Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

-- In der Sitzung der zweiten Kammer, am 17. Febr., handelte es sich
wieder um die Remedur einer jener bösen Beulen, deren wiederholtes Auf-
brechen die innere Krankheit unseres Rechtszustandes bezeichnet. Infolge einer
Petition kam die Ausweisung des Licentiaten der Theologie, Hrabowski, zur
Sprache. Die hiesige christ-katholische Gemeinde hat sich seit dem Tode ihres
Geistlichen vergebens bemüht, diese Stelle durch eine geeignete Persönlichkeit zu
besetzen; denn alle Geistliche, die sich zur Abhaltung einer Probepredigt hier ein¬
gefunden hatten, wurden von der Polizeibehörde ausgewiesen. Unter ihnen be¬
fand sich auch Dr. Hrabowski. Selbst wenn man von der Rechtsfrage ganz
absteht, wird man es schwerlich billigen, daß die Behörden zur Unterdrückung
einer religiösen Gemeinde, die zu gesetzlichem Einschreiten keinen Anlaß bietet,
das Mittel ergreifen, sie innerlich dadurch herunterzubringen, daß man sie an
der Wahl eines geeigneten Geistlichen hindert, und sie nöthigt, sich mit den
Vorträgen von Laien aus ihrer Mitte zu begnügen. So lange die Gemeinde
besteht, ist es, wie uns dünkt, im öffentlichen Interesse sehr zu wünschen, daß
Theologen von Beruf, wissenschaftlich gebildete Männer, die wie Hrabowski von
einer theologischen Facultät eine akademische Würde erlangt haben, die religiösen
Versammlungen der Gemeinde leiten, und wir sehen in der That nicht, wie man
es vom Standpunkte der Moral rechtfertigen will, daß durch den Ausschluß sol¬
cher Männer der innere Verfall der Gemeinde befördert wird. Die Debatte
der Kammer bewegte sich indeß auf dem Boden des formalen Rechts. Hrabowski
hatte der Polizeibehörde den Zweck seiner Ankunft und seine Absicht, als Pre¬
diger der christ-katholischen Gemeinde seinen dauernden Aufenthalt in Berlin zu
nehmen, mitgetheilt. Nach dem Gesetze vom 31. Decemb.er 1842 war er zur
Niederlassung berechtigt, denn er ist geborner Preuße, seine Subststenz war dnrch
sein Amt gesichert, und Personen, bei denen diese Bedingungen zutreffen, darf
die Niederlassung nur dann verweigert werden, wenn sie durch ein Straf¬
urtheil in der freien Wahl ihres Aufenthalts beschränkt sind oder zu einer be¬
stimmten Kategorie "entlassener Sträflinge" gehören. Zur Rechtfertigung der
dennoch erfolgten Ausweisung berief sich der Regierungscommissär Scheerer aus
§. 14 des Gesetzes, nach dem in Ansehung solcher Personen, "welche sich blos
als Fremde oder Reisende an einem Orte aufhalten," die Vorschriften über die
Fremdenpolizei in Kraft bleiben. Herr Scheerer gerieth hierbei in arge Ver¬
legenheit. Denn Hrabowski hatte seine Absicht, als Prediger dauernd hier zu
bleiben, ausgesprochen, gehörte also nicht uuter die in §. 14 bezeichneten Perso¬
nen. Herr Scheerer verfällt auf den Einwand, daß er sein Niederlassungsgesuch
nicht schriftlich eingereicht habe. Es wird ihm entgegnet, daß das Gesetz diese
Form nicht vorschreibe; §. 8 lautet im Gegentheil: "wer an einem Orte seineu
Aufenthalt nehmen will, muß sich bei der Polizei-Obrigkeit dieses Orts
melden, und über seine persönlichen Verhältnisse mit Rücksicht auf die Vor-


— In der Sitzung der zweiten Kammer, am 17. Febr., handelte es sich
wieder um die Remedur einer jener bösen Beulen, deren wiederholtes Auf-
brechen die innere Krankheit unseres Rechtszustandes bezeichnet. Infolge einer
Petition kam die Ausweisung des Licentiaten der Theologie, Hrabowski, zur
Sprache. Die hiesige christ-katholische Gemeinde hat sich seit dem Tode ihres
Geistlichen vergebens bemüht, diese Stelle durch eine geeignete Persönlichkeit zu
besetzen; denn alle Geistliche, die sich zur Abhaltung einer Probepredigt hier ein¬
gefunden hatten, wurden von der Polizeibehörde ausgewiesen. Unter ihnen be¬
fand sich auch Dr. Hrabowski. Selbst wenn man von der Rechtsfrage ganz
absteht, wird man es schwerlich billigen, daß die Behörden zur Unterdrückung
einer religiösen Gemeinde, die zu gesetzlichem Einschreiten keinen Anlaß bietet,
das Mittel ergreifen, sie innerlich dadurch herunterzubringen, daß man sie an
der Wahl eines geeigneten Geistlichen hindert, und sie nöthigt, sich mit den
Vorträgen von Laien aus ihrer Mitte zu begnügen. So lange die Gemeinde
besteht, ist es, wie uns dünkt, im öffentlichen Interesse sehr zu wünschen, daß
Theologen von Beruf, wissenschaftlich gebildete Männer, die wie Hrabowski von
einer theologischen Facultät eine akademische Würde erlangt haben, die religiösen
Versammlungen der Gemeinde leiten, und wir sehen in der That nicht, wie man
es vom Standpunkte der Moral rechtfertigen will, daß durch den Ausschluß sol¬
cher Männer der innere Verfall der Gemeinde befördert wird. Die Debatte
der Kammer bewegte sich indeß auf dem Boden des formalen Rechts. Hrabowski
hatte der Polizeibehörde den Zweck seiner Ankunft und seine Absicht, als Pre¬
diger der christ-katholischen Gemeinde seinen dauernden Aufenthalt in Berlin zu
nehmen, mitgetheilt. Nach dem Gesetze vom 31. Decemb.er 1842 war er zur
Niederlassung berechtigt, denn er ist geborner Preuße, seine Subststenz war dnrch
sein Amt gesichert, und Personen, bei denen diese Bedingungen zutreffen, darf
die Niederlassung nur dann verweigert werden, wenn sie durch ein Straf¬
urtheil in der freien Wahl ihres Aufenthalts beschränkt sind oder zu einer be¬
stimmten Kategorie „entlassener Sträflinge" gehören. Zur Rechtfertigung der
dennoch erfolgten Ausweisung berief sich der Regierungscommissär Scheerer aus
§. 14 des Gesetzes, nach dem in Ansehung solcher Personen, „welche sich blos
als Fremde oder Reisende an einem Orte aufhalten," die Vorschriften über die
Fremdenpolizei in Kraft bleiben. Herr Scheerer gerieth hierbei in arge Ver¬
legenheit. Denn Hrabowski hatte seine Absicht, als Prediger dauernd hier zu
bleiben, ausgesprochen, gehörte also nicht uuter die in §. 14 bezeichneten Perso¬
nen. Herr Scheerer verfällt auf den Einwand, daß er sein Niederlassungsgesuch
nicht schriftlich eingereicht habe. Es wird ihm entgegnet, daß das Gesetz diese
Form nicht vorschreibe; §. 8 lautet im Gegentheil: „wer an einem Orte seineu
Aufenthalt nehmen will, muß sich bei der Polizei-Obrigkeit dieses Orts
melden, und über seine persönlichen Verhältnisse mit Rücksicht auf die Vor-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0351" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97597"/>
            <p xml:id="ID_917" next="#ID_918"> &#x2014; In der Sitzung der zweiten Kammer, am 17. Febr., handelte es sich<lb/>
wieder um die Remedur einer jener bösen Beulen, deren wiederholtes Auf-<lb/>
brechen die innere Krankheit unseres Rechtszustandes bezeichnet. Infolge einer<lb/>
Petition kam die Ausweisung des Licentiaten der Theologie, Hrabowski, zur<lb/>
Sprache. Die hiesige christ-katholische Gemeinde hat sich seit dem Tode ihres<lb/>
Geistlichen vergebens bemüht, diese Stelle durch eine geeignete Persönlichkeit zu<lb/>
besetzen; denn alle Geistliche, die sich zur Abhaltung einer Probepredigt hier ein¬<lb/>
gefunden hatten, wurden von der Polizeibehörde ausgewiesen. Unter ihnen be¬<lb/>
fand sich auch Dr. Hrabowski. Selbst wenn man von der Rechtsfrage ganz<lb/>
absteht, wird man es schwerlich billigen, daß die Behörden zur Unterdrückung<lb/>
einer religiösen Gemeinde, die zu gesetzlichem Einschreiten keinen Anlaß bietet,<lb/>
das Mittel ergreifen, sie innerlich dadurch herunterzubringen, daß man sie an<lb/>
der Wahl eines geeigneten Geistlichen hindert, und sie nöthigt, sich mit den<lb/>
Vorträgen von Laien aus ihrer Mitte zu begnügen. So lange die Gemeinde<lb/>
besteht, ist es, wie uns dünkt, im öffentlichen Interesse sehr zu wünschen, daß<lb/>
Theologen von Beruf, wissenschaftlich gebildete Männer, die wie Hrabowski von<lb/>
einer theologischen Facultät eine akademische Würde erlangt haben, die religiösen<lb/>
Versammlungen der Gemeinde leiten, und wir sehen in der That nicht, wie man<lb/>
es vom Standpunkte der Moral rechtfertigen will, daß durch den Ausschluß sol¬<lb/>
cher Männer der innere Verfall der Gemeinde befördert wird. Die Debatte<lb/>
der Kammer bewegte sich indeß auf dem Boden des formalen Rechts. Hrabowski<lb/>
hatte der Polizeibehörde den Zweck seiner Ankunft und seine Absicht, als Pre¬<lb/>
diger der christ-katholischen Gemeinde seinen dauernden Aufenthalt in Berlin zu<lb/>
nehmen, mitgetheilt. Nach dem Gesetze vom 31. Decemb.er 1842 war er zur<lb/>
Niederlassung berechtigt, denn er ist geborner Preuße, seine Subststenz war dnrch<lb/>
sein Amt gesichert, und Personen, bei denen diese Bedingungen zutreffen, darf<lb/>
die Niederlassung nur dann verweigert werden, wenn sie durch ein Straf¬<lb/>
urtheil in der freien Wahl ihres Aufenthalts beschränkt sind oder zu einer be¬<lb/>
stimmten Kategorie &#x201E;entlassener Sträflinge" gehören. Zur Rechtfertigung der<lb/>
dennoch erfolgten Ausweisung berief sich der Regierungscommissär Scheerer aus<lb/>
§. 14 des Gesetzes, nach dem in Ansehung solcher Personen, &#x201E;welche sich blos<lb/>
als Fremde oder Reisende an einem Orte aufhalten," die Vorschriften über die<lb/>
Fremdenpolizei in Kraft bleiben. Herr Scheerer gerieth hierbei in arge Ver¬<lb/>
legenheit. Denn Hrabowski hatte seine Absicht, als Prediger dauernd hier zu<lb/>
bleiben, ausgesprochen, gehörte also nicht uuter die in §. 14 bezeichneten Perso¬<lb/>
nen. Herr Scheerer verfällt auf den Einwand, daß er sein Niederlassungsgesuch<lb/>
nicht schriftlich eingereicht habe. Es wird ihm entgegnet, daß das Gesetz diese<lb/>
Form nicht vorschreibe; §. 8 lautet im Gegentheil: &#x201E;wer an einem Orte seineu<lb/>
Aufenthalt nehmen will, muß sich bei der Polizei-Obrigkeit dieses Orts<lb/>
melden, und über seine persönlichen Verhältnisse mit Rücksicht auf die Vor-</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0351] — In der Sitzung der zweiten Kammer, am 17. Febr., handelte es sich wieder um die Remedur einer jener bösen Beulen, deren wiederholtes Auf- brechen die innere Krankheit unseres Rechtszustandes bezeichnet. Infolge einer Petition kam die Ausweisung des Licentiaten der Theologie, Hrabowski, zur Sprache. Die hiesige christ-katholische Gemeinde hat sich seit dem Tode ihres Geistlichen vergebens bemüht, diese Stelle durch eine geeignete Persönlichkeit zu besetzen; denn alle Geistliche, die sich zur Abhaltung einer Probepredigt hier ein¬ gefunden hatten, wurden von der Polizeibehörde ausgewiesen. Unter ihnen be¬ fand sich auch Dr. Hrabowski. Selbst wenn man von der Rechtsfrage ganz absteht, wird man es schwerlich billigen, daß die Behörden zur Unterdrückung einer religiösen Gemeinde, die zu gesetzlichem Einschreiten keinen Anlaß bietet, das Mittel ergreifen, sie innerlich dadurch herunterzubringen, daß man sie an der Wahl eines geeigneten Geistlichen hindert, und sie nöthigt, sich mit den Vorträgen von Laien aus ihrer Mitte zu begnügen. So lange die Gemeinde besteht, ist es, wie uns dünkt, im öffentlichen Interesse sehr zu wünschen, daß Theologen von Beruf, wissenschaftlich gebildete Männer, die wie Hrabowski von einer theologischen Facultät eine akademische Würde erlangt haben, die religiösen Versammlungen der Gemeinde leiten, und wir sehen in der That nicht, wie man es vom Standpunkte der Moral rechtfertigen will, daß durch den Ausschluß sol¬ cher Männer der innere Verfall der Gemeinde befördert wird. Die Debatte der Kammer bewegte sich indeß auf dem Boden des formalen Rechts. Hrabowski hatte der Polizeibehörde den Zweck seiner Ankunft und seine Absicht, als Pre¬ diger der christ-katholischen Gemeinde seinen dauernden Aufenthalt in Berlin zu nehmen, mitgetheilt. Nach dem Gesetze vom 31. Decemb.er 1842 war er zur Niederlassung berechtigt, denn er ist geborner Preuße, seine Subststenz war dnrch sein Amt gesichert, und Personen, bei denen diese Bedingungen zutreffen, darf die Niederlassung nur dann verweigert werden, wenn sie durch ein Straf¬ urtheil in der freien Wahl ihres Aufenthalts beschränkt sind oder zu einer be¬ stimmten Kategorie „entlassener Sträflinge" gehören. Zur Rechtfertigung der dennoch erfolgten Ausweisung berief sich der Regierungscommissär Scheerer aus §. 14 des Gesetzes, nach dem in Ansehung solcher Personen, „welche sich blos als Fremde oder Reisende an einem Orte aufhalten," die Vorschriften über die Fremdenpolizei in Kraft bleiben. Herr Scheerer gerieth hierbei in arge Ver¬ legenheit. Denn Hrabowski hatte seine Absicht, als Prediger dauernd hier zu bleiben, ausgesprochen, gehörte also nicht uuter die in §. 14 bezeichneten Perso¬ nen. Herr Scheerer verfällt auf den Einwand, daß er sein Niederlassungsgesuch nicht schriftlich eingereicht habe. Es wird ihm entgegnet, daß das Gesetz diese Form nicht vorschreibe; §. 8 lautet im Gegentheil: „wer an einem Orte seineu Aufenthalt nehmen will, muß sich bei der Polizei-Obrigkeit dieses Orts melden, und über seine persönlichen Verhältnisse mit Rücksicht auf die Vor-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/351
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/351>, abgerufen am 26.06.2024.