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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Bergstädtchens oder Dorfes. Eine halbe Stunde darnach erscheinen die Pferde
"ut die Reise nimmt ihren weiter" Fortgang.

Nahe bei Wvdiua senkt sich el" tief eingeschnittenes Thal von den höher
gelegenen Bergen nach der Stadt hernieder. Die Wände sind bewaldet und
zwar reicher und mit südlicherer Vegetation, als wir seither angetroffen hatten.
Unser Weg geht nicht mitten durch dies Thal hindurch, sondern klimmt an den
steilen Wänden desselben entlang. Er ist gepflastert, zum Theil in Fels gehauen.
Die Pferde müssen dann und wann Halt machen, um zu verschnaufen. Bald
rauscht und braust es rechts und links von uns und um einen Felsenvorsprung
umbiegend übersehen wir gleichzeitig vier oder fünf hohe, wie Silber im Sonnen¬
schein glitzernde Cascaden. Dieser Anblick ist überwältigend schön und läßt uns
unwillkürlich Halt macheu, um in Ruhe ihn zu genießen." An einem Punkte na¬
mentlich stürzt das Wasser mit tobender Gewalt mitten zwischen Felsen und Stein-
trümmern in die Tiefe. Wie anders noch mag das Schauspiel im Frühjahr sein,
wenn nach Schmelzen des Schnees alle Bäche ihre Fluke" verzehnfacht und ihre
Schnelligkeit verdoppelt haben!

Mich wundert, daß dieser Punkt nicht, gleich dem Thale Tempe, im Alter¬
thum zur Berühmtheit gelangt ist. Freilich ist er nicht mehr innerhalb der Grenzen
der eigentlichen griechischen Welt gelegen. Am Rande der rauschenden Bergwasser
standen grüne Lorbeerbäume und wie von Gärtnerhand gepflanzt, rankte breit¬
blätteriges Ephen um die hängenden Steintrümmer. Dennoch drängte sich die
Frage auf, wie erst diese Räume a" Schönheit gewinnen würden, wenn die
Cultur in die Schluchten der Berge Eingang gewonnen hätte, Gärten und Felder
auf den Hängen entstanden wäre", die heute mit undurchdringlichem Gestrüpp
bewachsen siud. Von dem Jrrthuiü der Behauptung, daß die Natur allein in
der Landschaft die Schönheit repräsentirt, wird ma" sich am eheste" i" einem
Lande überzeugen können, wo der Anbau schwach und die Civilisation überhaupt
noch bei den Anfängen stehen geblieben ist.

Beim Weiterreiten stießen wir auf einen langen Zug Bewaffneter. ES wäre"
albanesische Recruten, zumeist jugendkräftige und hochgewachsene Gestalten, das
Haupt mit dem Fez oder Turban bedeckt, und um die Lenden jenen in hundert
Falten liegenden kurzen Rock gegürtet, der das charakteristischste Stück im "atio-
nale" Costüm der hiesige" Bergbewohner ist. Der Führer der Colonne theilte
mit, daß er seinen Weg nach Sophia nehme, wo ein Armeecorps sich zu sammeln
begönne. Die langen Gewehre, welche den Leuten an kurzen, breiten Riemen
über die Schultern hingen, möge" eine vortreffliche Waffe i" den Berge" sei";
man behauptet, sie trüge" bis auf 600 Schritt. Der Schaft besteht zumeist aus
Messing und ist bei manchen, reich verziert.

Die Sonne neigte sich bereits dem Untergänge zu, als unsre Pferde einen
steilen Hang hernieder zu klimmen begannen, von dessen Höhe ans man auf


Bergstädtchens oder Dorfes. Eine halbe Stunde darnach erscheinen die Pferde
»ut die Reise nimmt ihren weiter» Fortgang.

Nahe bei Wvdiua senkt sich el» tief eingeschnittenes Thal von den höher
gelegenen Bergen nach der Stadt hernieder. Die Wände sind bewaldet und
zwar reicher und mit südlicherer Vegetation, als wir seither angetroffen hatten.
Unser Weg geht nicht mitten durch dies Thal hindurch, sondern klimmt an den
steilen Wänden desselben entlang. Er ist gepflastert, zum Theil in Fels gehauen.
Die Pferde müssen dann und wann Halt machen, um zu verschnaufen. Bald
rauscht und braust es rechts und links von uns und um einen Felsenvorsprung
umbiegend übersehen wir gleichzeitig vier oder fünf hohe, wie Silber im Sonnen¬
schein glitzernde Cascaden. Dieser Anblick ist überwältigend schön und läßt uns
unwillkürlich Halt macheu, um in Ruhe ihn zu genießen.« An einem Punkte na¬
mentlich stürzt das Wasser mit tobender Gewalt mitten zwischen Felsen und Stein-
trümmern in die Tiefe. Wie anders noch mag das Schauspiel im Frühjahr sein,
wenn nach Schmelzen des Schnees alle Bäche ihre Fluke» verzehnfacht und ihre
Schnelligkeit verdoppelt haben!

Mich wundert, daß dieser Punkt nicht, gleich dem Thale Tempe, im Alter¬
thum zur Berühmtheit gelangt ist. Freilich ist er nicht mehr innerhalb der Grenzen
der eigentlichen griechischen Welt gelegen. Am Rande der rauschenden Bergwasser
standen grüne Lorbeerbäume und wie von Gärtnerhand gepflanzt, rankte breit¬
blätteriges Ephen um die hängenden Steintrümmer. Dennoch drängte sich die
Frage auf, wie erst diese Räume a» Schönheit gewinnen würden, wenn die
Cultur in die Schluchten der Berge Eingang gewonnen hätte, Gärten und Felder
auf den Hängen entstanden wäre», die heute mit undurchdringlichem Gestrüpp
bewachsen siud. Von dem Jrrthuiü der Behauptung, daß die Natur allein in
der Landschaft die Schönheit repräsentirt, wird ma» sich am eheste» i» einem
Lande überzeugen können, wo der Anbau schwach und die Civilisation überhaupt
noch bei den Anfängen stehen geblieben ist.

Beim Weiterreiten stießen wir auf einen langen Zug Bewaffneter. ES wäre»
albanesische Recruten, zumeist jugendkräftige und hochgewachsene Gestalten, das
Haupt mit dem Fez oder Turban bedeckt, und um die Lenden jenen in hundert
Falten liegenden kurzen Rock gegürtet, der das charakteristischste Stück im »atio-
nale» Costüm der hiesige» Bergbewohner ist. Der Führer der Colonne theilte
mit, daß er seinen Weg nach Sophia nehme, wo ein Armeecorps sich zu sammeln
begönne. Die langen Gewehre, welche den Leuten an kurzen, breiten Riemen
über die Schultern hingen, möge» eine vortreffliche Waffe i» den Berge» sei»;
man behauptet, sie trüge« bis auf 600 Schritt. Der Schaft besteht zumeist aus
Messing und ist bei manchen, reich verziert.

Die Sonne neigte sich bereits dem Untergänge zu, als unsre Pferde einen
steilen Hang hernieder zu klimmen begannen, von dessen Höhe ans man auf


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[0455] Bergstädtchens oder Dorfes. Eine halbe Stunde darnach erscheinen die Pferde »ut die Reise nimmt ihren weiter» Fortgang. Nahe bei Wvdiua senkt sich el» tief eingeschnittenes Thal von den höher gelegenen Bergen nach der Stadt hernieder. Die Wände sind bewaldet und zwar reicher und mit südlicherer Vegetation, als wir seither angetroffen hatten. Unser Weg geht nicht mitten durch dies Thal hindurch, sondern klimmt an den steilen Wänden desselben entlang. Er ist gepflastert, zum Theil in Fels gehauen. Die Pferde müssen dann und wann Halt machen, um zu verschnaufen. Bald rauscht und braust es rechts und links von uns und um einen Felsenvorsprung umbiegend übersehen wir gleichzeitig vier oder fünf hohe, wie Silber im Sonnen¬ schein glitzernde Cascaden. Dieser Anblick ist überwältigend schön und läßt uns unwillkürlich Halt macheu, um in Ruhe ihn zu genießen.« An einem Punkte na¬ mentlich stürzt das Wasser mit tobender Gewalt mitten zwischen Felsen und Stein- trümmern in die Tiefe. Wie anders noch mag das Schauspiel im Frühjahr sein, wenn nach Schmelzen des Schnees alle Bäche ihre Fluke» verzehnfacht und ihre Schnelligkeit verdoppelt haben! Mich wundert, daß dieser Punkt nicht, gleich dem Thale Tempe, im Alter¬ thum zur Berühmtheit gelangt ist. Freilich ist er nicht mehr innerhalb der Grenzen der eigentlichen griechischen Welt gelegen. Am Rande der rauschenden Bergwasser standen grüne Lorbeerbäume und wie von Gärtnerhand gepflanzt, rankte breit¬ blätteriges Ephen um die hängenden Steintrümmer. Dennoch drängte sich die Frage auf, wie erst diese Räume a» Schönheit gewinnen würden, wenn die Cultur in die Schluchten der Berge Eingang gewonnen hätte, Gärten und Felder auf den Hängen entstanden wäre», die heute mit undurchdringlichem Gestrüpp bewachsen siud. Von dem Jrrthuiü der Behauptung, daß die Natur allein in der Landschaft die Schönheit repräsentirt, wird ma» sich am eheste» i» einem Lande überzeugen können, wo der Anbau schwach und die Civilisation überhaupt noch bei den Anfängen stehen geblieben ist. Beim Weiterreiten stießen wir auf einen langen Zug Bewaffneter. ES wäre» albanesische Recruten, zumeist jugendkräftige und hochgewachsene Gestalten, das Haupt mit dem Fez oder Turban bedeckt, und um die Lenden jenen in hundert Falten liegenden kurzen Rock gegürtet, der das charakteristischste Stück im »atio- nale» Costüm der hiesige» Bergbewohner ist. Der Führer der Colonne theilte mit, daß er seinen Weg nach Sophia nehme, wo ein Armeecorps sich zu sammeln begönne. Die langen Gewehre, welche den Leuten an kurzen, breiten Riemen über die Schultern hingen, möge» eine vortreffliche Waffe i» den Berge» sei»; man behauptet, sie trüge« bis auf 600 Schritt. Der Schaft besteht zumeist aus Messing und ist bei manchen, reich verziert. Die Sonne neigte sich bereits dem Untergänge zu, als unsre Pferde einen steilen Hang hernieder zu klimmen begannen, von dessen Höhe ans man auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/455>, abgerufen am 25.08.2024.