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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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mich der Predigt stattfindet. Mit allen diesen Verunstaltungen ist die großartige
Ruine jetzt noch viel weniger als früher geeignet, bei Tageslicht einen großen
Eindruck zu machen, mau muß sie bei Mondschein sehn.

Die Predigt des Kapuziners wird an jedem Freitag und Sonntagnachmittag
gehalten, wenn das Wetter es erlaubt. So oft ich dort war, predigte derselbe
Mönch: ein noch junger, wohlgebildeter, beinah schöner Maun, mit blassem Gesicht
und etwas tiefliegenden feurigen Augen. Seine Stimme war wohltönend und
kräftig; wenn er sie erhob, hallten die Bogen wieder, seine Gesticulation ange¬
messen, seine Aussprache edel. Von der Art und Weise seiner Predigten kann
ich keinen bessern Begriff geben, als wenn ich die Skizze von einer aus der
Erinnerung herschreibe.

NamtoslÄl'i oportöt auto tribunal --wir müssen uus vor dem Richter-
stuhl offenbaren -- so der Apostel Paulus. Als das göttliche Wort sich zum
ersten Mal mit diesem elenden Fleisch bekleidete, als es Drangsale, Leiden und den
Kreuzestod über sich ergehen ließ, um von der Welt zu nehmen die Ketten der
ewigen Verdammuiß: das war göttliche Liebe, höchste Zärtlichkeit. Aber'wird es
ebenso sein, wenn Gott zum zweiten Male erscheine" wird? Nein, meine lieben Christen!
Dann wird er kommen als unerbittlicher Richter, ganz Strenge, ganz Majestät. Le
viele-bunt innen Iwminis toetmn nuvö, -- Sie werden des Menschen Sohn in eine
Wolke gehüllt sehn! Ich will von jenem furchtbaren Tage des jüngsten Gerichts,
jenem unendlichen, nie zu erschöpfenden Gegenstande der Betrachtung nicht aus¬
führlich reden. Nur allein die Angst, das Erröthen, die Scham, die Pein der
verworfenen Seele will ich Euch vorstellen, wenn sie sich offenbaren muß vor dem
Richterstuhl Gottesj vor Himmel und Erde-- inanildstari oportst undo tribunnl.
Wenn alle menschlichen Generationen vergangen sein werden; wann ein tiefes
gräßliches Schweigen über dem Weltall ruhen wird, dann wird der Nuf an uus
alle erschallen, vor dem schrecklichen Gerichte Jesu zu erscheinen. Ich will nicht
schildern, wie eine selige Seele, herabgestiegen vom Himmel, entzückt den Körper
umfassen wird, (a,bbriioLi6rü. it eoriio), mit dein sie sich wieder vereinigen soll.
Aber wie, wenn die verdammte Seele, heraufgestiegen aus der Hölle, ihren Körper
erblicken wird, häßlich und ungestalt wie die Teufel sind! Alles möchte sie lieber
erdulden, als sich mit ihm vereinen! Mit HiobS Worten wird sie ausrufen:
Le in eam-z in"z-i viäebo ahnen noua? -- und in meinem Fleische soll ich den
Herrn sehn? Mit diesen üppigen Angen, (venti I^viol), mir denen ich so viele,
viele Male (tarw volto v tante) jene Dinge sah, an die man züchtiger Weise
auch nicht einmal denken darf? M in een-ne mea viclLbo ne-um usum? Mit
diesen Händen, mit denen ich so viele, viele Male jene leichtfertigen Scherze trieb,
mit denen ich fremdes, Eigenthum nahm, in unheiligen Büchern blätterte, das
Gut der Wittwe und der Waise erpreßte -- M in varie weg, vieledc, 6can
insunt? Mit diesen Füßen, mit denen ich zu jenem verdammten Hanse ging, so


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mich der Predigt stattfindet. Mit allen diesen Verunstaltungen ist die großartige
Ruine jetzt noch viel weniger als früher geeignet, bei Tageslicht einen großen
Eindruck zu machen, mau muß sie bei Mondschein sehn.

Die Predigt des Kapuziners wird an jedem Freitag und Sonntagnachmittag
gehalten, wenn das Wetter es erlaubt. So oft ich dort war, predigte derselbe
Mönch: ein noch junger, wohlgebildeter, beinah schöner Maun, mit blassem Gesicht
und etwas tiefliegenden feurigen Augen. Seine Stimme war wohltönend und
kräftig; wenn er sie erhob, hallten die Bogen wieder, seine Gesticulation ange¬
messen, seine Aussprache edel. Von der Art und Weise seiner Predigten kann
ich keinen bessern Begriff geben, als wenn ich die Skizze von einer aus der
Erinnerung herschreibe.

NamtoslÄl'i oportöt auto tribunal —wir müssen uus vor dem Richter-
stuhl offenbaren — so der Apostel Paulus. Als das göttliche Wort sich zum
ersten Mal mit diesem elenden Fleisch bekleidete, als es Drangsale, Leiden und den
Kreuzestod über sich ergehen ließ, um von der Welt zu nehmen die Ketten der
ewigen Verdammuiß: das war göttliche Liebe, höchste Zärtlichkeit. Aber'wird es
ebenso sein, wenn Gott zum zweiten Male erscheine» wird? Nein, meine lieben Christen!
Dann wird er kommen als unerbittlicher Richter, ganz Strenge, ganz Majestät. Le
viele-bunt innen Iwminis toetmn nuvö, — Sie werden des Menschen Sohn in eine
Wolke gehüllt sehn! Ich will von jenem furchtbaren Tage des jüngsten Gerichts,
jenem unendlichen, nie zu erschöpfenden Gegenstande der Betrachtung nicht aus¬
führlich reden. Nur allein die Angst, das Erröthen, die Scham, die Pein der
verworfenen Seele will ich Euch vorstellen, wenn sie sich offenbaren muß vor dem
Richterstuhl Gottesj vor Himmel und Erde— inanildstari oportst undo tribunnl.
Wenn alle menschlichen Generationen vergangen sein werden; wann ein tiefes
gräßliches Schweigen über dem Weltall ruhen wird, dann wird der Nuf an uus
alle erschallen, vor dem schrecklichen Gerichte Jesu zu erscheinen. Ich will nicht
schildern, wie eine selige Seele, herabgestiegen vom Himmel, entzückt den Körper
umfassen wird, (a,bbriioLi6rü. it eoriio), mit dein sie sich wieder vereinigen soll.
Aber wie, wenn die verdammte Seele, heraufgestiegen aus der Hölle, ihren Körper
erblicken wird, häßlich und ungestalt wie die Teufel sind! Alles möchte sie lieber
erdulden, als sich mit ihm vereinen! Mit HiobS Worten wird sie ausrufen:
Le in eam-z in«z-i viäebo ahnen noua? — und in meinem Fleische soll ich den
Herrn sehn? Mit diesen üppigen Angen, (venti I^viol), mir denen ich so viele,
viele Male (tarw volto v tante) jene Dinge sah, an die man züchtiger Weise
auch nicht einmal denken darf? M in een-ne mea viclLbo ne-um usum? Mit
diesen Händen, mit denen ich so viele, viele Male jene leichtfertigen Scherze trieb,
mit denen ich fremdes, Eigenthum nahm, in unheiligen Büchern blätterte, das
Gut der Wittwe und der Waise erpreßte — M in varie weg, vieledc, 6can
insunt? Mit diesen Füßen, mit denen ich zu jenem verdammten Hanse ging, so


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[0491] mich der Predigt stattfindet. Mit allen diesen Verunstaltungen ist die großartige Ruine jetzt noch viel weniger als früher geeignet, bei Tageslicht einen großen Eindruck zu machen, mau muß sie bei Mondschein sehn. Die Predigt des Kapuziners wird an jedem Freitag und Sonntagnachmittag gehalten, wenn das Wetter es erlaubt. So oft ich dort war, predigte derselbe Mönch: ein noch junger, wohlgebildeter, beinah schöner Maun, mit blassem Gesicht und etwas tiefliegenden feurigen Augen. Seine Stimme war wohltönend und kräftig; wenn er sie erhob, hallten die Bogen wieder, seine Gesticulation ange¬ messen, seine Aussprache edel. Von der Art und Weise seiner Predigten kann ich keinen bessern Begriff geben, als wenn ich die Skizze von einer aus der Erinnerung herschreibe. NamtoslÄl'i oportöt auto tribunal —wir müssen uus vor dem Richter- stuhl offenbaren — so der Apostel Paulus. Als das göttliche Wort sich zum ersten Mal mit diesem elenden Fleisch bekleidete, als es Drangsale, Leiden und den Kreuzestod über sich ergehen ließ, um von der Welt zu nehmen die Ketten der ewigen Verdammuiß: das war göttliche Liebe, höchste Zärtlichkeit. Aber'wird es ebenso sein, wenn Gott zum zweiten Male erscheine» wird? Nein, meine lieben Christen! Dann wird er kommen als unerbittlicher Richter, ganz Strenge, ganz Majestät. Le viele-bunt innen Iwminis toetmn nuvö, — Sie werden des Menschen Sohn in eine Wolke gehüllt sehn! Ich will von jenem furchtbaren Tage des jüngsten Gerichts, jenem unendlichen, nie zu erschöpfenden Gegenstande der Betrachtung nicht aus¬ führlich reden. Nur allein die Angst, das Erröthen, die Scham, die Pein der verworfenen Seele will ich Euch vorstellen, wenn sie sich offenbaren muß vor dem Richterstuhl Gottesj vor Himmel und Erde— inanildstari oportst undo tribunnl. Wenn alle menschlichen Generationen vergangen sein werden; wann ein tiefes gräßliches Schweigen über dem Weltall ruhen wird, dann wird der Nuf an uus alle erschallen, vor dem schrecklichen Gerichte Jesu zu erscheinen. Ich will nicht schildern, wie eine selige Seele, herabgestiegen vom Himmel, entzückt den Körper umfassen wird, (a,bbriioLi6rü. it eoriio), mit dein sie sich wieder vereinigen soll. Aber wie, wenn die verdammte Seele, heraufgestiegen aus der Hölle, ihren Körper erblicken wird, häßlich und ungestalt wie die Teufel sind! Alles möchte sie lieber erdulden, als sich mit ihm vereinen! Mit HiobS Worten wird sie ausrufen: Le in eam-z in«z-i viäebo ahnen noua? — und in meinem Fleische soll ich den Herrn sehn? Mit diesen üppigen Angen, (venti I^viol), mir denen ich so viele, viele Male (tarw volto v tante) jene Dinge sah, an die man züchtiger Weise auch nicht einmal denken darf? M in een-ne mea viclLbo ne-um usum? Mit diesen Händen, mit denen ich so viele, viele Male jene leichtfertigen Scherze trieb, mit denen ich fremdes, Eigenthum nahm, in unheiligen Büchern blätterte, das Gut der Wittwe und der Waise erpreßte — M in varie weg, vieledc, 6can insunt? Mit diesen Füßen, mit denen ich zu jenem verdammten Hanse ging, so 61*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/491>, abgerufen am 28.09.2024.