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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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So toll und seltsam dieses Project auch scheinen mag, wenn man den ord¬
nungsliebenden und im allgemeinen gesetzlichen Sinn des amerikanischen Volks in
Betracht zieht, so hatte die Zeit, in welcher es entstand, doch Wunderdinge ge¬
sehen, welche weit über die nüchternen Berechnungen des Verstandes und die
Schranken des Glaublichen hinausgegangen waren. Als Gibbon sein großes
Werk über den Untergang des römischen Reiches schloß, sprach er die Ansicht aus,
die Zeit großer und staunenswerther Umwälzungen sei vorüber, um nie wieder
zu kehren, die Menschheit sei durch Jahrhunderte voll Erfahrungen zur Mäßigung
ernüchtert, welche kein solch glänzendes Material mehr für die Geschichte liefern
werde 'wie die Vergangenheit. Kaum war diese Meinung aus der Presse, so
ging der Vorhang zum Beginn des großartigen Dramas in Frankreich uns und
fünfundzwanzig Jahre lang sah die Welt mit starrem Blick und verhaltenem
Athem eine Reihenfolge schrecklicher und ungeheurer Thaten, durch welche ihr gan¬
zes Leben umgeworfen wurde. Die civilisirte Welt lag wie im Fieber und han¬
delte anch wie im Fieber. Könige wurden Bettler und Bauern wurden Könige.
Uralte Monarchien stürzten zusammen, und Staaten von neuer Form entstanden
aus den Trümmern. Namen, Grenzen, Titel, alles wurde durcheinander gewir¬
belt gleich den dürren Blättern herbstlicher Wälder in dem Wirbeln der Winds-
braut. Ein Lieutenant in einem französischen Artillerieregimcnte hatte den Thron
von Westeuropa bestiegen, nud Trommler, Korporale und Gemeine waren zu
Herzögen, Fürsten und Königen geworden. Alles schien eitel zu sein vor dem
Willen des Genies.

So war es nicht zu verwundern, daß ein Mann wie Burr, im Osten vom
Ostracismus der öffentlichen Verachtung getroffen und seiner Aussichten beraubt,
aber reich an Talent, Thatkraft und Muth, sich entschloß, in der neuen Welt, wie
der Corse in der alten, es aus das Glück der Würfel ankommen zu lassen, ob
ihm eine Krone oder ein Grab beschicken sei. Die zweifelhafte, halb feindselige
Stellung, welche die Union damals zu Spanien eingenommen hatte, gab ihm
einen brauchbaren Deckmantel für seine eigentliche Absicht und setzte ihn in den
Stand, die ersten Scenen des Spiels, das er vorhatte, in einem zweideutigen
Dämmerlichte und dadurch auch solchen Naturen beifallswerth erscheinen zu lassen,
welche es einen Frevel genannt haben würden, wenn sie die Katastrophe, die den
Plan enthielt, hätten ahnen können. Der kecken Jugend der westlichen Hinter¬
wälder, die in ihrer geringen Weltkenntniß nicht weiter sah, als ihre niste schoß,
die sich nach kriegerischen Unternehmungen sehnte und sich dabei wenig, an die
Vorschriften des Völkerrechts kehrte, konnte er sein Project als einen Freischaren¬
zug, unternommen ans Privatrechnung gegen die Besitzungen einer Nation dar¬
stellen, mit denen die Vereinigten Staaten in kurzem in offenem Kriege begriffen
sein würden. Es war zu Lande etwa, was das Treiben von Kreuzern auf der
See war. Er konnte ihnen zu verstehen geben, daß die Regierung in Washing-


So toll und seltsam dieses Project auch scheinen mag, wenn man den ord¬
nungsliebenden und im allgemeinen gesetzlichen Sinn des amerikanischen Volks in
Betracht zieht, so hatte die Zeit, in welcher es entstand, doch Wunderdinge ge¬
sehen, welche weit über die nüchternen Berechnungen des Verstandes und die
Schranken des Glaublichen hinausgegangen waren. Als Gibbon sein großes
Werk über den Untergang des römischen Reiches schloß, sprach er die Ansicht aus,
die Zeit großer und staunenswerther Umwälzungen sei vorüber, um nie wieder
zu kehren, die Menschheit sei durch Jahrhunderte voll Erfahrungen zur Mäßigung
ernüchtert, welche kein solch glänzendes Material mehr für die Geschichte liefern
werde 'wie die Vergangenheit. Kaum war diese Meinung aus der Presse, so
ging der Vorhang zum Beginn des großartigen Dramas in Frankreich uns und
fünfundzwanzig Jahre lang sah die Welt mit starrem Blick und verhaltenem
Athem eine Reihenfolge schrecklicher und ungeheurer Thaten, durch welche ihr gan¬
zes Leben umgeworfen wurde. Die civilisirte Welt lag wie im Fieber und han¬
delte anch wie im Fieber. Könige wurden Bettler und Bauern wurden Könige.
Uralte Monarchien stürzten zusammen, und Staaten von neuer Form entstanden
aus den Trümmern. Namen, Grenzen, Titel, alles wurde durcheinander gewir¬
belt gleich den dürren Blättern herbstlicher Wälder in dem Wirbeln der Winds-
braut. Ein Lieutenant in einem französischen Artillerieregimcnte hatte den Thron
von Westeuropa bestiegen, nud Trommler, Korporale und Gemeine waren zu
Herzögen, Fürsten und Königen geworden. Alles schien eitel zu sein vor dem
Willen des Genies.

So war es nicht zu verwundern, daß ein Mann wie Burr, im Osten vom
Ostracismus der öffentlichen Verachtung getroffen und seiner Aussichten beraubt,
aber reich an Talent, Thatkraft und Muth, sich entschloß, in der neuen Welt, wie
der Corse in der alten, es aus das Glück der Würfel ankommen zu lassen, ob
ihm eine Krone oder ein Grab beschicken sei. Die zweifelhafte, halb feindselige
Stellung, welche die Union damals zu Spanien eingenommen hatte, gab ihm
einen brauchbaren Deckmantel für seine eigentliche Absicht und setzte ihn in den
Stand, die ersten Scenen des Spiels, das er vorhatte, in einem zweideutigen
Dämmerlichte und dadurch auch solchen Naturen beifallswerth erscheinen zu lassen,
welche es einen Frevel genannt haben würden, wenn sie die Katastrophe, die den
Plan enthielt, hätten ahnen können. Der kecken Jugend der westlichen Hinter¬
wälder, die in ihrer geringen Weltkenntniß nicht weiter sah, als ihre niste schoß,
die sich nach kriegerischen Unternehmungen sehnte und sich dabei wenig, an die
Vorschriften des Völkerrechts kehrte, konnte er sein Project als einen Freischaren¬
zug, unternommen ans Privatrechnung gegen die Besitzungen einer Nation dar¬
stellen, mit denen die Vereinigten Staaten in kurzem in offenem Kriege begriffen
sein würden. Es war zu Lande etwa, was das Treiben von Kreuzern auf der
See war. Er konnte ihnen zu verstehen geben, daß die Regierung in Washing-


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[0372] So toll und seltsam dieses Project auch scheinen mag, wenn man den ord¬ nungsliebenden und im allgemeinen gesetzlichen Sinn des amerikanischen Volks in Betracht zieht, so hatte die Zeit, in welcher es entstand, doch Wunderdinge ge¬ sehen, welche weit über die nüchternen Berechnungen des Verstandes und die Schranken des Glaublichen hinausgegangen waren. Als Gibbon sein großes Werk über den Untergang des römischen Reiches schloß, sprach er die Ansicht aus, die Zeit großer und staunenswerther Umwälzungen sei vorüber, um nie wieder zu kehren, die Menschheit sei durch Jahrhunderte voll Erfahrungen zur Mäßigung ernüchtert, welche kein solch glänzendes Material mehr für die Geschichte liefern werde 'wie die Vergangenheit. Kaum war diese Meinung aus der Presse, so ging der Vorhang zum Beginn des großartigen Dramas in Frankreich uns und fünfundzwanzig Jahre lang sah die Welt mit starrem Blick und verhaltenem Athem eine Reihenfolge schrecklicher und ungeheurer Thaten, durch welche ihr gan¬ zes Leben umgeworfen wurde. Die civilisirte Welt lag wie im Fieber und han¬ delte anch wie im Fieber. Könige wurden Bettler und Bauern wurden Könige. Uralte Monarchien stürzten zusammen, und Staaten von neuer Form entstanden aus den Trümmern. Namen, Grenzen, Titel, alles wurde durcheinander gewir¬ belt gleich den dürren Blättern herbstlicher Wälder in dem Wirbeln der Winds- braut. Ein Lieutenant in einem französischen Artillerieregimcnte hatte den Thron von Westeuropa bestiegen, nud Trommler, Korporale und Gemeine waren zu Herzögen, Fürsten und Königen geworden. Alles schien eitel zu sein vor dem Willen des Genies. So war es nicht zu verwundern, daß ein Mann wie Burr, im Osten vom Ostracismus der öffentlichen Verachtung getroffen und seiner Aussichten beraubt, aber reich an Talent, Thatkraft und Muth, sich entschloß, in der neuen Welt, wie der Corse in der alten, es aus das Glück der Würfel ankommen zu lassen, ob ihm eine Krone oder ein Grab beschicken sei. Die zweifelhafte, halb feindselige Stellung, welche die Union damals zu Spanien eingenommen hatte, gab ihm einen brauchbaren Deckmantel für seine eigentliche Absicht und setzte ihn in den Stand, die ersten Scenen des Spiels, das er vorhatte, in einem zweideutigen Dämmerlichte und dadurch auch solchen Naturen beifallswerth erscheinen zu lassen, welche es einen Frevel genannt haben würden, wenn sie die Katastrophe, die den Plan enthielt, hätten ahnen können. Der kecken Jugend der westlichen Hinter¬ wälder, die in ihrer geringen Weltkenntniß nicht weiter sah, als ihre niste schoß, die sich nach kriegerischen Unternehmungen sehnte und sich dabei wenig, an die Vorschriften des Völkerrechts kehrte, konnte er sein Project als einen Freischaren¬ zug, unternommen ans Privatrechnung gegen die Besitzungen einer Nation dar¬ stellen, mit denen die Vereinigten Staaten in kurzem in offenem Kriege begriffen sein würden. Es war zu Lande etwa, was das Treiben von Kreuzern auf der See war. Er konnte ihnen zu verstehen geben, daß die Regierung in Washing-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/372>, abgerufen am 03.07.2024.