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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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alle Rücksichten einzuschreiten; ein mächtiger Staat mag freveln: seine Lenker
wird höchstens die allgemeine Verachtung treffen; aber ein ohnmächtiger hat in
solchem Falle seine Existenz verwirkt. Ich wiederhole es: man gedenkt der gegen¬
wärtigen hellenischen Regierung, vielleicht dem Königreich selbst, ein schnelles Ende zu
bereiten. Mögen sich die wenigen Freunde, welche eine, wie man hier annimmt, treu¬
lose, für höhere Cultur unempfängliche, ja uuberathbare, auf deu Schacher durch ihre
Eigenschaften allein hingewiesene und hier selbst den Juden überlegene Nation, in
Deutschland sich noch erhalten hat, auf diesen Gcwaltschlag gefaßt machen.

Ich muß Ihnen gestehen, daß ich in Betreff dieser Verwicklung uur eine
Besorgniß hege: die zahlreichen irregulären Truppen,'welche man nach Albanien
theils bereits in Marsch" gesetzt hat, theils noch hin beordern wird, möchten nicht
die beste Disciplin halten, in einzelnen Fällen Grausamkeiten begehen, wie sie
früher, d. h. in dem letzten Gricchcnkriege, in Masse vorgekommen find und
welche die türkenfeindliche Presse in Europa uicht säumen wird, im hohen Maße
zu übertreibe", wodurch letztlich möglicherweise eine, wenn auch uur partielle
Reaction der öffentlichen Meinung zu Gunsten Rußlands entstehen kann.

Den Brief des Kaisers Napoleon an den Zaren nahm man hier gleich
anfangs als ein die abschlägige Antwort provocirendes Schriftstück und hatte
darüber selbst in diplomatischen Cirkeln kein Hehl.

Seit vier Tagen unterhält man sich über einen Schlaganfall, der den Kaiser
Nikolaus betroffen haben soll, und, seltsam zu sagen: nicht in der Masse des
Publicums allein schenkt man ihm Glauben. Dabei ist man äußerst schnell, aber
ungeschickt im Combiniren und will in dem Vorfall lediglich eine Mystification er¬
kennen, die es dem Zaren ermöglichen solle, mit Ehren die Zügel der oberen
Stcuitslcitung in die Hände des Cäsarewitsch niederzulegen.

Ein Gang durch die große Perastraße (hör-mele ruo et-z ?ora), namentlich
des Sonntags, bietet gegenwärtig ein noch ungleich bunteres Bild als in gewöhn¬
lichen Zeiten dar. Seit Ankunft der Flotten Englands und Frankreichs und ver¬
schiedener einzelner fremdherrlichcr Kriegsfahrzcnge, die nunmehr hier bleibende
Station genommen zu haben scheinen, hatte sich das farbenreiche Gewimmel vou
Türken, theils im Fez und fränkischen Rock, theils im Pelz und Bund, vou Ar¬
meniern, Griechen, Juden, Zigeunern, von Bulgaren eirdlich mit ihren runden
Pelzkappen und Arabern im geblich weißen und braunen Burnus, durch die Ma¬
rineuniformen aller Nationen vermehrt. Alsdann langten die ersten Offiziere der
englischen Landarmee, meistens Artilleristen und Ingenieure, hier an; französische
folgten ihnen nach. Man sah zum ersten Male in Pera die breiten metallenen
Achselstücke (Epauletten) der britischen Offiziere aus der Rubrik der Landratten
und den hohen, knappen französischen Tschako. Aber immer fehlten noch die
eigentlichen Rothhosen und Rothröcke. Seit acht Tagen treffen auch diese zahl¬
reich ein. Die Toilette de'r Herren aus Frankreich ist keineswegs elegant. Einen


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alle Rücksichten einzuschreiten; ein mächtiger Staat mag freveln: seine Lenker
wird höchstens die allgemeine Verachtung treffen; aber ein ohnmächtiger hat in
solchem Falle seine Existenz verwirkt. Ich wiederhole es: man gedenkt der gegen¬
wärtigen hellenischen Regierung, vielleicht dem Königreich selbst, ein schnelles Ende zu
bereiten. Mögen sich die wenigen Freunde, welche eine, wie man hier annimmt, treu¬
lose, für höhere Cultur unempfängliche, ja uuberathbare, auf deu Schacher durch ihre
Eigenschaften allein hingewiesene und hier selbst den Juden überlegene Nation, in
Deutschland sich noch erhalten hat, auf diesen Gcwaltschlag gefaßt machen.

Ich muß Ihnen gestehen, daß ich in Betreff dieser Verwicklung uur eine
Besorgniß hege: die zahlreichen irregulären Truppen,'welche man nach Albanien
theils bereits in Marsch" gesetzt hat, theils noch hin beordern wird, möchten nicht
die beste Disciplin halten, in einzelnen Fällen Grausamkeiten begehen, wie sie
früher, d. h. in dem letzten Gricchcnkriege, in Masse vorgekommen find und
welche die türkenfeindliche Presse in Europa uicht säumen wird, im hohen Maße
zu übertreibe», wodurch letztlich möglicherweise eine, wenn auch uur partielle
Reaction der öffentlichen Meinung zu Gunsten Rußlands entstehen kann.

Den Brief des Kaisers Napoleon an den Zaren nahm man hier gleich
anfangs als ein die abschlägige Antwort provocirendes Schriftstück und hatte
darüber selbst in diplomatischen Cirkeln kein Hehl.

Seit vier Tagen unterhält man sich über einen Schlaganfall, der den Kaiser
Nikolaus betroffen haben soll, und, seltsam zu sagen: nicht in der Masse des
Publicums allein schenkt man ihm Glauben. Dabei ist man äußerst schnell, aber
ungeschickt im Combiniren und will in dem Vorfall lediglich eine Mystification er¬
kennen, die es dem Zaren ermöglichen solle, mit Ehren die Zügel der oberen
Stcuitslcitung in die Hände des Cäsarewitsch niederzulegen.

Ein Gang durch die große Perastraße (hör-mele ruo et-z ?ora), namentlich
des Sonntags, bietet gegenwärtig ein noch ungleich bunteres Bild als in gewöhn¬
lichen Zeiten dar. Seit Ankunft der Flotten Englands und Frankreichs und ver¬
schiedener einzelner fremdherrlichcr Kriegsfahrzcnge, die nunmehr hier bleibende
Station genommen zu haben scheinen, hatte sich das farbenreiche Gewimmel vou
Türken, theils im Fez und fränkischen Rock, theils im Pelz und Bund, vou Ar¬
meniern, Griechen, Juden, Zigeunern, von Bulgaren eirdlich mit ihren runden
Pelzkappen und Arabern im geblich weißen und braunen Burnus, durch die Ma¬
rineuniformen aller Nationen vermehrt. Alsdann langten die ersten Offiziere der
englischen Landarmee, meistens Artilleristen und Ingenieure, hier an; französische
folgten ihnen nach. Man sah zum ersten Male in Pera die breiten metallenen
Achselstücke (Epauletten) der britischen Offiziere aus der Rubrik der Landratten
und den hohen, knappen französischen Tschako. Aber immer fehlten noch die
eigentlichen Rothhosen und Rothröcke. Seit acht Tagen treffen auch diese zahl¬
reich ein. Die Toilette de'r Herren aus Frankreich ist keineswegs elegant. Einen


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[0515] alle Rücksichten einzuschreiten; ein mächtiger Staat mag freveln: seine Lenker wird höchstens die allgemeine Verachtung treffen; aber ein ohnmächtiger hat in solchem Falle seine Existenz verwirkt. Ich wiederhole es: man gedenkt der gegen¬ wärtigen hellenischen Regierung, vielleicht dem Königreich selbst, ein schnelles Ende zu bereiten. Mögen sich die wenigen Freunde, welche eine, wie man hier annimmt, treu¬ lose, für höhere Cultur unempfängliche, ja uuberathbare, auf deu Schacher durch ihre Eigenschaften allein hingewiesene und hier selbst den Juden überlegene Nation, in Deutschland sich noch erhalten hat, auf diesen Gcwaltschlag gefaßt machen. Ich muß Ihnen gestehen, daß ich in Betreff dieser Verwicklung uur eine Besorgniß hege: die zahlreichen irregulären Truppen,'welche man nach Albanien theils bereits in Marsch" gesetzt hat, theils noch hin beordern wird, möchten nicht die beste Disciplin halten, in einzelnen Fällen Grausamkeiten begehen, wie sie früher, d. h. in dem letzten Gricchcnkriege, in Masse vorgekommen find und welche die türkenfeindliche Presse in Europa uicht säumen wird, im hohen Maße zu übertreibe», wodurch letztlich möglicherweise eine, wenn auch uur partielle Reaction der öffentlichen Meinung zu Gunsten Rußlands entstehen kann. Den Brief des Kaisers Napoleon an den Zaren nahm man hier gleich anfangs als ein die abschlägige Antwort provocirendes Schriftstück und hatte darüber selbst in diplomatischen Cirkeln kein Hehl. Seit vier Tagen unterhält man sich über einen Schlaganfall, der den Kaiser Nikolaus betroffen haben soll, und, seltsam zu sagen: nicht in der Masse des Publicums allein schenkt man ihm Glauben. Dabei ist man äußerst schnell, aber ungeschickt im Combiniren und will in dem Vorfall lediglich eine Mystification er¬ kennen, die es dem Zaren ermöglichen solle, mit Ehren die Zügel der oberen Stcuitslcitung in die Hände des Cäsarewitsch niederzulegen. Ein Gang durch die große Perastraße (hör-mele ruo et-z ?ora), namentlich des Sonntags, bietet gegenwärtig ein noch ungleich bunteres Bild als in gewöhn¬ lichen Zeiten dar. Seit Ankunft der Flotten Englands und Frankreichs und ver¬ schiedener einzelner fremdherrlichcr Kriegsfahrzcnge, die nunmehr hier bleibende Station genommen zu haben scheinen, hatte sich das farbenreiche Gewimmel vou Türken, theils im Fez und fränkischen Rock, theils im Pelz und Bund, vou Ar¬ meniern, Griechen, Juden, Zigeunern, von Bulgaren eirdlich mit ihren runden Pelzkappen und Arabern im geblich weißen und braunen Burnus, durch die Ma¬ rineuniformen aller Nationen vermehrt. Alsdann langten die ersten Offiziere der englischen Landarmee, meistens Artilleristen und Ingenieure, hier an; französische folgten ihnen nach. Man sah zum ersten Male in Pera die breiten metallenen Achselstücke (Epauletten) der britischen Offiziere aus der Rubrik der Landratten und den hohen, knappen französischen Tschako. Aber immer fehlten noch die eigentlichen Rothhosen und Rothröcke. Seit acht Tagen treffen auch diese zahl¬ reich ein. Die Toilette de'r Herren aus Frankreich ist keineswegs elegant. Einen 64*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/515>, abgerufen am 26.06.2024.