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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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ist als das Verbrechen selbst, nämlich die kalte Bosheit der Pamphletschrciber,
die sie eingibt, und das satanische Lächeln der Vvlksschmeichler, welches sie frei--
spricht. Der Hohn über den Leichnamen ist die Unbußfertigkeit der Nation." --
Seltsamerweise findet die Nacht vom 4. August, in welcher mit den gesammten
historischen Voraussetzungen wdula rc>hö, gemacht wende, einen warmen Verthei¬
diger an ihm, nicht wegen eines bestimmten, polirischen Princips, sondern wegen
des Eindrucks, den diese feierliche Begebenheit auf sein Gefühl macht. Ueber-
haupt darf man in diesem Buche nicht erwarten, die bekannten Begebenheiten
von einem höheren Princip aufgefaßt zu sehen. -- Glänzend sind wieder die
Porträts der hervortretende" Persönlichkeiten, wenn auch einzelne derselben, z. B.
das .von Marat, nur Wiederholungen ans den "Girondisten" sind. Namentlich
ist die Darstellung voll Mirabeau, von dem er uicht die ausschweifende Bewun-
derung hegt, die heutzutage wieder Mode geworden ist, und von Lafayette, in den
glänzendsten Farben ausgeführt. Die psychologische Entwickelung des letzteren
gibt uns zwar keine neuen Anschauungen, sie ist aber in ihrem Ensemble die
feinste, die wir bis jetzt gefunden haben. Die Königin verliert etwas von dem
heroischen Nimbus, den man ihr gewöhnlich leiht, einen Nimbus, zu dem Lamar¬
tine selbst wesentlich beigetragen hat. Von der Theilnahme des Herzogs von Or¬
leans an den Comploten der Revolution wird mit einer größeren Behutsamkeit
gesprochen, als wir es erwartet hätten. -- Wenn man längere Zeit eine concrete
Darstellung des ersten Theils der Revolution nicht gelesen hat, so fühlt man wieder
recht lebhaft, wie sie im einzelnen damals überschätzt worden ist. So verdienen
z. B. die Neben, die damals als europäische galten, keineswegs diese starke Bewun-
derung; sie sind meistens in ihrem Gedankeninhalt dürftig und in ihrer Form ma-
-nierirt. Von den eigentlichen Momenten des Aufstandes wollen wir ggr nicht reden ;
es sind meistens sehr schwarze Geschichten, die noch dazu eine, starke Färbung des Lä¬
cherlichen an sich tragen. Um die französische Revolution richtig zu würdigen, muß
man den Standpunkt etwas entfernter nehmen. Sie war ein gewaltiger Gährungs-
proceß der Natur, der als solcher nicht seines Gleichen in der Geschichte hat; aber
ein eigentliches Heldenzeitalter, wofür man sie gern ausgeben mochte, war sie
nicht. Es war ein starker, mächtiger, nach einer bestimmten Richtung hindrän¬
gender Jnstinct einer Masse; die Individuen waren nicht sehr preiswürdig. Frei¬
lich muß man die Massen der phystognomielvsen Persönlichkeiten nicht den han¬
delnden Persönlichkeiten entgegensetzen unter dem mystischen Namen des Volks,
wie es z. B. Lamartine in seinen "Girondisten" selber gethan. Die massenhafte
Bewegung ist nämlich auch das Charakteristische in den handelnden Individuen, es
ist eine Naturkraft, die sie forttreibt, und die endlich in den kriegerischen Unter-
nehmungen gegen das Anstand eine glänzende Form gewinnt. In dieser Be¬
ziehung verdienen die fatalistischen Geschichtschreiber der Revolution nicht die Vor¬
würfe, die man ihnen gewöhnlich gemacht hat. Zwar hebt jenes Walten der


ist als das Verbrechen selbst, nämlich die kalte Bosheit der Pamphletschrciber,
die sie eingibt, und das satanische Lächeln der Vvlksschmeichler, welches sie frei--
spricht. Der Hohn über den Leichnamen ist die Unbußfertigkeit der Nation." —
Seltsamerweise findet die Nacht vom 4. August, in welcher mit den gesammten
historischen Voraussetzungen wdula rc>hö, gemacht wende, einen warmen Verthei¬
diger an ihm, nicht wegen eines bestimmten, polirischen Princips, sondern wegen
des Eindrucks, den diese feierliche Begebenheit auf sein Gefühl macht. Ueber-
haupt darf man in diesem Buche nicht erwarten, die bekannten Begebenheiten
von einem höheren Princip aufgefaßt zu sehen. — Glänzend sind wieder die
Porträts der hervortretende» Persönlichkeiten, wenn auch einzelne derselben, z. B.
das .von Marat, nur Wiederholungen ans den „Girondisten" sind. Namentlich
ist die Darstellung voll Mirabeau, von dem er uicht die ausschweifende Bewun-
derung hegt, die heutzutage wieder Mode geworden ist, und von Lafayette, in den
glänzendsten Farben ausgeführt. Die psychologische Entwickelung des letzteren
gibt uns zwar keine neuen Anschauungen, sie ist aber in ihrem Ensemble die
feinste, die wir bis jetzt gefunden haben. Die Königin verliert etwas von dem
heroischen Nimbus, den man ihr gewöhnlich leiht, einen Nimbus, zu dem Lamar¬
tine selbst wesentlich beigetragen hat. Von der Theilnahme des Herzogs von Or¬
leans an den Comploten der Revolution wird mit einer größeren Behutsamkeit
gesprochen, als wir es erwartet hätten. — Wenn man längere Zeit eine concrete
Darstellung des ersten Theils der Revolution nicht gelesen hat, so fühlt man wieder
recht lebhaft, wie sie im einzelnen damals überschätzt worden ist. So verdienen
z. B. die Neben, die damals als europäische galten, keineswegs diese starke Bewun-
derung; sie sind meistens in ihrem Gedankeninhalt dürftig und in ihrer Form ma-
-nierirt. Von den eigentlichen Momenten des Aufstandes wollen wir ggr nicht reden ;
es sind meistens sehr schwarze Geschichten, die noch dazu eine, starke Färbung des Lä¬
cherlichen an sich tragen. Um die französische Revolution richtig zu würdigen, muß
man den Standpunkt etwas entfernter nehmen. Sie war ein gewaltiger Gährungs-
proceß der Natur, der als solcher nicht seines Gleichen in der Geschichte hat; aber
ein eigentliches Heldenzeitalter, wofür man sie gern ausgeben mochte, war sie
nicht. Es war ein starker, mächtiger, nach einer bestimmten Richtung hindrän¬
gender Jnstinct einer Masse; die Individuen waren nicht sehr preiswürdig. Frei¬
lich muß man die Massen der phystognomielvsen Persönlichkeiten nicht den han¬
delnden Persönlichkeiten entgegensetzen unter dem mystischen Namen des Volks,
wie es z. B. Lamartine in seinen „Girondisten" selber gethan. Die massenhafte
Bewegung ist nämlich auch das Charakteristische in den handelnden Individuen, es
ist eine Naturkraft, die sie forttreibt, und die endlich in den kriegerischen Unter-
nehmungen gegen das Anstand eine glänzende Form gewinnt. In dieser Be¬
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würfe, die man ihnen gewöhnlich gemacht hat. Zwar hebt jenes Walten der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/240>, abgerufen am 22.07.2024.