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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Was die Opposition durch diese Diplomatie zu gewinnen gedenkt, ist uns
nicht bekannt. Ans alle Fälle steht es in keinem Verhältnisse zu dem, was sie
dadurch verliert: das Vertrauen der Gebildeten im Volk, die einzige Grundlage,
auf die sie sich stützen kau". Das Volk wird irre, und die Geguer werden nicht
gewonnen. Die Kreuzzeitung, die in der orientalischen Frage die Negierung so
lebhaft befehdete, erklärt jetzt, nachdem diese sich bekehrt hat, daß nach constitu-
tionellen Grundsätze" die auswärtigen Angelegenheiten gar nicht vor das Forum
der Kammer gehören, daß über Krieg und Frieden der Souverän unbeschränkte
Gewalt haben muß. Sie predigt unbedingte Unterwerfung unter den Wille"
der Regierung, weil diese jetzt will, was sie selber will; ja sie entblödet sich nicht,
die Fahne des Patriotismus quariÄ-lusus aufzupflanzen.

Man darf aus constitutionelle Grundsätze nur soweit Gewicht legen, als sie
der Natur der Thatsachen entsprechen. In unserer Zeit werden nur diejenigen
Kriege mit Aussicht ans Erfolg unternommen, welche die moralische Theilnahme
der Nation für sich haben. Unter den gegenwärtigen kriegführenden Mächten
sind Rußland, Frankreich und die Pforte gewiß keine constitutionellen Staaten;
dennoch zögern die Herrscher dieser Staaten keinen Augenblick, an das Urtheil
ihrer Völker z" appelliren und ihnen über ihr Verhalten Rechenschaft zu geben:
theils durch die Presse, theils vermittelst derjenige" politischen Korporationen, die
bei ihnen noch existiren. In allen drei Ländern ist der Krieg wirklich ein na¬
tionaler, das Volk geht mit der Regierung Hand in Hand, ja es drängt sie mit
dem ganzen Gewicht einer formlosen Masse vorwärts. Preußen hat noch ein
viel näher liegendes Interesse. Bei England und Frankreich ist es nicht im
Bereich der Wahrscheinlichkeit, daß sie den Krieg innerhalb ihrer Grenzen haben
werden; bei Deutschland ist das Gegentheil anzunehmen. Und es scheint uns
eine viel wichtigere und eindringlichere innere Frage zu sein, ob unsere Felder
verwüstet, unsere Städte zerstört, unser Geschäftsbetrieb unterdrückt, unsere Staats-
einrichtungen dnrch äußere Gewalt an der Wurzel angegriffen werden, als die
Frage, ob ein Jude Schulze werden kann, ob ein neues Schulhaus von der
Kirchen- oder von der Landgemeinde gebant werden soll u. s. w. Wenn man
einen Credit von 30 Millionen bewilligen soll, einem Ministerium, welches in
der Olmützer Zeit die gleiche Summe ausgegeben, so muß man wissen, wofür.

Die Opposition hat schon früher zweimal in sehr ernsten Augenblicken keinen
Anstand genommen, ihre moralische Einwirkung aus die Führung der auswärtigen
Angelegenheiten auszuüben, im April -1849 und im December 18S0. Und wenn
in beiden Fällen ihre Einwirkung erfolglos blieb, so lag das darin, daß es
damals der preußische" Regierung freistand, freilich mit Gefährdung ihres Credits,
rückwärts zu gehe", was ja der Starke in der Regel thun soll. Damals konnte
die Negierung darauf rechnen, durch unbedingte Hinnahme alles dessen, was man
ihr bot, der Eventualität einer Entscheidung zu entgehen. So steht die Sache


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Was die Opposition durch diese Diplomatie zu gewinnen gedenkt, ist uns
nicht bekannt. Ans alle Fälle steht es in keinem Verhältnisse zu dem, was sie
dadurch verliert: das Vertrauen der Gebildeten im Volk, die einzige Grundlage,
auf die sie sich stützen kau». Das Volk wird irre, und die Geguer werden nicht
gewonnen. Die Kreuzzeitung, die in der orientalischen Frage die Negierung so
lebhaft befehdete, erklärt jetzt, nachdem diese sich bekehrt hat, daß nach constitu-
tionellen Grundsätze» die auswärtigen Angelegenheiten gar nicht vor das Forum
der Kammer gehören, daß über Krieg und Frieden der Souverän unbeschränkte
Gewalt haben muß. Sie predigt unbedingte Unterwerfung unter den Wille»
der Regierung, weil diese jetzt will, was sie selber will; ja sie entblödet sich nicht,
die Fahne des Patriotismus quariÄ-lusus aufzupflanzen.

Man darf aus constitutionelle Grundsätze nur soweit Gewicht legen, als sie
der Natur der Thatsachen entsprechen. In unserer Zeit werden nur diejenigen
Kriege mit Aussicht ans Erfolg unternommen, welche die moralische Theilnahme
der Nation für sich haben. Unter den gegenwärtigen kriegführenden Mächten
sind Rußland, Frankreich und die Pforte gewiß keine constitutionellen Staaten;
dennoch zögern die Herrscher dieser Staaten keinen Augenblick, an das Urtheil
ihrer Völker z» appelliren und ihnen über ihr Verhalten Rechenschaft zu geben:
theils durch die Presse, theils vermittelst derjenige» politischen Korporationen, die
bei ihnen noch existiren. In allen drei Ländern ist der Krieg wirklich ein na¬
tionaler, das Volk geht mit der Regierung Hand in Hand, ja es drängt sie mit
dem ganzen Gewicht einer formlosen Masse vorwärts. Preußen hat noch ein
viel näher liegendes Interesse. Bei England und Frankreich ist es nicht im
Bereich der Wahrscheinlichkeit, daß sie den Krieg innerhalb ihrer Grenzen haben
werden; bei Deutschland ist das Gegentheil anzunehmen. Und es scheint uns
eine viel wichtigere und eindringlichere innere Frage zu sein, ob unsere Felder
verwüstet, unsere Städte zerstört, unser Geschäftsbetrieb unterdrückt, unsere Staats-
einrichtungen dnrch äußere Gewalt an der Wurzel angegriffen werden, als die
Frage, ob ein Jude Schulze werden kann, ob ein neues Schulhaus von der
Kirchen- oder von der Landgemeinde gebant werden soll u. s. w. Wenn man
einen Credit von 30 Millionen bewilligen soll, einem Ministerium, welches in
der Olmützer Zeit die gleiche Summe ausgegeben, so muß man wissen, wofür.

Die Opposition hat schon früher zweimal in sehr ernsten Augenblicken keinen
Anstand genommen, ihre moralische Einwirkung aus die Führung der auswärtigen
Angelegenheiten auszuüben, im April -1849 und im December 18S0. Und wenn
in beiden Fällen ihre Einwirkung erfolglos blieb, so lag das darin, daß es
damals der preußische» Regierung freistand, freilich mit Gefährdung ihres Credits,
rückwärts zu gehe», was ja der Starke in der Regel thun soll. Damals konnte
die Negierung darauf rechnen, durch unbedingte Hinnahme alles dessen, was man
ihr bot, der Eventualität einer Entscheidung zu entgehen. So steht die Sache


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[0507] Was die Opposition durch diese Diplomatie zu gewinnen gedenkt, ist uns nicht bekannt. Ans alle Fälle steht es in keinem Verhältnisse zu dem, was sie dadurch verliert: das Vertrauen der Gebildeten im Volk, die einzige Grundlage, auf die sie sich stützen kau». Das Volk wird irre, und die Geguer werden nicht gewonnen. Die Kreuzzeitung, die in der orientalischen Frage die Negierung so lebhaft befehdete, erklärt jetzt, nachdem diese sich bekehrt hat, daß nach constitu- tionellen Grundsätze» die auswärtigen Angelegenheiten gar nicht vor das Forum der Kammer gehören, daß über Krieg und Frieden der Souverän unbeschränkte Gewalt haben muß. Sie predigt unbedingte Unterwerfung unter den Wille» der Regierung, weil diese jetzt will, was sie selber will; ja sie entblödet sich nicht, die Fahne des Patriotismus quariÄ-lusus aufzupflanzen. Man darf aus constitutionelle Grundsätze nur soweit Gewicht legen, als sie der Natur der Thatsachen entsprechen. In unserer Zeit werden nur diejenigen Kriege mit Aussicht ans Erfolg unternommen, welche die moralische Theilnahme der Nation für sich haben. Unter den gegenwärtigen kriegführenden Mächten sind Rußland, Frankreich und die Pforte gewiß keine constitutionellen Staaten; dennoch zögern die Herrscher dieser Staaten keinen Augenblick, an das Urtheil ihrer Völker z» appelliren und ihnen über ihr Verhalten Rechenschaft zu geben: theils durch die Presse, theils vermittelst derjenige» politischen Korporationen, die bei ihnen noch existiren. In allen drei Ländern ist der Krieg wirklich ein na¬ tionaler, das Volk geht mit der Regierung Hand in Hand, ja es drängt sie mit dem ganzen Gewicht einer formlosen Masse vorwärts. Preußen hat noch ein viel näher liegendes Interesse. Bei England und Frankreich ist es nicht im Bereich der Wahrscheinlichkeit, daß sie den Krieg innerhalb ihrer Grenzen haben werden; bei Deutschland ist das Gegentheil anzunehmen. Und es scheint uns eine viel wichtigere und eindringlichere innere Frage zu sein, ob unsere Felder verwüstet, unsere Städte zerstört, unser Geschäftsbetrieb unterdrückt, unsere Staats- einrichtungen dnrch äußere Gewalt an der Wurzel angegriffen werden, als die Frage, ob ein Jude Schulze werden kann, ob ein neues Schulhaus von der Kirchen- oder von der Landgemeinde gebant werden soll u. s. w. Wenn man einen Credit von 30 Millionen bewilligen soll, einem Ministerium, welches in der Olmützer Zeit die gleiche Summe ausgegeben, so muß man wissen, wofür. Die Opposition hat schon früher zweimal in sehr ernsten Augenblicken keinen Anstand genommen, ihre moralische Einwirkung aus die Führung der auswärtigen Angelegenheiten auszuüben, im April -1849 und im December 18S0. Und wenn in beiden Fällen ihre Einwirkung erfolglos blieb, so lag das darin, daß es damals der preußische» Regierung freistand, freilich mit Gefährdung ihres Credits, rückwärts zu gehe», was ja der Starke in der Regel thun soll. Damals konnte die Negierung darauf rechnen, durch unbedingte Hinnahme alles dessen, was man ihr bot, der Eventualität einer Entscheidung zu entgehen. So steht die Sache 63*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/507>, abgerufen am 03.07.2024.