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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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einen Stützpunkt gegen die Westmächte Europas zu gewähren. Wenn -- wovon ich
keineswegs überzeugt bin -- die Nothwendigkeit einer Auflösung des türkischen
Reiches eintreten sollte, so dürfte Rußland die am mindesten geeignete Macht sein,
um mit Oestreich zu theilen. Letzteres darf für diesen Fall, das muß jedem einleuch¬
ten, der die Handelsverhältnisse dieses Landes und deu russischen Tarif auch uur
ihren Grundzügen nach kennt, unter keine" Umstanden weder ans die freie Donau,
noch auf die Provinzen nord- und südwärts derselben Verzicht leisten.

Wenn ich nicht irre, so sind solche Ansichten dem ausgezeichneten Manne
selber, welcher Oestreich bei der Pforte vertritt, nicht fremd. Herr von Bruck ist
kein Gegner von Rußland, aber ein eifriger Verfechter deS vaterländischen In¬
teresses. Als einstiger Dirigent" des großen Lloydiustituls ist er zugleich der be¬
fähigste unter allen östreichischen Staatsmännern, um dieses Interesse in seinem
weitesten Umfange aufzufassen und zur Geltung zu bringe". Man darf darauf
rechne", daß seiner Stimme, der markirten Tendenz seiner Depeschen, in Wien
die bestimmende Kraft zugestände" wird, welche auszuüben sie berechtigt sind.

Monastir ist Mittelpunkt eines weite" Verwaltungskreises, eines EjaletS oder
einer General^Statthalterschaft, ganz Albanien und Macedonien gehöre" uuter
seine Administration. Diesen Vorrang vor den andern Orten des betreffenden
Gebietes verdient es durch seine Größe und Centrallage. Ich glaube, daß hier
gegen 30,000 Menschen leben. In Hinsicht auf eine mögliche russische Invasion
will es wichtig erscheine", eine" solche" Punkt, mit' seinen reichen Hülfsquellen
(ein ganzes Armeecorps würde hier Schuhwerk und Tuch zur Bekleidung vor¬
finden!) der feindlichen Besitznahme durch eine umlaufende Befestigung zu ent¬
ziehen. Indeß eigner sich das Terrain wenig zur Ausführung solches Planes.
Der Ort scheint von der einen Seite von den benachbarten Bergen her, und
zwar innerhalb der Kauo"ansah"ßwcite völlig boni"ire zu sei".

Auf einen: d'er Plätze sah ich gegen tausend bereits eingekleidete Recruten
versammelt. Ich muß gestehe", daß mich die vorzügliche Haltung dieser junge" Trup¬
pe", die noch nicht einmal Gewehre empfange" hatten, überraschte. Im allgemeine"
gibt es kaum einen besser zum Kriegsdienst geeigneten Volksstamm, als de" al- ^
banesische" und arnautischen, dem die Hauptmasse der Bewohner dieser Gegenden
angehört. Sie siud zu allen Zeiten die. Stützen nud Grundpfeiler der. türkischen
Militärmacht gewesen, und sind es l'is auf deu heutigen Tng geblieben.' Die
Pforte hat aber recht gethan, indem sie diese Stämme nicht wie andere für den
irregulären Dienst reservirte, sondern sie ohne Ansnahme der Linienarmee einver¬
leibte. Wenn man in deutschen Zeitungen von eiuer vermeintlichen Flucht der
arnautischen Regimenter bei Tschelani geschrieben, so konnte man kaum eine Nach¬
richt bringen, die hier unglaublicher geschienen hätte. Die Arnauten und Albanesen
siud das für de" türkische" Padischah, was für deu große" Napoleon seine alte
Garde gewesen. __




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einen Stützpunkt gegen die Westmächte Europas zu gewähren. Wenn — wovon ich
keineswegs überzeugt bin — die Nothwendigkeit einer Auflösung des türkischen
Reiches eintreten sollte, so dürfte Rußland die am mindesten geeignete Macht sein,
um mit Oestreich zu theilen. Letzteres darf für diesen Fall, das muß jedem einleuch¬
ten, der die Handelsverhältnisse dieses Landes und deu russischen Tarif auch uur
ihren Grundzügen nach kennt, unter keine» Umstanden weder ans die freie Donau,
noch auf die Provinzen nord- und südwärts derselben Verzicht leisten.

Wenn ich nicht irre, so sind solche Ansichten dem ausgezeichneten Manne
selber, welcher Oestreich bei der Pforte vertritt, nicht fremd. Herr von Bruck ist
kein Gegner von Rußland, aber ein eifriger Verfechter deS vaterländischen In¬
teresses. Als einstiger Dirigent" des großen Lloydiustituls ist er zugleich der be¬
fähigste unter allen östreichischen Staatsmännern, um dieses Interesse in seinem
weitesten Umfange aufzufassen und zur Geltung zu bringe». Man darf darauf
rechne», daß seiner Stimme, der markirten Tendenz seiner Depeschen, in Wien
die bestimmende Kraft zugestände» wird, welche auszuüben sie berechtigt sind.

Monastir ist Mittelpunkt eines weite» Verwaltungskreises, eines EjaletS oder
einer General^Statthalterschaft, ganz Albanien und Macedonien gehöre» uuter
seine Administration. Diesen Vorrang vor den andern Orten des betreffenden
Gebietes verdient es durch seine Größe und Centrallage. Ich glaube, daß hier
gegen 30,000 Menschen leben. In Hinsicht auf eine mögliche russische Invasion
will es wichtig erscheine», eine» solche» Punkt, mit' seinen reichen Hülfsquellen
(ein ganzes Armeecorps würde hier Schuhwerk und Tuch zur Bekleidung vor¬
finden!) der feindlichen Besitznahme durch eine umlaufende Befestigung zu ent¬
ziehen. Indeß eigner sich das Terrain wenig zur Ausführung solches Planes.
Der Ort scheint von der einen Seite von den benachbarten Bergen her, und
zwar innerhalb der Kauo»ansah»ßwcite völlig boni»ire zu sei».

Auf einen: d'er Plätze sah ich gegen tausend bereits eingekleidete Recruten
versammelt. Ich muß gestehe», daß mich die vorzügliche Haltung dieser junge» Trup¬
pe», die noch nicht einmal Gewehre empfange» hatten, überraschte. Im allgemeine»
gibt es kaum einen besser zum Kriegsdienst geeigneten Volksstamm, als de» al- ^
banesische» und arnautischen, dem die Hauptmasse der Bewohner dieser Gegenden
angehört. Sie siud zu allen Zeiten die. Stützen nud Grundpfeiler der. türkischen
Militärmacht gewesen, und sind es l'is auf deu heutigen Tng geblieben.' Die
Pforte hat aber recht gethan, indem sie diese Stämme nicht wie andere für den
irregulären Dienst reservirte, sondern sie ohne Ansnahme der Linienarmee einver¬
leibte. Wenn man in deutschen Zeitungen von eiuer vermeintlichen Flucht der
arnautischen Regimenter bei Tschelani geschrieben, so konnte man kaum eine Nach¬
richt bringen, die hier unglaublicher geschienen hätte. Die Arnauten und Albanesen
siud das für de» türkische» Padischah, was für deu große» Napoleon seine alte
Garde gewesen. __




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/459>, abgerufen am 03.07.2024.