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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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vie>er ist allerdings mir ganz zufällig in den Zeno gekommen, denn er'behandelt
eine Begebenheit, deren Fabel und Moral nicht in der- entferntesten Beziehung
zum Inhalt des Uebrigen stehen; und Zeno wird nur ganz zuletzt als äsus ox
maeliwa eingeführt. Die Composition ist also ganz elementarer Natur und das
stört uns um so mehr, da auch nicht eine Spur von Naivetät und Unbefangenheit
in dem Ton des Ganzen herrscht.

Der dritte Punkt, den wir zu betrachten haben, ist die Zeichnung. sowol
in der Schilderung der Charaktere und der Leidenschaften, als im, Dialog, wird
das romantische Epos sich mehr der Freskomalerei nähern müssen. Zwar kommt
hier sehr wesentlich die äußere Form in Betracht. So wird z. B. der Hexa¬
meter eine ganz andere Zeichnung verstatten, als die Stanze, die Nibeluugeustrophe,
die Terzine oder die geläufigen englischen Versmaße. Aber wie groß auch die
Abweichung sein möge, von der feineren Nuauciruug und von der leidenschaftlichen
Bewegung des Dramas wird im Epos' keine Rede sein können. Was vor unse¬
ren Angen vorgeht, ergreift uns widerstandlos, aber in dem, was man uus
erzählt, muß jene Ruhe walten, die uns überzeugt. Der Dichter hat die Aufgabe
ebenso wie der Frescomaler, mit weniger Farben und Nuancen in seinen Ge¬
stalten und Ereignissen dieselbe Deutlichkeit hervorzubringen, die der Dramatiker
durch eine größere Fülle der Mittel erreicht. Von .alten Gedichten erfüllt z. B.
das Nibelungenlied diese Aufgabe in hohem Grade, unter den neueren Dichtungen
ist "Hermann und Dorothea" ein unvergleichliches Muster, aber auch Walter Scott
leistet in seinen bessern Werken vorzügliches. Sodann hat der epische Dichter
die Ausgabe, uus in die richtige musikalische Stimmung zu versetzen, daß unsere'
Seele sich in demselben Rhythmus bewegt, wie die uns vorgelegten Thatsachen.
Zu diesem Zweck hat der epische Dichter über viel größere Mittel zu disponiren
als der dramatische, denn er kann durch Schilderungen, auch durch Reflexionen
die Stimmung vollständig bemeistern, während sich der Dramatiker an seine That¬
sachen und se.me Personen halten muß. Dies ist der Punkt, wo der Dichter
vorzugsweise zeigen kann, wieweit seine Kraft und seine Einsicht reicht.

Herr Gottschall hat wol gefühlt, worauf es ankam. Er leitet jedesmal seine
Gesänge durch lyrische Empfindungen und landschaftliche Schilderungen ein, er
ruft also eine bestimmte Stimmung hervor. Aber diese Stimmung hat nur dann
einen Zweck, wenn sie uns die Atmosphäre der ganzen Handlung ahnungsvoll
verkündet. Hj^ si"den sich die sonderbarsten Mißgriffe. Bei dem ersten ein-
leitenden Gesang, ebenso bei dem dritten und fünften wollen wir die Einleitungen,
die weiter nichts geben, als das Colorit, gelten lassen; aber im zweiten und
vierten sind sie merkwürdig vergriffen. Im zweiten Gesänge, der eine" kriegerischen,
siegreichen Charakter lM, ist die einleitende Stimmung finster, melancholisch, im
vierten, dessen Inhalt finster und abschreckend ist, werden wir durch eine kräftig
bewegte kriegerische Stimmung begrüßt. Man kann auch nicht einmal sagen, daß


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vie>er ist allerdings mir ganz zufällig in den Zeno gekommen, denn er'behandelt
eine Begebenheit, deren Fabel und Moral nicht in der- entferntesten Beziehung
zum Inhalt des Uebrigen stehen; und Zeno wird nur ganz zuletzt als äsus ox
maeliwa eingeführt. Die Composition ist also ganz elementarer Natur und das
stört uns um so mehr, da auch nicht eine Spur von Naivetät und Unbefangenheit
in dem Ton des Ganzen herrscht.

Der dritte Punkt, den wir zu betrachten haben, ist die Zeichnung. sowol
in der Schilderung der Charaktere und der Leidenschaften, als im, Dialog, wird
das romantische Epos sich mehr der Freskomalerei nähern müssen. Zwar kommt
hier sehr wesentlich die äußere Form in Betracht. So wird z. B. der Hexa¬
meter eine ganz andere Zeichnung verstatten, als die Stanze, die Nibeluugeustrophe,
die Terzine oder die geläufigen englischen Versmaße. Aber wie groß auch die
Abweichung sein möge, von der feineren Nuauciruug und von der leidenschaftlichen
Bewegung des Dramas wird im Epos' keine Rede sein können. Was vor unse¬
ren Angen vorgeht, ergreift uns widerstandlos, aber in dem, was man uus
erzählt, muß jene Ruhe walten, die uns überzeugt. Der Dichter hat die Aufgabe
ebenso wie der Frescomaler, mit weniger Farben und Nuancen in seinen Ge¬
stalten und Ereignissen dieselbe Deutlichkeit hervorzubringen, die der Dramatiker
durch eine größere Fülle der Mittel erreicht. Von .alten Gedichten erfüllt z. B.
das Nibelungenlied diese Aufgabe in hohem Grade, unter den neueren Dichtungen
ist „Hermann und Dorothea" ein unvergleichliches Muster, aber auch Walter Scott
leistet in seinen bessern Werken vorzügliches. Sodann hat der epische Dichter
die Ausgabe, uus in die richtige musikalische Stimmung zu versetzen, daß unsere'
Seele sich in demselben Rhythmus bewegt, wie die uns vorgelegten Thatsachen.
Zu diesem Zweck hat der epische Dichter über viel größere Mittel zu disponiren
als der dramatische, denn er kann durch Schilderungen, auch durch Reflexionen
die Stimmung vollständig bemeistern, während sich der Dramatiker an seine That¬
sachen und se.me Personen halten muß. Dies ist der Punkt, wo der Dichter
vorzugsweise zeigen kann, wieweit seine Kraft und seine Einsicht reicht.

Herr Gottschall hat wol gefühlt, worauf es ankam. Er leitet jedesmal seine
Gesänge durch lyrische Empfindungen und landschaftliche Schilderungen ein, er
ruft also eine bestimmte Stimmung hervor. Aber diese Stimmung hat nur dann
einen Zweck, wenn sie uns die Atmosphäre der ganzen Handlung ahnungsvoll
verkündet. Hj^ si„den sich die sonderbarsten Mißgriffe. Bei dem ersten ein-
leitenden Gesang, ebenso bei dem dritten und fünften wollen wir die Einleitungen,
die weiter nichts geben, als das Colorit, gelten lassen; aber im zweiten und
vierten sind sie merkwürdig vergriffen. Im zweiten Gesänge, der eine» kriegerischen,
siegreichen Charakter lM, ist die einleitende Stimmung finster, melancholisch, im
vierten, dessen Inhalt finster und abschreckend ist, werden wir durch eine kräftig
bewegte kriegerische Stimmung begrüßt. Man kann auch nicht einmal sagen, daß


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/25>, abgerufen am 22.07.2024.