt. Bei
diesem Stück könnte ausnahmsweise vielleicht eine geschickte Nachhilfe, die aber
nicht von einem gewandten Theaterschneider, sondern von einem wirklichen
Dichter ausgeführt werden müßte, einen günstige" Erfolg hervorbringen. --
Was nun den Einfluß der spanischen Lustspiele auf unser Theater betrifft, so
sind sie in stofflicher Beziehung sehr vielfältig ausgebeutet. Es wird selten einen
Lustspieldichter geben, der nicht das eine oder das andere Motiv von Calderon
entlehnt hat. Nur sehr selten geschieht das mit Glück. Denn wenn man die
Manieren des Hofes Philipp IV. auf Berliner oder/Leipziger Zustände überträgt,
so entsteht daraus in der Regel ein ganz lächerlicher Widerspruch, ein Wider¬
spruch, der noch viel handgreiflicher hervortritt, als der des modernen pariser
Theaters. In technischer Beziehung könnten unsere Lustspieldichter aus Calderon
allerdings sehr viel lernen, denn er ist darin musterhaft. Allein hier liegt uns
doch ein anderes Vorbild näher. Unsere Romantiker werden zwar zusammen¬
schaudern, wenn wir Calderon mit Scribe vergleichen, allein man stelle einmal
une edsrimz, oainüracic-rio, la oalomnig, verrs ä'can, Lertrimä et Katon,
le in-rriaZ" ü'in^ent, 1a butaille (les clamss und vielleicht "och 6 bis -10 andere
mit den besten Lustspielen vou Calderon zusammen, nehme von den letztern die
poetische Färbung ab, die für uus doch nicht zu brauchen ist und die nebenbei
sehr häufig in Schwulst und geziertes Wesen (Gougvrismus) übergeht, und frage
sich dann ehrlich, wem der Preis zukommt. Die Fehler siud bei, ihnen die
nämlichen, es kommt ihnen lediglich auf die Handlung an und sie haben keine
großen Gewissensbedenkeu, aus ihren Personen in jedem Augenblick das zu machen,
was sie grade brauchen; in der Technik sind beide gleich musterhaft, und was
die Charakteristik betrifft, d. h. die detaillirte Ausmalung der Personen und Zu-


Grenzboten. I. 18ö4. > , 7

nur mit Kavalieren und Fräulein, mit Bedienten und Zofen zu thun hat. Für
die Lectüre sind diese Lustspiele zum große» Theil ungenießbar, weil die Intrigue
so verwickelt ist und dabei die Personen so wenig charakteristische Eigenschaften haben,
daß man fortwährend die eine mit der andern verwechselt und alle Augenblicke
den Zusammenhang verliert. Auf der Bühne müssen sie. sich ganz vortrefflich
Machen, aber nicht auf der unsrigen, theils weil die Sitten nus so, durchaus fremd
sind, daß sie auch jede Verarbeitung ausschließen, theils weil die Form ihre Aus¬
führung unmöglich macht. Ju Versen verstehen wir sie nicht recht, und in Prosa
würden sie den größten Theil ihres Zaubers verliere». Die bedeutendsten unter
diesen Lustspielen sind: „Stille Wasser siud tief" und „das laute Geheimniß",
beide von Gries übersetzt. Es ist in ihnen mehr charakteristisches Leben und
größere Einfachheit der Komposition, als in irgend einem andern Calderonschen
Lustspiel. Mit dem „lauten Geheimniß" hat man es häufig aus unsern Theatern
versucht und eine gewisse Wirkung bleibt auch niemals aus, weil die Poesie dieses
Stücks sich nicht unterdrücken läßt. Der Eindruck ist aber doch immer nicht der,
den sonst die unmittelbare Anschauung eines Bühnenstücks zu machen pflegt. Bei
diesem Stück könnte ausnahmsweise vielleicht eine geschickte Nachhilfe, die aber
nicht von einem gewandten Theaterschneider, sondern von einem wirklichen
Dichter ausgeführt werden müßte, einen günstige« Erfolg hervorbringen. —
Was nun den Einfluß der spanischen Lustspiele auf unser Theater betrifft, so
sind sie in stofflicher Beziehung sehr vielfältig ausgebeutet. Es wird selten einen
Lustspieldichter geben, der nicht das eine oder das andere Motiv von Calderon
entlehnt hat. Nur sehr selten geschieht das mit Glück. Denn wenn man die
Manieren des Hofes Philipp IV. auf Berliner oder/Leipziger Zustände überträgt,
so entsteht daraus in der Regel ein ganz lächerlicher Widerspruch, ein Wider¬
spruch, der noch viel handgreiflicher hervortritt, als der des modernen pariser
Theaters. In technischer Beziehung könnten unsere Lustspieldichter aus Calderon
allerdings sehr viel lernen, denn er ist darin musterhaft. Allein hier liegt uns
doch ein anderes Vorbild näher. Unsere Romantiker werden zwar zusammen¬
schaudern, wenn wir Calderon mit Scribe vergleichen, allein man stelle einmal
une edsrimz, oainüracic-rio, la oalomnig, verrs ä'can, Lertrimä et Katon,
le in-rriaZ« ü'in^ent, 1a butaille (les clamss und vielleicht »och 6 bis -10 andere
mit den besten Lustspielen vou Calderon zusammen, nehme von den letztern die
poetische Färbung ab, die für uus doch nicht zu brauchen ist und die nebenbei
sehr häufig in Schwulst und geziertes Wesen (Gougvrismus) übergeht, und frage
sich dann ehrlich, wem der Preis zukommt. Die Fehler siud bei, ihnen die
nämlichen, es kommt ihnen lediglich auf die Handlung an und sie haben keine
großen Gewissensbedenkeu, aus ihren Personen in jedem Augenblick das zu machen,
was sie grade brauchen; in der Technik sind beide gleich musterhaft, und was
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[0057] nur mit Kavalieren und Fräulein, mit Bedienten und Zofen zu thun hat. Für die Lectüre sind diese Lustspiele zum große» Theil ungenießbar, weil die Intrigue so verwickelt ist und dabei die Personen so wenig charakteristische Eigenschaften haben, daß man fortwährend die eine mit der andern verwechselt und alle Augenblicke den Zusammenhang verliert. Auf der Bühne müssen sie. sich ganz vortrefflich Machen, aber nicht auf der unsrigen, theils weil die Sitten nus so, durchaus fremd sind, daß sie auch jede Verarbeitung ausschließen, theils weil die Form ihre Aus¬ führung unmöglich macht. Ju Versen verstehen wir sie nicht recht, und in Prosa würden sie den größten Theil ihres Zaubers verliere». Die bedeutendsten unter diesen Lustspielen sind: „Stille Wasser siud tief" und „das laute Geheimniß", beide von Gries übersetzt. Es ist in ihnen mehr charakteristisches Leben und größere Einfachheit der Komposition, als in irgend einem andern Calderonschen Lustspiel. Mit dem „lauten Geheimniß" hat man es häufig aus unsern Theatern versucht und eine gewisse Wirkung bleibt auch niemals aus, weil die Poesie dieses Stücks sich nicht unterdrücken läßt. Der Eindruck ist aber doch immer nicht der, den sonst die unmittelbare Anschauung eines Bühnenstücks zu machen pflegt. Bei diesem Stück könnte ausnahmsweise vielleicht eine geschickte Nachhilfe, die aber nicht von einem gewandten Theaterschneider, sondern von einem wirklichen Dichter ausgeführt werden müßte, einen günstige« Erfolg hervorbringen. — Was nun den Einfluß der spanischen Lustspiele auf unser Theater betrifft, so sind sie in stofflicher Beziehung sehr vielfältig ausgebeutet. Es wird selten einen Lustspieldichter geben, der nicht das eine oder das andere Motiv von Calderon entlehnt hat. Nur sehr selten geschieht das mit Glück. Denn wenn man die Manieren des Hofes Philipp IV. auf Berliner oder/Leipziger Zustände überträgt, so entsteht daraus in der Regel ein ganz lächerlicher Widerspruch, ein Wider¬ spruch, der noch viel handgreiflicher hervortritt, als der des modernen pariser Theaters. In technischer Beziehung könnten unsere Lustspieldichter aus Calderon allerdings sehr viel lernen, denn er ist darin musterhaft. Allein hier liegt uns doch ein anderes Vorbild näher. Unsere Romantiker werden zwar zusammen¬ schaudern, wenn wir Calderon mit Scribe vergleichen, allein man stelle einmal une edsrimz, oainüracic-rio, la oalomnig, verrs ä'can, Lertrimä et Katon, le in-rriaZ« ü'in^ent, 1a butaille (les clamss und vielleicht »och 6 bis -10 andere mit den besten Lustspielen vou Calderon zusammen, nehme von den letztern die poetische Färbung ab, die für uus doch nicht zu brauchen ist und die nebenbei sehr häufig in Schwulst und geziertes Wesen (Gougvrismus) übergeht, und frage sich dann ehrlich, wem der Preis zukommt. Die Fehler siud bei, ihnen die nämlichen, es kommt ihnen lediglich auf die Handlung an und sie haben keine großen Gewissensbedenkeu, aus ihren Personen in jedem Augenblick das zu machen, was sie grade brauchen; in der Technik sind beide gleich musterhaft, und was die Charakteristik betrifft, d. h. die detaillirte Ausmalung der Personen und Zu- Grenzboten. I. 18ö4. > , 7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/57>, abgerufen am 26.06.2024.