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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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ihnen, so heißt es, einige Brode zu, welche ihnen den in der Stadt herrschenden
Ueberfluß beweisen sollten. Es waren die letzten Lebensmittel gewesen, aber die
List gelang. Die Hunnen sahen, daß eine wohlversorgte Stadt sich sobald nicht
ergeben würde, zogen ab, um anderwärts Proviant zu suchen und dann wieder
zu kommen. Als die Gefahr nun aufs acußerste stieg, entflammte Bischof Ulrich
den Muth der Belagerten, indem er in feierlicher Procession, unter dem Geläut
der Glocken die Stadt durchzog und den Beistand Gottes erflehte. In dieser
Noth erschien endlich Kaiser Otto mit seinem Heer. Man sah wieder den Bischof
mit der Stola statt des Harnisches angethan und mit dem Krucifix statt des
Schwertes in der Hand an der Seite des Kaisers und an der Spitze des Heeres
dem Feinde entgegenziehen; ein Engel, erzählt die Legende, brachte dem frommen
Hirten ein kleines schimmerndes Kreuz durch die Luft, mit der Inschrift: sud Iwo
sixno vinevs und der Sieg neigte sich in der That auf die Seite des Kreuzes.
Noch heute wird dasselbe in der Se. Ulrichskirche zum Andenken an den großen
Sieg aufbewahrt.

Auf deu fruchtbare" Strecken der Hochebene wohnt ein starkes Geschlecht.
Kartoffeln, Getreide und Fleisch geben ihm die Hauptnahrungsmittel und bilden
seinen Reichthum. Der Bauer pflügt mit selbstgezogenen unansehnlichen Pferden,
schwerkuochig wie er selbst; ihm kommt es aus die Aussaat im Großen und Gan¬
zen an und von der sorgfältigen Benutzung jedes Winkels für ein Bvhnenfeld
und eine Salatstaude, wie mau sie in Franken findet, hat er keinen Begriff. Nicht
""beträchtliche Strecken liegen ganz wüst und greifen oft tief in das Ackerland
hinein. Die Ackerparzelle" sind groß; mit de" Grenzen hat man es noch nicht
allzu genau genommen; man ließ Platz, in" mit dem Pfluge zu wenden und
die Feldwege sind zum Umwerfe" u"d zum SteckenbKiben gleich geeignet.

Geben die Dörfer an Unregelmäßigkeit wol andern nichts nach, so breiten
sich doch ihre Hänser mehr ans, als es im engen Thale geschieht. Die Zimmer
sind niedrig, aber desto länger und tiefer, und die Fenster bilden häufig ganze
Quadrate. Nicht selten sind sie sogar breiter als hoch, aber um damit keine Fol¬
gerungen für den Culturhistoriker aufkomme" zu lassen, werden die Brote desto
länger, zwei, drei, vier Fuß laug und kaum Handbreit gebacken, offenbar um viel
Rinde zu bekommen! -- Fast jedes Haus trägt irgend ein geschmackloses Heiligen-
bild ans den Wänden. Die Kirchen sind selten sehr alten Ursprungs. Vielmehr
stammen sie als Ersatz früherer durch Feuer und Krieg zerstörter architektonischer
Denkmäler meist aus dem Ende des vorletzten oder aus dem Anfange des letzt¬
verflossenen Jahrhunderts. Sie suchen durch Vergoldung, nachgemachten Mar¬
mor, mancherlei Schnitzwerk, Statuen und Deckengemälde zu wirken; aber sie leiden
deshalb an Ueberladung und die Einzelnheiten sind bei näherer Prüfung nur von
geringem Kunstwerth. Hervorzuheben ist höchstens die Kirche des Klosters Fürsten-
feldbruck, ursprünglich die Stiftung Ludwigs II., des Strengen, der den Mord, wei-


ihnen, so heißt es, einige Brode zu, welche ihnen den in der Stadt herrschenden
Ueberfluß beweisen sollten. Es waren die letzten Lebensmittel gewesen, aber die
List gelang. Die Hunnen sahen, daß eine wohlversorgte Stadt sich sobald nicht
ergeben würde, zogen ab, um anderwärts Proviant zu suchen und dann wieder
zu kommen. Als die Gefahr nun aufs acußerste stieg, entflammte Bischof Ulrich
den Muth der Belagerten, indem er in feierlicher Procession, unter dem Geläut
der Glocken die Stadt durchzog und den Beistand Gottes erflehte. In dieser
Noth erschien endlich Kaiser Otto mit seinem Heer. Man sah wieder den Bischof
mit der Stola statt des Harnisches angethan und mit dem Krucifix statt des
Schwertes in der Hand an der Seite des Kaisers und an der Spitze des Heeres
dem Feinde entgegenziehen; ein Engel, erzählt die Legende, brachte dem frommen
Hirten ein kleines schimmerndes Kreuz durch die Luft, mit der Inschrift: sud Iwo
sixno vinevs und der Sieg neigte sich in der That auf die Seite des Kreuzes.
Noch heute wird dasselbe in der Se. Ulrichskirche zum Andenken an den großen
Sieg aufbewahrt.

Auf deu fruchtbare» Strecken der Hochebene wohnt ein starkes Geschlecht.
Kartoffeln, Getreide und Fleisch geben ihm die Hauptnahrungsmittel und bilden
seinen Reichthum. Der Bauer pflügt mit selbstgezogenen unansehnlichen Pferden,
schwerkuochig wie er selbst; ihm kommt es aus die Aussaat im Großen und Gan¬
zen an und von der sorgfältigen Benutzung jedes Winkels für ein Bvhnenfeld
und eine Salatstaude, wie mau sie in Franken findet, hat er keinen Begriff. Nicht
»»beträchtliche Strecken liegen ganz wüst und greifen oft tief in das Ackerland
hinein. Die Ackerparzelle» sind groß; mit de» Grenzen hat man es noch nicht
allzu genau genommen; man ließ Platz, in» mit dem Pfluge zu wenden und
die Feldwege sind zum Umwerfe» u»d zum SteckenbKiben gleich geeignet.

Geben die Dörfer an Unregelmäßigkeit wol andern nichts nach, so breiten
sich doch ihre Hänser mehr ans, als es im engen Thale geschieht. Die Zimmer
sind niedrig, aber desto länger und tiefer, und die Fenster bilden häufig ganze
Quadrate. Nicht selten sind sie sogar breiter als hoch, aber um damit keine Fol¬
gerungen für den Culturhistoriker aufkomme» zu lassen, werden die Brote desto
länger, zwei, drei, vier Fuß laug und kaum Handbreit gebacken, offenbar um viel
Rinde zu bekommen! — Fast jedes Haus trägt irgend ein geschmackloses Heiligen-
bild ans den Wänden. Die Kirchen sind selten sehr alten Ursprungs. Vielmehr
stammen sie als Ersatz früherer durch Feuer und Krieg zerstörter architektonischer
Denkmäler meist aus dem Ende des vorletzten oder aus dem Anfange des letzt¬
verflossenen Jahrhunderts. Sie suchen durch Vergoldung, nachgemachten Mar¬
mor, mancherlei Schnitzwerk, Statuen und Deckengemälde zu wirken; aber sie leiden
deshalb an Ueberladung und die Einzelnheiten sind bei näherer Prüfung nur von
geringem Kunstwerth. Hervorzuheben ist höchstens die Kirche des Klosters Fürsten-
feldbruck, ursprünglich die Stiftung Ludwigs II., des Strengen, der den Mord, wei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/430>, abgerufen am 22.07.2024.