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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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gierige junge Blut. Dort gab das hohe Fest die Veranlassung zum Uebermaß
jedes Genusses, hier darbten die Armen, schauten nach oben, hofften nud duldeten.
ES war nicht zweifelhaft, welches Bild das rührendere sei.

Man hatte den Versuch gemacht, aus den unglücklichen Bewohnern des
Spessart und des baicrschen Waldes Kolonien für den Torfstich zu bilden; allein
wenn der Tagelohn anch für einen Leinwandrock und ein Brod ausreichte, so
blieb die Zukost zu demselben doch Verlassensein vou der Familie und Sehnsucht
uach deu bekannten Bergen. Truppweise standen die Heimathlosen wahrend der
Rast beisammen: von Fröhlichkeit, Gesang und Tänzen konnte keine Rede sein.
Stumm standen sie da, oder sie kauerten am Boden und starrten die schwarzen
Schollen an. Man hat sie zurückschicken müssen in ihre dürftigen Thäler.

Nördlich und nordöstlich von den Torfmooren ist die Gegend fruchtbarer.
Sehr fruchtbar wird sie westlich vom Lech. Hier erheben sich zahlreiche Dörfer
nud eine Menge von Flecken und kleinen heitern Städten, wie Kempten, Kanf-
bcuern,. Memmingen, Mindelheim, Weißeuhvrn und Burgau nähren Industrie
und Handel. Wir befinden uns inmitten des schwäbischen Volksstammes, welcher
am Lech schroff gegen den baicrschen grenzt. Während um die unfruchtbaren
Strecke" des jenseitigen Gebiets von den Machthabern weniger gestritten wurde,
begegnen wir auf der menschenfreundlich ergiebigem Seite einem Gebiet, welches
bis zum Untergänge des deutschen Reichs zu den buntesten deö historischen At¬
lasses gehört. Wir begegnen in der Ebene zwischen Lech und Iller dem ehemals
reichsstädtisch AugSbnrgschen, Memmingschcn, Kanfbcnrischen, Kcmptenschen Gebiet,
dem markgräflich Burgauischen, gräflich Fuggerschen, Bnrtenbachschen, Weldenschen
Besitzungen, sowie deu Territorien des Fürst-Abts von Kempten, des Bischofs
von Augsburg, der Komthurei von Bvbingen und zahlreichem Klvstergut. Aus
dem Rechtsgebiet ist die Mannigfaltigkeit selbstverständlich ebenso groß. In der
Altstadt von Kempten gilt zum Theil noch jetzt reichsstädtische, in der Neustadt
kanonische' Satzung. In Augsburg hat eine alte Noichsstraße noch das alte
Privilegium, daß dort kein Schmied oder Schlosser (des Lärms wegen) wohnen
darf. Oberconsistorialrath Arnold zählte in der Kammer der Reichsrathe nicht
weniger als fünfundsechzig Civilgesetzgebungen im Königreich Baiern ans und er¬
wähnte, daß es in Schwaben Dörfer gebe, in denen drei bis vier derselben
Rechtskraft übten. Fällt hier also ein Unglücksfall vor, so kann bei der Ausnahme
des Thatbestandes leicht etwas darauf ankommen, ob dieselbe rechts oder links
von einer Hausthür geschah.

Vom Perlachthurme zu Augsburg übersteht man das weite Lechthal fast in
seiner ganzen Ausdehnung vom Hochvogel, einer der höchsten Spitzen der bairi-
schen Alpen bis zur Mündung des Stroms in die Donau, eine'Strecke von
mindestens vierzig Stunden.

Die Lcchufer selbst sind ober- und unterhalb Augsburgs kiesbedeckt, ohne


gierige junge Blut. Dort gab das hohe Fest die Veranlassung zum Uebermaß
jedes Genusses, hier darbten die Armen, schauten nach oben, hofften nud duldeten.
ES war nicht zweifelhaft, welches Bild das rührendere sei.

Man hatte den Versuch gemacht, aus den unglücklichen Bewohnern des
Spessart und des baicrschen Waldes Kolonien für den Torfstich zu bilden; allein
wenn der Tagelohn anch für einen Leinwandrock und ein Brod ausreichte, so
blieb die Zukost zu demselben doch Verlassensein vou der Familie und Sehnsucht
uach deu bekannten Bergen. Truppweise standen die Heimathlosen wahrend der
Rast beisammen: von Fröhlichkeit, Gesang und Tänzen konnte keine Rede sein.
Stumm standen sie da, oder sie kauerten am Boden und starrten die schwarzen
Schollen an. Man hat sie zurückschicken müssen in ihre dürftigen Thäler.

Nördlich und nordöstlich von den Torfmooren ist die Gegend fruchtbarer.
Sehr fruchtbar wird sie westlich vom Lech. Hier erheben sich zahlreiche Dörfer
nud eine Menge von Flecken und kleinen heitern Städten, wie Kempten, Kanf-
bcuern,. Memmingen, Mindelheim, Weißeuhvrn und Burgau nähren Industrie
und Handel. Wir befinden uns inmitten des schwäbischen Volksstammes, welcher
am Lech schroff gegen den baicrschen grenzt. Während um die unfruchtbaren
Strecke» des jenseitigen Gebiets von den Machthabern weniger gestritten wurde,
begegnen wir auf der menschenfreundlich ergiebigem Seite einem Gebiet, welches
bis zum Untergänge des deutschen Reichs zu den buntesten deö historischen At¬
lasses gehört. Wir begegnen in der Ebene zwischen Lech und Iller dem ehemals
reichsstädtisch AugSbnrgschen, Memmingschcn, Kanfbcnrischen, Kcmptenschen Gebiet,
dem markgräflich Burgauischen, gräflich Fuggerschen, Bnrtenbachschen, Weldenschen
Besitzungen, sowie deu Territorien des Fürst-Abts von Kempten, des Bischofs
von Augsburg, der Komthurei von Bvbingen und zahlreichem Klvstergut. Aus
dem Rechtsgebiet ist die Mannigfaltigkeit selbstverständlich ebenso groß. In der
Altstadt von Kempten gilt zum Theil noch jetzt reichsstädtische, in der Neustadt
kanonische' Satzung. In Augsburg hat eine alte Noichsstraße noch das alte
Privilegium, daß dort kein Schmied oder Schlosser (des Lärms wegen) wohnen
darf. Oberconsistorialrath Arnold zählte in der Kammer der Reichsrathe nicht
weniger als fünfundsechzig Civilgesetzgebungen im Königreich Baiern ans und er¬
wähnte, daß es in Schwaben Dörfer gebe, in denen drei bis vier derselben
Rechtskraft übten. Fällt hier also ein Unglücksfall vor, so kann bei der Ausnahme
des Thatbestandes leicht etwas darauf ankommen, ob dieselbe rechts oder links
von einer Hausthür geschah.

Vom Perlachthurme zu Augsburg übersteht man das weite Lechthal fast in
seiner ganzen Ausdehnung vom Hochvogel, einer der höchsten Spitzen der bairi-
schen Alpen bis zur Mündung des Stroms in die Donau, eine'Strecke von
mindestens vierzig Stunden.

Die Lcchufer selbst sind ober- und unterhalb Augsburgs kiesbedeckt, ohne


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/428>, abgerufen am 22.07.2024.