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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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delogirt worden. -- Was von dem Kriegsschauplatz an der Donau gilt, findet
auch seine Anwendung auf den in Asien. Die Russen sind hier ebensowenig im
Stande gewesen, zeitweilig errungene Vortheile weiter, und so, daß energische Re¬
sultate sich daraus ergeben hätten, zu verfolgen. Mau weiß hier zwar nicht ge¬
nau, wo Fürst Audrouikvsf steht, indeß hat er, allem Vermuthen nach, die rus-
sische Grenze noch nicht weit hinter sich.

Die hiesige Regierung benutzt die große, aufgezwungene Pause des Winters
mit anerkennenswerther Thätigkeit, und, wie man gestehen muß, nicht ohne er¬
sichtliche, das Nothwendigste stets zuerst ins Ange fassende Umsicht, um beide
Operationöarmeen, die in Bulgarien und die andere in Asien, auf einen respec-
tablen Kriegsfuß zu erheben. Nach der bei Hnmri erlittenen Schlappe war na¬
mentlich in Bezug ans letzteres Heer viel zu thun. Man darf behaupten, daß es
neu organisirt, ja zum Theil nen formirt werden mußte. Man darf annehmen,
daß bis zum heutigen Tage im Laufe des begonnenen Jahres, zu Wasser
23,000 Mann dahin abgegangen sind und zu Lande etwa halb soviel. Beim
Wiederbeginn der Operationen wird daher die Armee von Anadoli (Asien) mit
einem um beinahe i0,000 Mann vermehrten Bestände aufzutreten vermögen, was
um so mehr bedeuten will, wenn man erwägt, daß uuter die Offizier-Corps
der regulären nach Asien entsendeten Truppen viele europäische Offiziere, im
besonderen frühere Schleswig-holsteinische, sodann auch ungarische und polnische
Emigranten, vertheilt wurden. Bis zum gegenwärtigen Augenblick darf man den
ehemaligen magyarischen General Guyon als den eigentlichen Leitet dieses Heeres
betrachten -- denn die in letzter Zeit viel genannten türkischen Paschas sind selbst¬
redend nur nominelle, nicht thatsächliche Befehlshaber. Auch scheint es, daß der¬
selbe einstweilen in dieser Stellung belassen bleiben wird. Sein Rivale dürfte kein
anderer als General George Klapka sein, der seit mehren Monaten in Pera
verweilt und (wie ich vermuthe) mit dem türkischen Kriegsministerium wegen des
in Asien zu übernehmenden Obercommandos in Unterhandlungen steht. Ge¬
naueres weiß ich darüber uicht, weil mir in dieser Richtung alle Verbindungen
fehlen. Nichtsdestoweniger steht es für mich fest, daß ein Vertauschen Klapkas
mit Guyon im türkischen Interesse sehr wünschenswert!) wäre. General Guyon
ist nur ein Haudegen, wiewol ein äußerst tapferer, und der es sich angelegen
sein läßt, rastlos für die Verpflegung seiner Truppen zu sorgen; von höherer
Taktik muß man nichts in ihm suchen; aber er ist beliebt beim gemeinen Mann
und weiß die einmal in Bewegung gebrachten Massen mit sich fortzureißen. Ganz
anders Klapka. Man kann behaupten, daß er der militärisch gebildetste Heer¬
führer des ungarischen Krieges war, und, ans magyarischer Seite, der einzige Stra¬
tege. Weder Bem noch Dembinski verstanden es in dem Maße wie er, die hö¬
heren Momente einer Campagne zu erfassen, den Augenblick einer Entscheidung
im voraus zu erkennen, mit geistiger Spürkraft in die Entwürfe des Gegners


delogirt worden. — Was von dem Kriegsschauplatz an der Donau gilt, findet
auch seine Anwendung auf den in Asien. Die Russen sind hier ebensowenig im
Stande gewesen, zeitweilig errungene Vortheile weiter, und so, daß energische Re¬
sultate sich daraus ergeben hätten, zu verfolgen. Mau weiß hier zwar nicht ge¬
nau, wo Fürst Audrouikvsf steht, indeß hat er, allem Vermuthen nach, die rus-
sische Grenze noch nicht weit hinter sich.

Die hiesige Regierung benutzt die große, aufgezwungene Pause des Winters
mit anerkennenswerther Thätigkeit, und, wie man gestehen muß, nicht ohne er¬
sichtliche, das Nothwendigste stets zuerst ins Ange fassende Umsicht, um beide
Operationöarmeen, die in Bulgarien und die andere in Asien, auf einen respec-
tablen Kriegsfuß zu erheben. Nach der bei Hnmri erlittenen Schlappe war na¬
mentlich in Bezug ans letzteres Heer viel zu thun. Man darf behaupten, daß es
neu organisirt, ja zum Theil nen formirt werden mußte. Man darf annehmen,
daß bis zum heutigen Tage im Laufe des begonnenen Jahres, zu Wasser
23,000 Mann dahin abgegangen sind und zu Lande etwa halb soviel. Beim
Wiederbeginn der Operationen wird daher die Armee von Anadoli (Asien) mit
einem um beinahe i0,000 Mann vermehrten Bestände aufzutreten vermögen, was
um so mehr bedeuten will, wenn man erwägt, daß uuter die Offizier-Corps
der regulären nach Asien entsendeten Truppen viele europäische Offiziere, im
besonderen frühere Schleswig-holsteinische, sodann auch ungarische und polnische
Emigranten, vertheilt wurden. Bis zum gegenwärtigen Augenblick darf man den
ehemaligen magyarischen General Guyon als den eigentlichen Leitet dieses Heeres
betrachten — denn die in letzter Zeit viel genannten türkischen Paschas sind selbst¬
redend nur nominelle, nicht thatsächliche Befehlshaber. Auch scheint es, daß der¬
selbe einstweilen in dieser Stellung belassen bleiben wird. Sein Rivale dürfte kein
anderer als General George Klapka sein, der seit mehren Monaten in Pera
verweilt und (wie ich vermuthe) mit dem türkischen Kriegsministerium wegen des
in Asien zu übernehmenden Obercommandos in Unterhandlungen steht. Ge¬
naueres weiß ich darüber uicht, weil mir in dieser Richtung alle Verbindungen
fehlen. Nichtsdestoweniger steht es für mich fest, daß ein Vertauschen Klapkas
mit Guyon im türkischen Interesse sehr wünschenswert!) wäre. General Guyon
ist nur ein Haudegen, wiewol ein äußerst tapferer, und der es sich angelegen
sein läßt, rastlos für die Verpflegung seiner Truppen zu sorgen; von höherer
Taktik muß man nichts in ihm suchen; aber er ist beliebt beim gemeinen Mann
und weiß die einmal in Bewegung gebrachten Massen mit sich fortzureißen. Ganz
anders Klapka. Man kann behaupten, daß er der militärisch gebildetste Heer¬
führer des ungarischen Krieges war, und, ans magyarischer Seite, der einzige Stra¬
tege. Weder Bem noch Dembinski verstanden es in dem Maße wie er, die hö¬
heren Momente einer Campagne zu erfassen, den Augenblick einer Entscheidung
im voraus zu erkennen, mit geistiger Spürkraft in die Entwürfe des Gegners


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/388>, abgerufen am 22.07.2024.