Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

die Sümpfe ausgetrocknet und angebaut, und die unabsehbaren Moore und Puste",
welche die Geologen für die Neste einer urweltlichen Wasserstannng halten, urbar
gemacht, so wäre das Königreich Baiern um ein ganzes Fürstenthum nach innen
zu vergrößern, das noch eine bedeutende Auswanderung aufnehmen könnte.

Nur dnrch schwache Hügelketten sind die Flußgebiete der vier Strome, die
Memminger Ebene, das Lcchfeld, die Ebene von Dachau und München und die
von Braunau und Pocking getrennt. Oestlich vom Lech ist die Gegend am
sterilsten. Hier ist ihr Charakter der der Haiden, mit grobem Geröll gefüllt, nur
streckenweise mit Föhren- und Birkenwald besetzt, während die Eiche fast ganz
fehlt und die Buche nur schwache Gruppen bildet. Jeweiliger Durchstiche und
Applanirungeu die Eisenbahn verlangte, destomehr Wasserbauten und Dämme
waren für sie erforderlich. Aber obwol die Bahnlinie die Communication mit
den Ortschaften mit Aengstlichkeit sucht, berührt sie ans reichlich acht Meilen nnr
ärmliche Dörfer; sie nähert sich kaum zwei oder drei Flecken und außer dem ganz
nahe bei Augsburg gelegenen Friedberg nicht einer Stadt. An all den Stationen
ruft der Eonducteur "eine Minute Aufenthalt!" ein Bricfbeutel fliegt aus dem
Postwagen, einer hinein, Niemand verläßt den Zug, kein Mensch steigt ein: mau
kauft von den schreienden Weibern ein hartgesottenes El oder im Sommer ein
Körbchen Erdbeeren und die Locomotive saust weiter. Mensch und Pflanzenwelt
siedeln auf dem Rande der Flüsse und Bäche. Die Rinderherden sind spärlich
und mager; selbst für Schaf und Ziege gibt es wenig Futter. Im Winter sind
die Flächen zu naß, im Sommer zu trocken. Nur die Torfmoore wuchern und
seit der Eröffnung des Schienenwegs ziehen halbestuudenlange Trockenhäuser an
den Stichen hin, um besonders München mit dem flüchtigen Brennmaterial zu
versorgen und einer kümmerlichen Bevölkerung Nahrung zu verschaffen. Trostlose
Hütten liegen auf der Fläche zerstreut und das Heiligthum, welches sich die
Torfgräber in der Nähe ihres Arbeitsplatzes errichtet hatten, war wol geeignet,
die Vorüberfahrenden zur Wehmuth zu stimmen. Zwei rohe Birkcnstäbe waren
mit einer Weidenruthe zusammengebunden, um als Kreuz ans einem gras- und
blnmeuleeren Nondel, umgeben von einem mit trübem Wasser halbgefüllten Graben
errichtet zu werde" und zwei schmuzige Weiber und ein zerlumpter Knabe knieten
davor. In der baierschen Königsstadt hatte" wir kurz zuvor die Froulcichuams-
prvcession angesehen, wo ein goldgeschmückter, weihrauchumdufteter Klerus, ein
besternter Hofstaat, eine unter stolzen Fahnen daherziehende Bürgerschaft sich in
prunkvoller Andacht durch die Straße" bewegte. Der Stolz Münchens machte
Gott dem Herrn seine etikettemäßige Aufwartung und hier läge" drei armselige
Mensche" hungernd und betend vor dem Kreuz ans Birkeustäben, den traurigen
Rosenkranz i" den schwere" Hände" drehend. Keins der Weiber sah sich, was
so natürlich gewese" wäre, nach dem vorüberbransenden Eisenbahnzüge um: sie
erwarteten kein Almose"; nur der Knabe blinzelte "ach uns herüber, das.neu-


öZ*

die Sümpfe ausgetrocknet und angebaut, und die unabsehbaren Moore und Puste»,
welche die Geologen für die Neste einer urweltlichen Wasserstannng halten, urbar
gemacht, so wäre das Königreich Baiern um ein ganzes Fürstenthum nach innen
zu vergrößern, das noch eine bedeutende Auswanderung aufnehmen könnte.

Nur dnrch schwache Hügelketten sind die Flußgebiete der vier Strome, die
Memminger Ebene, das Lcchfeld, die Ebene von Dachau und München und die
von Braunau und Pocking getrennt. Oestlich vom Lech ist die Gegend am
sterilsten. Hier ist ihr Charakter der der Haiden, mit grobem Geröll gefüllt, nur
streckenweise mit Föhren- und Birkenwald besetzt, während die Eiche fast ganz
fehlt und die Buche nur schwache Gruppen bildet. Jeweiliger Durchstiche und
Applanirungeu die Eisenbahn verlangte, destomehr Wasserbauten und Dämme
waren für sie erforderlich. Aber obwol die Bahnlinie die Communication mit
den Ortschaften mit Aengstlichkeit sucht, berührt sie ans reichlich acht Meilen nnr
ärmliche Dörfer; sie nähert sich kaum zwei oder drei Flecken und außer dem ganz
nahe bei Augsburg gelegenen Friedberg nicht einer Stadt. An all den Stationen
ruft der Eonducteur „eine Minute Aufenthalt!" ein Bricfbeutel fliegt aus dem
Postwagen, einer hinein, Niemand verläßt den Zug, kein Mensch steigt ein: mau
kauft von den schreienden Weibern ein hartgesottenes El oder im Sommer ein
Körbchen Erdbeeren und die Locomotive saust weiter. Mensch und Pflanzenwelt
siedeln auf dem Rande der Flüsse und Bäche. Die Rinderherden sind spärlich
und mager; selbst für Schaf und Ziege gibt es wenig Futter. Im Winter sind
die Flächen zu naß, im Sommer zu trocken. Nur die Torfmoore wuchern und
seit der Eröffnung des Schienenwegs ziehen halbestuudenlange Trockenhäuser an
den Stichen hin, um besonders München mit dem flüchtigen Brennmaterial zu
versorgen und einer kümmerlichen Bevölkerung Nahrung zu verschaffen. Trostlose
Hütten liegen auf der Fläche zerstreut und das Heiligthum, welches sich die
Torfgräber in der Nähe ihres Arbeitsplatzes errichtet hatten, war wol geeignet,
die Vorüberfahrenden zur Wehmuth zu stimmen. Zwei rohe Birkcnstäbe waren
mit einer Weidenruthe zusammengebunden, um als Kreuz ans einem gras- und
blnmeuleeren Nondel, umgeben von einem mit trübem Wasser halbgefüllten Graben
errichtet zu werde» und zwei schmuzige Weiber und ein zerlumpter Knabe knieten
davor. In der baierschen Königsstadt hatte» wir kurz zuvor die Froulcichuams-
prvcession angesehen, wo ein goldgeschmückter, weihrauchumdufteter Klerus, ein
besternter Hofstaat, eine unter stolzen Fahnen daherziehende Bürgerschaft sich in
prunkvoller Andacht durch die Straße» bewegte. Der Stolz Münchens machte
Gott dem Herrn seine etikettemäßige Aufwartung und hier läge» drei armselige
Mensche» hungernd und betend vor dem Kreuz ans Birkeustäben, den traurigen
Rosenkranz i» den schwere» Hände» drehend. Keins der Weiber sah sich, was
so natürlich gewese» wäre, nach dem vorüberbransenden Eisenbahnzüge um: sie
erwarteten kein Almose»; nur der Knabe blinzelte »ach uns herüber, das.neu-


öZ*
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0427" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97673"/>
            <p xml:id="ID_1171" prev="#ID_1170"> die Sümpfe ausgetrocknet und angebaut, und die unabsehbaren Moore und Puste»,<lb/>
welche die Geologen für die Neste einer urweltlichen Wasserstannng halten, urbar<lb/>
gemacht, so wäre das Königreich Baiern um ein ganzes Fürstenthum nach innen<lb/>
zu vergrößern, das noch eine bedeutende Auswanderung aufnehmen könnte.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1172" next="#ID_1173"> Nur dnrch schwache Hügelketten sind die Flußgebiete der vier Strome, die<lb/>
Memminger Ebene, das Lcchfeld, die Ebene von Dachau und München und die<lb/>
von Braunau und Pocking getrennt.  Oestlich vom Lech ist die Gegend am<lb/>
sterilsten. Hier ist ihr Charakter der der Haiden, mit grobem Geröll gefüllt, nur<lb/>
streckenweise mit Föhren- und Birkenwald besetzt, während die Eiche fast ganz<lb/>
fehlt und die Buche nur schwache Gruppen bildet.  Jeweiliger Durchstiche und<lb/>
Applanirungeu die Eisenbahn verlangte, destomehr Wasserbauten und Dämme<lb/>
waren für sie erforderlich.  Aber obwol die Bahnlinie die Communication mit<lb/>
den Ortschaften mit Aengstlichkeit sucht, berührt sie ans reichlich acht Meilen nnr<lb/>
ärmliche Dörfer; sie nähert sich kaum zwei oder drei Flecken und außer dem ganz<lb/>
nahe bei Augsburg gelegenen Friedberg nicht einer Stadt. An all den Stationen<lb/>
ruft der Eonducteur &#x201E;eine Minute Aufenthalt!" ein Bricfbeutel fliegt aus dem<lb/>
Postwagen, einer hinein, Niemand verläßt den Zug, kein Mensch steigt ein: mau<lb/>
kauft von den schreienden Weibern ein hartgesottenes El oder im Sommer ein<lb/>
Körbchen Erdbeeren und die Locomotive saust weiter.  Mensch und Pflanzenwelt<lb/>
siedeln auf dem Rande der Flüsse und Bäche.  Die Rinderherden sind spärlich<lb/>
und mager; selbst für Schaf und Ziege gibt es wenig Futter.  Im Winter sind<lb/>
die Flächen zu naß, im Sommer zu trocken.  Nur die Torfmoore wuchern und<lb/>
seit der Eröffnung des Schienenwegs ziehen halbestuudenlange Trockenhäuser an<lb/>
den Stichen hin, um besonders München mit dem flüchtigen Brennmaterial zu<lb/>
versorgen und einer kümmerlichen Bevölkerung Nahrung zu verschaffen. Trostlose<lb/>
Hütten liegen auf der Fläche zerstreut und das Heiligthum, welches sich die<lb/>
Torfgräber in der Nähe ihres Arbeitsplatzes errichtet hatten, war wol geeignet,<lb/>
die Vorüberfahrenden zur Wehmuth zu stimmen.  Zwei rohe Birkcnstäbe waren<lb/>
mit einer Weidenruthe zusammengebunden, um als Kreuz ans einem gras- und<lb/>
blnmeuleeren Nondel, umgeben von einem mit trübem Wasser halbgefüllten Graben<lb/>
errichtet zu werde» und zwei schmuzige Weiber und ein zerlumpter Knabe knieten<lb/>
davor.  In der baierschen Königsstadt hatte» wir kurz zuvor die Froulcichuams-<lb/>
prvcession angesehen, wo ein goldgeschmückter, weihrauchumdufteter Klerus, ein<lb/>
besternter Hofstaat, eine unter stolzen Fahnen daherziehende Bürgerschaft sich in<lb/>
prunkvoller Andacht durch die Straße» bewegte.  Der Stolz Münchens machte<lb/>
Gott dem Herrn seine etikettemäßige Aufwartung und hier läge» drei armselige<lb/>
Mensche» hungernd und betend vor dem Kreuz ans Birkeustäben, den traurigen<lb/>
Rosenkranz i» den schwere» Hände» drehend.  Keins der Weiber sah sich, was<lb/>
so natürlich gewese» wäre, nach dem vorüberbransenden Eisenbahnzüge um: sie<lb/>
erwarteten kein Almose»; nur der Knabe blinzelte »ach uns herüber, das.neu-</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> öZ*</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0427] die Sümpfe ausgetrocknet und angebaut, und die unabsehbaren Moore und Puste», welche die Geologen für die Neste einer urweltlichen Wasserstannng halten, urbar gemacht, so wäre das Königreich Baiern um ein ganzes Fürstenthum nach innen zu vergrößern, das noch eine bedeutende Auswanderung aufnehmen könnte. Nur dnrch schwache Hügelketten sind die Flußgebiete der vier Strome, die Memminger Ebene, das Lcchfeld, die Ebene von Dachau und München und die von Braunau und Pocking getrennt. Oestlich vom Lech ist die Gegend am sterilsten. Hier ist ihr Charakter der der Haiden, mit grobem Geröll gefüllt, nur streckenweise mit Föhren- und Birkenwald besetzt, während die Eiche fast ganz fehlt und die Buche nur schwache Gruppen bildet. Jeweiliger Durchstiche und Applanirungeu die Eisenbahn verlangte, destomehr Wasserbauten und Dämme waren für sie erforderlich. Aber obwol die Bahnlinie die Communication mit den Ortschaften mit Aengstlichkeit sucht, berührt sie ans reichlich acht Meilen nnr ärmliche Dörfer; sie nähert sich kaum zwei oder drei Flecken und außer dem ganz nahe bei Augsburg gelegenen Friedberg nicht einer Stadt. An all den Stationen ruft der Eonducteur „eine Minute Aufenthalt!" ein Bricfbeutel fliegt aus dem Postwagen, einer hinein, Niemand verläßt den Zug, kein Mensch steigt ein: mau kauft von den schreienden Weibern ein hartgesottenes El oder im Sommer ein Körbchen Erdbeeren und die Locomotive saust weiter. Mensch und Pflanzenwelt siedeln auf dem Rande der Flüsse und Bäche. Die Rinderherden sind spärlich und mager; selbst für Schaf und Ziege gibt es wenig Futter. Im Winter sind die Flächen zu naß, im Sommer zu trocken. Nur die Torfmoore wuchern und seit der Eröffnung des Schienenwegs ziehen halbestuudenlange Trockenhäuser an den Stichen hin, um besonders München mit dem flüchtigen Brennmaterial zu versorgen und einer kümmerlichen Bevölkerung Nahrung zu verschaffen. Trostlose Hütten liegen auf der Fläche zerstreut und das Heiligthum, welches sich die Torfgräber in der Nähe ihres Arbeitsplatzes errichtet hatten, war wol geeignet, die Vorüberfahrenden zur Wehmuth zu stimmen. Zwei rohe Birkcnstäbe waren mit einer Weidenruthe zusammengebunden, um als Kreuz ans einem gras- und blnmeuleeren Nondel, umgeben von einem mit trübem Wasser halbgefüllten Graben errichtet zu werde» und zwei schmuzige Weiber und ein zerlumpter Knabe knieten davor. In der baierschen Königsstadt hatte» wir kurz zuvor die Froulcichuams- prvcession angesehen, wo ein goldgeschmückter, weihrauchumdufteter Klerus, ein besternter Hofstaat, eine unter stolzen Fahnen daherziehende Bürgerschaft sich in prunkvoller Andacht durch die Straße» bewegte. Der Stolz Münchens machte Gott dem Herrn seine etikettemäßige Aufwartung und hier läge» drei armselige Mensche» hungernd und betend vor dem Kreuz ans Birkeustäben, den traurigen Rosenkranz i» den schwere» Hände» drehend. Keins der Weiber sah sich, was so natürlich gewese» wäre, nach dem vorüberbransenden Eisenbahnzüge um: sie erwarteten kein Almose»; nur der Knabe blinzelte »ach uns herüber, das.neu- öZ*

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/427
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/427>, abgerufen am 22.07.2024.