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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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welche in dieser Landschaft Hausen, ein zähes, tüchtiges, dauerhaftes Geschlecht,
mit ihren Wunderlichkeiten und Verirrungen, der tüchtigen Kraft und Energie
sind mit Virtuosität gezeichnet, so oft sie als Staffage bei Ausmalung charakte¬
ristischer Zeit- und Landschaftsbilder auftreten. >

Auch in dem neuen Romane sind einzelne solche Schilderungen von nicht
gewöhnlicher Kraft und Wirkung: Das weite Moor, das Dorf Qnerbelitz und
seine Bewohner, das Treiben des märkischen Landadels, die Kleinbürger von
Raum, die Stellung der Einwohner zur feindlichen Einquartirung daselbst, die
Gegensätze in Art und Benehmen der einzelnen Stände, eine Anzahl origineller
und charakteristischer Nebenfiguren. Der Roman beginnt mitten im unglücklichen
Kriege von 1806, behandelt die verhängnißvolle Zeit des Jahres 1807 ausführlich,
die späteren Stimmungen und Ereignisse fragmentarisch. Die Hauptperson ist ein
märkischer Rittergutsbesitzer von Adel, voll von deu Vorurtheilen seines Standes
und seiner Zeit, von ungewöhnlich starken Leidenschaften, aber auch von un¬
gewöhnlicher Kraft und Energie des Willens, ein Tyrann seiner Familie und
Umgebung, dabei ein braver, ehrenwerther Mann und ein edler Patriot. Er
hat drei Töchter von verschiedenen Anlagen, denen er selbst eine seht' ver¬
schiedene Zukunft prophezeit. Diese Prophezeihungen werden durch ein ironisches
Schicksal vernichtet. Die elegante, anspruchsvolle Tochter hat das Unglück, mit
einem französischen Aventurier, der Namen und Wappen einer alten legitimistischen
Familie usurpirt hat, in ein Verhältniß zu gerathen und dem Vater verloren zu
gehen, sie wird zuletzt Gemahlin eines Pairs von Frankreich und verfällt einem
schwächlichen, süßlichen Legitimismus, wird fromm u. s. w., dem Vater ist sie als Ge¬
fallene, als Weib eines Feindes und eines Betrügers todt. Die andere, sparsam,
wirthschaftlich, gleichgiltig gegen den adligen Stolz des Vaters, wird die Frau
eines Herrn vom hohen Adel, eines mediatisirten Reichsgrafen, und die dritte,
der Liebling des Gutsherr", von tiefem Gemüth und edler Festigkeit, welche nach
dem Willen des Vaters die aristokratische Partie übernehmen sollte, heirathet
nach langem Harren den Kandidaten der Familie, den späteren Pastor des
Dorfes. Zwei Söhne, nicht bedeutend, folgen den Strömungen der Zeit.
Wenn aber auch die Begebenheiten in der Familie deö Freiherrn von Qnarbitz,
die Kämpfe des strengen Vaters mit den Neigungen seiner Kinder, einen großen
Theil des Romanes füllen, so kann man doch nicht sagen, daß die Darstellung
derselben die Hauptaufgabe des Werkes war.

Es waren vielmehr die Zustände und Stimmungen der verhängnißvollen
Kriegsjahre und der nächstfolgenden Zeit, die Ratlosigkeit, Zerfahrenheit und
Anarchie in den regierenden Kreisen und daneben die tüchtige Kraft der Ein¬
zelnen, welche die Wiedergeburt des Staates möglich machten, also ein Terrain
von.fast unendlicher Ausdehnung mit Perspectiven nach allen Seiten hin. Es
ist offenbar, daß eine solche Darstellung die Geschlossenheit eines einheitlichen


welche in dieser Landschaft Hausen, ein zähes, tüchtiges, dauerhaftes Geschlecht,
mit ihren Wunderlichkeiten und Verirrungen, der tüchtigen Kraft und Energie
sind mit Virtuosität gezeichnet, so oft sie als Staffage bei Ausmalung charakte¬
ristischer Zeit- und Landschaftsbilder auftreten. >

Auch in dem neuen Romane sind einzelne solche Schilderungen von nicht
gewöhnlicher Kraft und Wirkung: Das weite Moor, das Dorf Qnerbelitz und
seine Bewohner, das Treiben des märkischen Landadels, die Kleinbürger von
Raum, die Stellung der Einwohner zur feindlichen Einquartirung daselbst, die
Gegensätze in Art und Benehmen der einzelnen Stände, eine Anzahl origineller
und charakteristischer Nebenfiguren. Der Roman beginnt mitten im unglücklichen
Kriege von 1806, behandelt die verhängnißvolle Zeit des Jahres 1807 ausführlich,
die späteren Stimmungen und Ereignisse fragmentarisch. Die Hauptperson ist ein
märkischer Rittergutsbesitzer von Adel, voll von deu Vorurtheilen seines Standes
und seiner Zeit, von ungewöhnlich starken Leidenschaften, aber auch von un¬
gewöhnlicher Kraft und Energie des Willens, ein Tyrann seiner Familie und
Umgebung, dabei ein braver, ehrenwerther Mann und ein edler Patriot. Er
hat drei Töchter von verschiedenen Anlagen, denen er selbst eine seht' ver¬
schiedene Zukunft prophezeit. Diese Prophezeihungen werden durch ein ironisches
Schicksal vernichtet. Die elegante, anspruchsvolle Tochter hat das Unglück, mit
einem französischen Aventurier, der Namen und Wappen einer alten legitimistischen
Familie usurpirt hat, in ein Verhältniß zu gerathen und dem Vater verloren zu
gehen, sie wird zuletzt Gemahlin eines Pairs von Frankreich und verfällt einem
schwächlichen, süßlichen Legitimismus, wird fromm u. s. w., dem Vater ist sie als Ge¬
fallene, als Weib eines Feindes und eines Betrügers todt. Die andere, sparsam,
wirthschaftlich, gleichgiltig gegen den adligen Stolz des Vaters, wird die Frau
eines Herrn vom hohen Adel, eines mediatisirten Reichsgrafen, und die dritte,
der Liebling des Gutsherr», von tiefem Gemüth und edler Festigkeit, welche nach
dem Willen des Vaters die aristokratische Partie übernehmen sollte, heirathet
nach langem Harren den Kandidaten der Familie, den späteren Pastor des
Dorfes. Zwei Söhne, nicht bedeutend, folgen den Strömungen der Zeit.
Wenn aber auch die Begebenheiten in der Familie deö Freiherrn von Qnarbitz,
die Kämpfe des strengen Vaters mit den Neigungen seiner Kinder, einen großen
Theil des Romanes füllen, so kann man doch nicht sagen, daß die Darstellung
derselben die Hauptaufgabe des Werkes war.

Es waren vielmehr die Zustände und Stimmungen der verhängnißvollen
Kriegsjahre und der nächstfolgenden Zeit, die Ratlosigkeit, Zerfahrenheit und
Anarchie in den regierenden Kreisen und daneben die tüchtige Kraft der Ein¬
zelnen, welche die Wiedergeburt des Staates möglich machten, also ein Terrain
von.fast unendlicher Ausdehnung mit Perspectiven nach allen Seiten hin. Es
ist offenbar, daß eine solche Darstellung die Geschlossenheit eines einheitlichen


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[0330] welche in dieser Landschaft Hausen, ein zähes, tüchtiges, dauerhaftes Geschlecht, mit ihren Wunderlichkeiten und Verirrungen, der tüchtigen Kraft und Energie sind mit Virtuosität gezeichnet, so oft sie als Staffage bei Ausmalung charakte¬ ristischer Zeit- und Landschaftsbilder auftreten. > Auch in dem neuen Romane sind einzelne solche Schilderungen von nicht gewöhnlicher Kraft und Wirkung: Das weite Moor, das Dorf Qnerbelitz und seine Bewohner, das Treiben des märkischen Landadels, die Kleinbürger von Raum, die Stellung der Einwohner zur feindlichen Einquartirung daselbst, die Gegensätze in Art und Benehmen der einzelnen Stände, eine Anzahl origineller und charakteristischer Nebenfiguren. Der Roman beginnt mitten im unglücklichen Kriege von 1806, behandelt die verhängnißvolle Zeit des Jahres 1807 ausführlich, die späteren Stimmungen und Ereignisse fragmentarisch. Die Hauptperson ist ein märkischer Rittergutsbesitzer von Adel, voll von deu Vorurtheilen seines Standes und seiner Zeit, von ungewöhnlich starken Leidenschaften, aber auch von un¬ gewöhnlicher Kraft und Energie des Willens, ein Tyrann seiner Familie und Umgebung, dabei ein braver, ehrenwerther Mann und ein edler Patriot. Er hat drei Töchter von verschiedenen Anlagen, denen er selbst eine seht' ver¬ schiedene Zukunft prophezeit. Diese Prophezeihungen werden durch ein ironisches Schicksal vernichtet. Die elegante, anspruchsvolle Tochter hat das Unglück, mit einem französischen Aventurier, der Namen und Wappen einer alten legitimistischen Familie usurpirt hat, in ein Verhältniß zu gerathen und dem Vater verloren zu gehen, sie wird zuletzt Gemahlin eines Pairs von Frankreich und verfällt einem schwächlichen, süßlichen Legitimismus, wird fromm u. s. w., dem Vater ist sie als Ge¬ fallene, als Weib eines Feindes und eines Betrügers todt. Die andere, sparsam, wirthschaftlich, gleichgiltig gegen den adligen Stolz des Vaters, wird die Frau eines Herrn vom hohen Adel, eines mediatisirten Reichsgrafen, und die dritte, der Liebling des Gutsherr», von tiefem Gemüth und edler Festigkeit, welche nach dem Willen des Vaters die aristokratische Partie übernehmen sollte, heirathet nach langem Harren den Kandidaten der Familie, den späteren Pastor des Dorfes. Zwei Söhne, nicht bedeutend, folgen den Strömungen der Zeit. Wenn aber auch die Begebenheiten in der Familie deö Freiherrn von Qnarbitz, die Kämpfe des strengen Vaters mit den Neigungen seiner Kinder, einen großen Theil des Romanes füllen, so kann man doch nicht sagen, daß die Darstellung derselben die Hauptaufgabe des Werkes war. Es waren vielmehr die Zustände und Stimmungen der verhängnißvollen Kriegsjahre und der nächstfolgenden Zeit, die Ratlosigkeit, Zerfahrenheit und Anarchie in den regierenden Kreisen und daneben die tüchtige Kraft der Ein¬ zelnen, welche die Wiedergeburt des Staates möglich machten, also ein Terrain von.fast unendlicher Ausdehnung mit Perspectiven nach allen Seiten hin. Es ist offenbar, daß eine solche Darstellung die Geschlossenheit eines einheitlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/330>, abgerufen am 22.07.2024.