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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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war, aber sie waren dem Ort und der Zeit nach zu beschränkt, als daß sie eine
durchgreifende Wirkung hätten hervorbringe" können.

Auch nehmen sich Processtonen und Wallfahrten, von einer gewissen Höhe
gesehen, besser aus, als das nach allen Seite" hin rücksichtslose Wort der zwar
sehr hierarchische", aber deshalb kcüicswegS fendalistisch-aristokratischen und pluto-
kratischcn Patres.

Wir haben es keineswegs übersehen, daß der Münchener "Volksbote" unter
den reichen Bauern der Hochebene für die Nothleidenden in Rhön und Spess.ut
nicht weniger als 20,000 si. sammelte. Die Summe ist anzuerkennen und ihre
Verwendung litt gewiß nicht nnter, der Art, wie sie zusammengebracht wurde.
Sie kam aber zusammen, indem die Pfarrer ihren ganze" Einfluß dasür aufboten.
Lediglich sie waren die Sammler; man erkannte dieselben an den lateinischen
Model und Bibelwortcn, welche den Einsendungen beigelegt waren; und sie fanden
sich angespornt durch die Bekanntmachung der täglich anschwellenden Summe und
geschmeichelt durch den Abdruck jener ihrer Denksprüche. Viel 'schöner wäre es
gewesen, wenn die reichlichen Gaben ans einem Herzensdrange der Bauern ge¬
flossen wären; aber davou konnte selten die Rede sein. Bis zur Rhön reicht der
Blick der Altbaiern nicht; denn nicht einmal ihre" "Volksboden" lese" sie, der
zwar in allen Schcnkwirthschaften zu finden ist, aber fast nie von einem "Puhr",
sondern allein von der Wirthin und deu Fruchthäudlcrn der Fleisch- und Frucht¬
preise wegen und vom klugen Schulmeister gelesen wird.

Daß der Bauer der Hochebene verschlossen und finster ist, mag ursprünglicher
Charakter sein; daß er aber bei der Arbeit weder singt noch pfeift, ist mir nicht
minder aufgefallen. Träger ist er sodann auch' als der würtenbergische ""d
fränkische, oder gar der norddeutsche Landma"". Denn während in Norddeutsch-
land zwei tüchtige Drescher im Tage oft -I Schober 10 Garben Weizen dreschen,
bringen es in Oberbaiern nach mehrfacher Anfrage 8 Leute in derselben Zeit
höchstens zu 1 Schober i0 Garben und schon die Bemerkung, daß i" Franken
und Württemberg dieselbe Leistung von ü Personen verrichtet werde, erschien den
Altbaiern ganz unglaublich. -- ES sei zuzugeben, daß der norddeutsche Rausch
im Schnaps ebenso verderblich ist, wie der süddeutsche im Bier. Allein während
der Branntwein im Umsehen getrunken ist "ut nicht von der Arbeit abhält, bei
welcher er vergessen wird und verdunstet, erfordert der Genuß des Biers seines
Quantums wegen mehr Zeit. Man setzt sich zum Trinken erst sörmlich zurecht;
das Sitzen verleitet zum Weitertrinken und die Meuge verleidet das Wiederauf¬
stehen. -- Auch der norddeutsche Bauer ist jähzornig "ut greift, wenn die Zungen¬
fertigkeit zu E"de ist, zu de" Schemelbeinen; aber während sich die norddeutsche"
scheuten nur an den Sonn- und wenigen Festtage" Nachmittags und Abends
füllen, si"d sie in unserer Gegend an den Sonn- und häusigen Feiertage" schon
Morgens gedrängt voll und Nachmittags "ut gewiß Abends sind sie es fast an


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war, aber sie waren dem Ort und der Zeit nach zu beschränkt, als daß sie eine
durchgreifende Wirkung hätten hervorbringe» können.

Auch nehmen sich Processtonen und Wallfahrten, von einer gewissen Höhe
gesehen, besser aus, als das nach allen Seite» hin rücksichtslose Wort der zwar
sehr hierarchische», aber deshalb kcüicswegS fendalistisch-aristokratischen und pluto-
kratischcn Patres.

Wir haben es keineswegs übersehen, daß der Münchener „Volksbote" unter
den reichen Bauern der Hochebene für die Nothleidenden in Rhön und Spess.ut
nicht weniger als 20,000 si. sammelte. Die Summe ist anzuerkennen und ihre
Verwendung litt gewiß nicht nnter, der Art, wie sie zusammengebracht wurde.
Sie kam aber zusammen, indem die Pfarrer ihren ganze» Einfluß dasür aufboten.
Lediglich sie waren die Sammler; man erkannte dieselben an den lateinischen
Model und Bibelwortcn, welche den Einsendungen beigelegt waren; und sie fanden
sich angespornt durch die Bekanntmachung der täglich anschwellenden Summe und
geschmeichelt durch den Abdruck jener ihrer Denksprüche. Viel 'schöner wäre es
gewesen, wenn die reichlichen Gaben ans einem Herzensdrange der Bauern ge¬
flossen wären; aber davou konnte selten die Rede sein. Bis zur Rhön reicht der
Blick der Altbaiern nicht; denn nicht einmal ihre» „Volksboden" lese» sie, der
zwar in allen Schcnkwirthschaften zu finden ist, aber fast nie von einem „Puhr",
sondern allein von der Wirthin und deu Fruchthäudlcrn der Fleisch- und Frucht¬
preise wegen und vom klugen Schulmeister gelesen wird.

Daß der Bauer der Hochebene verschlossen und finster ist, mag ursprünglicher
Charakter sein; daß er aber bei der Arbeit weder singt noch pfeift, ist mir nicht
minder aufgefallen. Träger ist er sodann auch' als der würtenbergische »»d
fränkische, oder gar der norddeutsche Landma»». Denn während in Norddeutsch-
land zwei tüchtige Drescher im Tage oft -I Schober 10 Garben Weizen dreschen,
bringen es in Oberbaiern nach mehrfacher Anfrage 8 Leute in derselben Zeit
höchstens zu 1 Schober i0 Garben und schon die Bemerkung, daß i» Franken
und Württemberg dieselbe Leistung von ü Personen verrichtet werde, erschien den
Altbaiern ganz unglaublich. — ES sei zuzugeben, daß der norddeutsche Rausch
im Schnaps ebenso verderblich ist, wie der süddeutsche im Bier. Allein während
der Branntwein im Umsehen getrunken ist »ut nicht von der Arbeit abhält, bei
welcher er vergessen wird und verdunstet, erfordert der Genuß des Biers seines
Quantums wegen mehr Zeit. Man setzt sich zum Trinken erst sörmlich zurecht;
das Sitzen verleitet zum Weitertrinken und die Meuge verleidet das Wiederauf¬
stehen. — Auch der norddeutsche Bauer ist jähzornig »ut greift, wenn die Zungen¬
fertigkeit zu E»de ist, zu de» Schemelbeinen; aber während sich die norddeutsche»
scheuten nur an den Sonn- und wenigen Festtage» Nachmittags und Abends
füllen, si»d sie in unserer Gegend an den Sonn- und häusigen Feiertage» schon
Morgens gedrängt voll und Nachmittags »ut gewiß Abends sind sie es fast an


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/435>, abgerufen am 22.07.2024.