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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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nimmer traf sie am Ziele ihrer Reise ein. Was aus dem Fahrzeuge, mit dem
sie nach Neuyork absegelte, geworden ist, ob es in einem Sturm verschlagen
wurde und an unbekannten Küsten scheiterte, ob es von Piraten genommen
wurde, die alle an Bord befindlichen Personen ermordeten oder ob es aus offener
See verbrannte, wird nicht eher bekannt werden, als an dem großen Tage, wo
das Meer seine Todten herausgeben wird. Burr harrte vergeblich. Tage wur¬
den zu Wochen, Wochen zu Monden, und er sah sich endlich gezwungeuzu glau¬
ben, daß seine Tochter todt sei.

Dieser Schlag brach ihm das Herz, und wenn er auch vor andern denselben
stoischen Gleichmuth zeigte, den er stets besessen, so sollen ihm doch zuweilen,
wenn er allein war, Thränen über die gefurchten Wangen herabgestossen sein. Er
lebte nach diesem Ereignisse noch/volle dreißig Jahre, fühlte sich aber, nach seinen
eigenen Worte", geschieden vom menschlichen Geschlechte. Er hatte weder Bru-
der noch Schwester, noch irgendwelche nähere Anverwandte. Niemand nannte ihn
Freund. Die Last von achtzig Wintern drückte ihn nieder. Krankheit peinigte
ihn. Endlich kam der langersehnte Tod und schloß das Drama dieses merkwür¬
digen Lebens.

Kaum weniger traurig war das Schicksal Blaunerhassets, seines hervorragend¬
sten Mitschuldigen. Als die virginische Miliz im Jahre 4806 seine Insel besetzte,
wurde von diesen Halbwilden das schöne Eiland mit seinen Gärten und Park¬
anlagen in schmählichster Weise verheert. Im Jahre 1811 vollendete ein Feuer,
welches das Hauptgebäude in Asche legte, das Werk der Zerstörung. Als Burr
vor Gericht gestellt wurde, zog mau auch Blannerhasset ein und schaffte
ihn ins Zuchthaus nach Richmond. Mit jenem freigelassen, kehrte er nach seiner
Besitzung zurück und verkaufte sie. Aber die Vorschüsse, die er zu der verun-
glückten Expedition gemacht, hatte" deu größten Theil seines Vermögens aufge¬
zehrt, und er war nicht weit vom Bettelstabe. Er zog nun nach dem Staate
Mississippi, wo er eine Baumwvllenplantage anlegte, die so guten Ertrag lieferte,
daß er wieder zu seinem früheren Vermögen gelangt sein würde, wenn nicht der
Krieg mit England ausgebrochen wäre. Durch diesen sank die Baumwolle ans
einen nur nomineller Preis, und da seine zahlreichen Gläubiger ihn bedrängten,
so geriet!) er i" die tiefste Verlegenheit. In dieser Noth bot ihm ein alter
Freund, der damals Gouverneur in Canada war, eine Richterstelle an. Er nahm
dieselbe mit Freuden an; als er aber in Montreal eintraf, fand er, daß die Lau¬
nenhaftigkeit des britischen Cabinets seinen Freund seines Amtes entsetzt hatte.
Er sah sich nun ohne Hoffnung, ohne Thatkraft, mit dem geringen Reste seines
glänzenden Vermögens, in der Zeit, wo das Alter fühlbar zu werden beginnt,
in die Welt hinausgestoßen. Nur eine Hoffnung war ihm geblieben: nach Eu¬
ropa zu segeln und seine Ansprüche auf ein kleines Gut in Irland geltend zu
machen, welches er in den Tagen seines Ueberflusses völlig außer Acht gelassen hatte.


nimmer traf sie am Ziele ihrer Reise ein. Was aus dem Fahrzeuge, mit dem
sie nach Neuyork absegelte, geworden ist, ob es in einem Sturm verschlagen
wurde und an unbekannten Küsten scheiterte, ob es von Piraten genommen
wurde, die alle an Bord befindlichen Personen ermordeten oder ob es aus offener
See verbrannte, wird nicht eher bekannt werden, als an dem großen Tage, wo
das Meer seine Todten herausgeben wird. Burr harrte vergeblich. Tage wur¬
den zu Wochen, Wochen zu Monden, und er sah sich endlich gezwungeuzu glau¬
ben, daß seine Tochter todt sei.

Dieser Schlag brach ihm das Herz, und wenn er auch vor andern denselben
stoischen Gleichmuth zeigte, den er stets besessen, so sollen ihm doch zuweilen,
wenn er allein war, Thränen über die gefurchten Wangen herabgestossen sein. Er
lebte nach diesem Ereignisse noch/volle dreißig Jahre, fühlte sich aber, nach seinen
eigenen Worte», geschieden vom menschlichen Geschlechte. Er hatte weder Bru-
der noch Schwester, noch irgendwelche nähere Anverwandte. Niemand nannte ihn
Freund. Die Last von achtzig Wintern drückte ihn nieder. Krankheit peinigte
ihn. Endlich kam der langersehnte Tod und schloß das Drama dieses merkwür¬
digen Lebens.

Kaum weniger traurig war das Schicksal Blaunerhassets, seines hervorragend¬
sten Mitschuldigen. Als die virginische Miliz im Jahre 4806 seine Insel besetzte,
wurde von diesen Halbwilden das schöne Eiland mit seinen Gärten und Park¬
anlagen in schmählichster Weise verheert. Im Jahre 1811 vollendete ein Feuer,
welches das Hauptgebäude in Asche legte, das Werk der Zerstörung. Als Burr
vor Gericht gestellt wurde, zog mau auch Blannerhasset ein und schaffte
ihn ins Zuchthaus nach Richmond. Mit jenem freigelassen, kehrte er nach seiner
Besitzung zurück und verkaufte sie. Aber die Vorschüsse, die er zu der verun-
glückten Expedition gemacht, hatte» deu größten Theil seines Vermögens aufge¬
zehrt, und er war nicht weit vom Bettelstabe. Er zog nun nach dem Staate
Mississippi, wo er eine Baumwvllenplantage anlegte, die so guten Ertrag lieferte,
daß er wieder zu seinem früheren Vermögen gelangt sein würde, wenn nicht der
Krieg mit England ausgebrochen wäre. Durch diesen sank die Baumwolle ans
einen nur nomineller Preis, und da seine zahlreichen Gläubiger ihn bedrängten,
so geriet!) er i» die tiefste Verlegenheit. In dieser Noth bot ihm ein alter
Freund, der damals Gouverneur in Canada war, eine Richterstelle an. Er nahm
dieselbe mit Freuden an; als er aber in Montreal eintraf, fand er, daß die Lau¬
nenhaftigkeit des britischen Cabinets seinen Freund seines Amtes entsetzt hatte.
Er sah sich nun ohne Hoffnung, ohne Thatkraft, mit dem geringen Reste seines
glänzenden Vermögens, in der Zeit, wo das Alter fühlbar zu werden beginnt,
in die Welt hinausgestoßen. Nur eine Hoffnung war ihm geblieben: nach Eu¬
ropa zu segeln und seine Ansprüche auf ein kleines Gut in Irland geltend zu
machen, welches er in den Tagen seines Ueberflusses völlig außer Acht gelassen hatte.


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[0386] nimmer traf sie am Ziele ihrer Reise ein. Was aus dem Fahrzeuge, mit dem sie nach Neuyork absegelte, geworden ist, ob es in einem Sturm verschlagen wurde und an unbekannten Küsten scheiterte, ob es von Piraten genommen wurde, die alle an Bord befindlichen Personen ermordeten oder ob es aus offener See verbrannte, wird nicht eher bekannt werden, als an dem großen Tage, wo das Meer seine Todten herausgeben wird. Burr harrte vergeblich. Tage wur¬ den zu Wochen, Wochen zu Monden, und er sah sich endlich gezwungeuzu glau¬ ben, daß seine Tochter todt sei. Dieser Schlag brach ihm das Herz, und wenn er auch vor andern denselben stoischen Gleichmuth zeigte, den er stets besessen, so sollen ihm doch zuweilen, wenn er allein war, Thränen über die gefurchten Wangen herabgestossen sein. Er lebte nach diesem Ereignisse noch/volle dreißig Jahre, fühlte sich aber, nach seinen eigenen Worte», geschieden vom menschlichen Geschlechte. Er hatte weder Bru- der noch Schwester, noch irgendwelche nähere Anverwandte. Niemand nannte ihn Freund. Die Last von achtzig Wintern drückte ihn nieder. Krankheit peinigte ihn. Endlich kam der langersehnte Tod und schloß das Drama dieses merkwür¬ digen Lebens. Kaum weniger traurig war das Schicksal Blaunerhassets, seines hervorragend¬ sten Mitschuldigen. Als die virginische Miliz im Jahre 4806 seine Insel besetzte, wurde von diesen Halbwilden das schöne Eiland mit seinen Gärten und Park¬ anlagen in schmählichster Weise verheert. Im Jahre 1811 vollendete ein Feuer, welches das Hauptgebäude in Asche legte, das Werk der Zerstörung. Als Burr vor Gericht gestellt wurde, zog mau auch Blannerhasset ein und schaffte ihn ins Zuchthaus nach Richmond. Mit jenem freigelassen, kehrte er nach seiner Besitzung zurück und verkaufte sie. Aber die Vorschüsse, die er zu der verun- glückten Expedition gemacht, hatte» deu größten Theil seines Vermögens aufge¬ zehrt, und er war nicht weit vom Bettelstabe. Er zog nun nach dem Staate Mississippi, wo er eine Baumwvllenplantage anlegte, die so guten Ertrag lieferte, daß er wieder zu seinem früheren Vermögen gelangt sein würde, wenn nicht der Krieg mit England ausgebrochen wäre. Durch diesen sank die Baumwolle ans einen nur nomineller Preis, und da seine zahlreichen Gläubiger ihn bedrängten, so geriet!) er i» die tiefste Verlegenheit. In dieser Noth bot ihm ein alter Freund, der damals Gouverneur in Canada war, eine Richterstelle an. Er nahm dieselbe mit Freuden an; als er aber in Montreal eintraf, fand er, daß die Lau¬ nenhaftigkeit des britischen Cabinets seinen Freund seines Amtes entsetzt hatte. Er sah sich nun ohne Hoffnung, ohne Thatkraft, mit dem geringen Reste seines glänzenden Vermögens, in der Zeit, wo das Alter fühlbar zu werden beginnt, in die Welt hinausgestoßen. Nur eine Hoffnung war ihm geblieben: nach Eu¬ ropa zu segeln und seine Ansprüche auf ein kleines Gut in Irland geltend zu machen, welches er in den Tagen seines Ueberflusses völlig außer Acht gelassen hatte.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/386>, abgerufen am 25.08.2024.