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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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handelt hätten, am wenigsten dann, wenn ihnen durch den Minister der königliche
Wunsch mitgetheilt worden wäre; und es hat sich in der That herausgestellt, daß
einem großen Theile ihrer Mitglieder der letztere durchaus unbekannt geblieben
war. Zur Erklärung dieses Ereignisses sind nur zwei Annahmen möglich. Ent¬
weder hat Herr v. Westphalen den königlichen Auftrag ganz unberücksichtigt ge¬
lassen, oder er hat zur weitern Verbreitung desselben unglücklicherweise solche
Personen gewählt, denen an einer Erfüllung des königlichen Wunsches sehr wenig
gelegen war. Die wohlwollende Intention des Königs, eine Frage des praktischen
Nutzeus über den Parteistandpuukt zu erheben und die Parteien dadurch einander
zu nähern, daß er das Ministerium sich für einen geeigneten Candidaten des
Centrums zu erklären veranlasse, wurde demnach durch eine auffällige Saumselig¬
keit seiner Diener vereitelt. Bei dem dritten Scrutiuium verschafften die Stimmen
der katholischen Fraction dem Candidaten der Rechten die Majorität.

-- Infolge der letzten Vicepräsidentenwahl hört man jetzt -- nicht ohne Mit¬
leiden -- von Mitgliedern der äußersten Rechten Ansichten über die Nothwendig¬
keit einer Nichteinmischung der Regierung in Wahlhandlungen äußern, die weit
über die bescheidenen Forderungen der liberalen Fractionen hinausgehen. Wir
haben uns noch nicht herausgenommen, zu verlangen, daß der König in Bezug auf
eine Wahl keinen Wunsch äußern, oder daß die Regierung keinen Kandidaten em¬
pfehlen dürfe; wir haben den Regierungsbeamten noch uicht zugemuthet, daß sie den
Einfluß, den ihre Persönlichkeit und das Vertrauen ihrer Umgebung ihnen
verschaffen, bei Wahlen vergessen machen sollen. Wir haben nur verlangt, daß
in dem Wahlkampfe Licht und Wind gleich getheilt werde und daß die Regierung
die Machtmittel, die sie kraft ihres Amtes zu anderen Zwecken besitzt, nicht zur
Einschüchterung der Schwankenden und zur Züchtigung der selbstständigen mi߬
braucht. Wir haben es als unstatthaft und gefährlich bezeichnet, daß die Regie¬
rung durch Androhung und Anwendung von Amtsentsetzungen, disciplinarischen
und ehrengerichtlichen Untersuchungen, Concessionsentziehnngen und anderen Be-
nachtheiligungen die Wähler zwingt, sich moralisch oder materiell zu Grunde richten
zu lassen; diese Macht ist der Regierung nicht eingeräumt, eine ihr ergebene
Kammermajorität zu erzielen; sie soll von der Regierung zum allgemeinen Besten,
nicht in ihrem speciellen Nutzen und zum Schaden der Wähler verwendet werden.
Wünsche aussprechen und Kandidaten empfehlen kann jeder, auch der Regierungs¬
beamte, so lange daraus der Wahlfreiheit kein Schaden erwächst. Wenn jetzt
Mitglieder der äußersten Rechten sich über die Vorkommnisse bei der letzten Prä¬
sidentenwahl so ungeberdig wie Radicale vom reinsten Wasser zeigen, so liefern
sie dadurch nur einen neuen Beweis, daß sie für die Freiheit sehr enthusiasmirt
sind, so lange sie ihnen ausschließlich zugute kommt, und daß sie auch gut
royalistisch sind, -- aber nur so lange, als der König thut, was sie, die "klei¬
nen Könige" wollen.


handelt hätten, am wenigsten dann, wenn ihnen durch den Minister der königliche
Wunsch mitgetheilt worden wäre; und es hat sich in der That herausgestellt, daß
einem großen Theile ihrer Mitglieder der letztere durchaus unbekannt geblieben
war. Zur Erklärung dieses Ereignisses sind nur zwei Annahmen möglich. Ent¬
weder hat Herr v. Westphalen den königlichen Auftrag ganz unberücksichtigt ge¬
lassen, oder er hat zur weitern Verbreitung desselben unglücklicherweise solche
Personen gewählt, denen an einer Erfüllung des königlichen Wunsches sehr wenig
gelegen war. Die wohlwollende Intention des Königs, eine Frage des praktischen
Nutzeus über den Parteistandpuukt zu erheben und die Parteien dadurch einander
zu nähern, daß er das Ministerium sich für einen geeigneten Candidaten des
Centrums zu erklären veranlasse, wurde demnach durch eine auffällige Saumselig¬
keit seiner Diener vereitelt. Bei dem dritten Scrutiuium verschafften die Stimmen
der katholischen Fraction dem Candidaten der Rechten die Majorität.

— Infolge der letzten Vicepräsidentenwahl hört man jetzt — nicht ohne Mit¬
leiden — von Mitgliedern der äußersten Rechten Ansichten über die Nothwendig¬
keit einer Nichteinmischung der Regierung in Wahlhandlungen äußern, die weit
über die bescheidenen Forderungen der liberalen Fractionen hinausgehen. Wir
haben uns noch nicht herausgenommen, zu verlangen, daß der König in Bezug auf
eine Wahl keinen Wunsch äußern, oder daß die Regierung keinen Kandidaten em¬
pfehlen dürfe; wir haben den Regierungsbeamten noch uicht zugemuthet, daß sie den
Einfluß, den ihre Persönlichkeit und das Vertrauen ihrer Umgebung ihnen
verschaffen, bei Wahlen vergessen machen sollen. Wir haben nur verlangt, daß
in dem Wahlkampfe Licht und Wind gleich getheilt werde und daß die Regierung
die Machtmittel, die sie kraft ihres Amtes zu anderen Zwecken besitzt, nicht zur
Einschüchterung der Schwankenden und zur Züchtigung der selbstständigen mi߬
braucht. Wir haben es als unstatthaft und gefährlich bezeichnet, daß die Regie¬
rung durch Androhung und Anwendung von Amtsentsetzungen, disciplinarischen
und ehrengerichtlichen Untersuchungen, Concessionsentziehnngen und anderen Be-
nachtheiligungen die Wähler zwingt, sich moralisch oder materiell zu Grunde richten
zu lassen; diese Macht ist der Regierung nicht eingeräumt, eine ihr ergebene
Kammermajorität zu erzielen; sie soll von der Regierung zum allgemeinen Besten,
nicht in ihrem speciellen Nutzen und zum Schaden der Wähler verwendet werden.
Wünsche aussprechen und Kandidaten empfehlen kann jeder, auch der Regierungs¬
beamte, so lange daraus der Wahlfreiheit kein Schaden erwächst. Wenn jetzt
Mitglieder der äußersten Rechten sich über die Vorkommnisse bei der letzten Prä¬
sidentenwahl so ungeberdig wie Radicale vom reinsten Wasser zeigen, so liefern
sie dadurch nur einen neuen Beweis, daß sie für die Freiheit sehr enthusiasmirt
sind, so lange sie ihnen ausschließlich zugute kommt, und daß sie auch gut
royalistisch sind, — aber nur so lange, als der König thut, was sie, die „klei¬
nen Könige" wollen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/350>, abgerufen am 28.09.2024.