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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Züge befleckt und es dann beschönigt. So etwas kommt in der Welt zwar viel¬
fach vor, aber niemals bei einer guten Natur, und daß unsere jungdeutschen
Dichter ^das vergessen haben, das macht eben, daß sie keine wirkliche lebendige
Gestalt zeichnen können. -- Bei dieser Geschichte ist noch ein anderer Zug be¬
merkenswert!). Jener Maler, den wir fast ein ganzes Jahr hindurch als tüch¬
tigen Künstler, als verständigen Lehrer und sehr gebildeten Mann beobachtet haben,
wird plötzlich verrückt, und es ergibt sich, daß er schon die ganze Zeit hindurch
wahnsinnig gewesen ist. Nun ist das bei der Methode, wie unser Dichter seine
Gestalten entwickelt, eine sehr wohlfeile Ueberraschung, denn er zeigt sie uns nie
in ihrer vollen Wirklichkeit, sondern nnr von einer phantastischen Seite, und man
kann daher nie bei ihm genau wissen, ob nicht jede seiner Gestalten grade das
Gegentheil von dem ist, was wir vermuthen. Aber poetisch ist ein solches Verfahre"
nicht. Denn in der Poesie gilt daS Gesetz der innern Causalität "och in viel
höherem Grade, als in der sogenannten Wirklichkeit.

Wir behalten uns vor, auf das Buch, das uns sehr lebhaft interessirt hat,
noch einmal zurückzukommen. Von de" i> Bände", ans denen es bestehen soll,
sind erst drei erschienen, und vielleicht gibt der letzte noch manche Anknüpfungen,
die einzelnes ans dem Vorhergehenden rechtfertigen. Daß unser Urtheil im
ganzen dadurch verändert werden könnte, möchten wir bezweifeln. So viel steht
für uns fest, daß in dem Dichter eine ganz außerordentliche Begabung ist, die
eine glückliche Wendung nehmen kann, wenn er sich entschließt, ein seinem bis¬
herigen Schaffen ganz entgegengesetztes Princip zu verfolgen, die sich aber an
unfruchtbaren Spielereien verbrauchen wird, wenn er sich jener Romantik des
träumerischen Doppellebens nicht entreißt.- --


Berlin und Sanssouci, oder Friedrich der Große und seine Freunde, historischer
Roman von L. Mühlbach, 4 Bände. Berlin, Simion. --

Der gegenwärtige Roman ist die Fortsetzung des früheren, welcher die
Jugendgeschichte Friedrich des Großen behandelt. Die Verfasserin, die sich dies Mal
Clara Munde unterzeichnet', erwähnt in der Vorrede mit freudiger Genugthuung,
daß der frühere Versuch großen Beifall gefunden hat, und verspricht eine weitere
Fortsetzung. ,,Jch wollte," sagt sie, "keinen Roman schreiben, dem die Geschichte
nur als Folie diente, .als bequemes, leicht dehnbares Guttaperchafuudament,
sondern ich wollte den Versuch machen, gewissermaßen Memoiren der Geschichte
zu schreiben, d. h. das Persönliche in der Geschichte herauszustellen "ut in seiner
Wesenheit mitten in den historischen Ereignissen und durch dieselben wirken zu
lassen." --

Schon die Berechtigung dieses Princips müssen mir bestreiten. Der historische
Roman hat mir Sinn, insofern er mit der Geschichtschreibung nicht cvllidirt.
Der Novellist kann uns eine historische Zeit vergegenwärtigen, wenn er die


Züge befleckt und es dann beschönigt. So etwas kommt in der Welt zwar viel¬
fach vor, aber niemals bei einer guten Natur, und daß unsere jungdeutschen
Dichter ^das vergessen haben, das macht eben, daß sie keine wirkliche lebendige
Gestalt zeichnen können. — Bei dieser Geschichte ist noch ein anderer Zug be¬
merkenswert!). Jener Maler, den wir fast ein ganzes Jahr hindurch als tüch¬
tigen Künstler, als verständigen Lehrer und sehr gebildeten Mann beobachtet haben,
wird plötzlich verrückt, und es ergibt sich, daß er schon die ganze Zeit hindurch
wahnsinnig gewesen ist. Nun ist das bei der Methode, wie unser Dichter seine
Gestalten entwickelt, eine sehr wohlfeile Ueberraschung, denn er zeigt sie uns nie
in ihrer vollen Wirklichkeit, sondern nnr von einer phantastischen Seite, und man
kann daher nie bei ihm genau wissen, ob nicht jede seiner Gestalten grade das
Gegentheil von dem ist, was wir vermuthen. Aber poetisch ist ein solches Verfahre»
nicht. Denn in der Poesie gilt daS Gesetz der innern Causalität »och in viel
höherem Grade, als in der sogenannten Wirklichkeit.

Wir behalten uns vor, auf das Buch, das uns sehr lebhaft interessirt hat,
noch einmal zurückzukommen. Von de» i> Bände», ans denen es bestehen soll,
sind erst drei erschienen, und vielleicht gibt der letzte noch manche Anknüpfungen,
die einzelnes ans dem Vorhergehenden rechtfertigen. Daß unser Urtheil im
ganzen dadurch verändert werden könnte, möchten wir bezweifeln. So viel steht
für uns fest, daß in dem Dichter eine ganz außerordentliche Begabung ist, die
eine glückliche Wendung nehmen kann, wenn er sich entschließt, ein seinem bis¬
herigen Schaffen ganz entgegengesetztes Princip zu verfolgen, die sich aber an
unfruchtbaren Spielereien verbrauchen wird, wenn er sich jener Romantik des
träumerischen Doppellebens nicht entreißt.- —


Berlin und Sanssouci, oder Friedrich der Große und seine Freunde, historischer
Roman von L. Mühlbach, 4 Bände. Berlin, Simion. —

Der gegenwärtige Roman ist die Fortsetzung des früheren, welcher die
Jugendgeschichte Friedrich des Großen behandelt. Die Verfasserin, die sich dies Mal
Clara Munde unterzeichnet', erwähnt in der Vorrede mit freudiger Genugthuung,
daß der frühere Versuch großen Beifall gefunden hat, und verspricht eine weitere
Fortsetzung. ,,Jch wollte," sagt sie, „keinen Roman schreiben, dem die Geschichte
nur als Folie diente, .als bequemes, leicht dehnbares Guttaperchafuudament,
sondern ich wollte den Versuch machen, gewissermaßen Memoiren der Geschichte
zu schreiben, d. h. das Persönliche in der Geschichte herauszustellen »ut in seiner
Wesenheit mitten in den historischen Ereignissen und durch dieselben wirken zu
lassen." —

Schon die Berechtigung dieses Princips müssen mir bestreiten. Der historische
Roman hat mir Sinn, insofern er mit der Geschichtschreibung nicht cvllidirt.
Der Novellist kann uns eine historische Zeit vergegenwärtigen, wenn er die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/413>, abgerufen am 22.07.2024.