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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Die Schweiz in römischer Zeit.
Von Theodor Mommsen. >/t!i!^

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Das Gebiet der Wissenschaft hat sich in neuerer Zeit in die. Breite und
Tiefe hin so unendlich erweitert, daß jenes alle Streben der Gelehrten, den
ganzen Umfang des Wissens zu umfassen, fast in das Reich der Fabel gehört.
Früher war es z. B. für einen Philologen nothwendig, in Beziehung auf die
Sprachforschung, wie auf die Kenntniß der historischen Alterthümer gleichmäßig
mit der Wissenschaft fortzugehen; in diesem Augenblick dagegen sind die verschie¬
denen Disciplinen der Philologie so gesondert, daß sich der Linguistiker, der
Archäolog, der Numismatiker, der historische Alterthumsforscher, der Aesthetiker
u. s. w. ganz auf seine Sphäre einschränkt und sich um die Bewegung der
Wissenschaft, um die andern Disciplinen verhältnismäßig wenig bekümmert. An
Gründlichkeit und Vollständigkeit gewinnt die Wissenschaft durch diese Theilung der
Arbeit unendlich, aber der gr'oße.und freie Blick für das concrete Leben, der
doch allein dem Gelehrten jene ideale Stellung verleiht, die ihn über den Un¬
wissenden erhebt und der allein auch die Wissenschaft fruchtbar für das Leben
machen kann, wird dadurch sehr erschwert. Um so größere Bewunderung ver¬
dienen diejenigen Männer, welche mit der bis ins kleine getriebenen Gewissen¬
haftigkeit der neuen Forschung die alte umfassende Perspective verbinden. Freilich
ist so etwas nur bei ganz besonders organisirten Naturen möglich. Es gehört
dazu einerseits eine Beschleunigung des Lebens und des Denkens, wie man sie
eigentlich nur vom schaffenden Genie erwartet, andrerseits jene nach allen Seiten
schauende, in der strengsten Methode fortschreitende gewissenhafte Ueberlegung,
die es sonst in der Regel mit sich bringt, daß mau sich vor jedem Abschluß
scheut, weil der Sinn für das Dunkle und Verborgene, für das Gebiet des
Nichtwissens unendlich geschärft ist. ES gehört dazu eine nach allen Seiten rege
und wachsame Spürkraft und doch wieder eine strenge Selbstbeschränkung auf
die gerade Linie der Forschung. Von andern nothwendigen Erfordernissen, zi B.
von den eisernen Eingeweiden, die man früher an den großen Gelehrten be¬
wunderte, wollen wir gar nicht reden; Eisen ist ein Metall, welches einer so
aufreibenden Thätigkeit nicht widerstehen könnte. Daß Mommsen in diese seltene
Classe von Gelehrten gehört , ist der gelehrten Welt allgemein bekannt. In das
Vo>et ist sein Name wenig gedrungen, weil er sich fast nur in den lustigen
Sphären der reinen Forschung bewegt hat, und die deutschen Regierungen haben,
^le billig, ihre Anerkennung einer so seltenen Begabung und einer so strengen
Wissenschaftlichkeit dadurch ausgesprochen, daß sie ihn den Schweizern überlassen
haben. Man muß doch auch für diese armen Republikaner etwas thun! Von
Zürich aus sind, wie wir hören, bereits einige Folianten erschienen, die Früchte


Die Schweiz in römischer Zeit.
Von Theodor Mommsen. >/t!i!^

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Das Gebiet der Wissenschaft hat sich in neuerer Zeit in die. Breite und
Tiefe hin so unendlich erweitert, daß jenes alle Streben der Gelehrten, den
ganzen Umfang des Wissens zu umfassen, fast in das Reich der Fabel gehört.
Früher war es z. B. für einen Philologen nothwendig, in Beziehung auf die
Sprachforschung, wie auf die Kenntniß der historischen Alterthümer gleichmäßig
mit der Wissenschaft fortzugehen; in diesem Augenblick dagegen sind die verschie¬
denen Disciplinen der Philologie so gesondert, daß sich der Linguistiker, der
Archäolog, der Numismatiker, der historische Alterthumsforscher, der Aesthetiker
u. s. w. ganz auf seine Sphäre einschränkt und sich um die Bewegung der
Wissenschaft, um die andern Disciplinen verhältnismäßig wenig bekümmert. An
Gründlichkeit und Vollständigkeit gewinnt die Wissenschaft durch diese Theilung der
Arbeit unendlich, aber der gr'oße.und freie Blick für das concrete Leben, der
doch allein dem Gelehrten jene ideale Stellung verleiht, die ihn über den Un¬
wissenden erhebt und der allein auch die Wissenschaft fruchtbar für das Leben
machen kann, wird dadurch sehr erschwert. Um so größere Bewunderung ver¬
dienen diejenigen Männer, welche mit der bis ins kleine getriebenen Gewissen¬
haftigkeit der neuen Forschung die alte umfassende Perspective verbinden. Freilich
ist so etwas nur bei ganz besonders organisirten Naturen möglich. Es gehört
dazu einerseits eine Beschleunigung des Lebens und des Denkens, wie man sie
eigentlich nur vom schaffenden Genie erwartet, andrerseits jene nach allen Seiten
schauende, in der strengsten Methode fortschreitende gewissenhafte Ueberlegung,
die es sonst in der Regel mit sich bringt, daß mau sich vor jedem Abschluß
scheut, weil der Sinn für das Dunkle und Verborgene, für das Gebiet des
Nichtwissens unendlich geschärft ist. ES gehört dazu eine nach allen Seiten rege
und wachsame Spürkraft und doch wieder eine strenge Selbstbeschränkung auf
die gerade Linie der Forschung. Von andern nothwendigen Erfordernissen, zi B.
von den eisernen Eingeweiden, die man früher an den großen Gelehrten be¬
wunderte, wollen wir gar nicht reden; Eisen ist ein Metall, welches einer so
aufreibenden Thätigkeit nicht widerstehen könnte. Daß Mommsen in diese seltene
Classe von Gelehrten gehört , ist der gelehrten Welt allgemein bekannt. In das
Vo>et ist sein Name wenig gedrungen, weil er sich fast nur in den lustigen
Sphären der reinen Forschung bewegt hat, und die deutschen Regierungen haben,
^le billig, ihre Anerkennung einer so seltenen Begabung und einer so strengen
Wissenschaftlichkeit dadurch ausgesprochen, daß sie ihn den Schweizern überlassen
haben. Man muß doch auch für diese armen Republikaner etwas thun! Von
Zürich aus sind, wie wir hören, bereits einige Folianten erschienen, die Früchte


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[0255] Die Schweiz in römischer Zeit. Von Theodor Mommsen. >/t!i!^ -,».,/ Das Gebiet der Wissenschaft hat sich in neuerer Zeit in die. Breite und Tiefe hin so unendlich erweitert, daß jenes alle Streben der Gelehrten, den ganzen Umfang des Wissens zu umfassen, fast in das Reich der Fabel gehört. Früher war es z. B. für einen Philologen nothwendig, in Beziehung auf die Sprachforschung, wie auf die Kenntniß der historischen Alterthümer gleichmäßig mit der Wissenschaft fortzugehen; in diesem Augenblick dagegen sind die verschie¬ denen Disciplinen der Philologie so gesondert, daß sich der Linguistiker, der Archäolog, der Numismatiker, der historische Alterthumsforscher, der Aesthetiker u. s. w. ganz auf seine Sphäre einschränkt und sich um die Bewegung der Wissenschaft, um die andern Disciplinen verhältnismäßig wenig bekümmert. An Gründlichkeit und Vollständigkeit gewinnt die Wissenschaft durch diese Theilung der Arbeit unendlich, aber der gr'oße.und freie Blick für das concrete Leben, der doch allein dem Gelehrten jene ideale Stellung verleiht, die ihn über den Un¬ wissenden erhebt und der allein auch die Wissenschaft fruchtbar für das Leben machen kann, wird dadurch sehr erschwert. Um so größere Bewunderung ver¬ dienen diejenigen Männer, welche mit der bis ins kleine getriebenen Gewissen¬ haftigkeit der neuen Forschung die alte umfassende Perspective verbinden. Freilich ist so etwas nur bei ganz besonders organisirten Naturen möglich. Es gehört dazu einerseits eine Beschleunigung des Lebens und des Denkens, wie man sie eigentlich nur vom schaffenden Genie erwartet, andrerseits jene nach allen Seiten schauende, in der strengsten Methode fortschreitende gewissenhafte Ueberlegung, die es sonst in der Regel mit sich bringt, daß mau sich vor jedem Abschluß scheut, weil der Sinn für das Dunkle und Verborgene, für das Gebiet des Nichtwissens unendlich geschärft ist. ES gehört dazu eine nach allen Seiten rege und wachsame Spürkraft und doch wieder eine strenge Selbstbeschränkung auf die gerade Linie der Forschung. Von andern nothwendigen Erfordernissen, zi B. von den eisernen Eingeweiden, die man früher an den großen Gelehrten be¬ wunderte, wollen wir gar nicht reden; Eisen ist ein Metall, welches einer so aufreibenden Thätigkeit nicht widerstehen könnte. Daß Mommsen in diese seltene Classe von Gelehrten gehört , ist der gelehrten Welt allgemein bekannt. In das Vo>et ist sein Name wenig gedrungen, weil er sich fast nur in den lustigen Sphären der reinen Forschung bewegt hat, und die deutschen Regierungen haben, ^le billig, ihre Anerkennung einer so seltenen Begabung und einer so strengen Wissenschaftlichkeit dadurch ausgesprochen, daß sie ihn den Schweizern überlassen haben. Man muß doch auch für diese armen Republikaner etwas thun! Von Zürich aus sind, wie wir hören, bereits einige Folianten erschienen, die Früchte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/255>, abgerufen am 22.07.2024.