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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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obgleich auch hier wieder der gewöhnliche Fehler Lamartines zu rügen ist, daß er
sich widerstandlos jedem ersten Eindrucke überläßt. Er ist darin noch französischer,
als die übrigen Franzosen. Wenn irgend jemand lebhaft zu declamiren anfängt,
oder wenn ein paar Leute herzlich weinen, so ist er selber sofort zu Thränen
gerührt; im nächsten Augenblick bemerkt er ein ironisches Lächeln auf den Lippen
eines Umstehenden, und sofort ist auch der Zauber bei ihm gebrochen; er fängt
an zu spotten und zu lästern, wie der raffinirteste Voltairianer oder Diplomat.
Wenn eine Dame, die blos ihre natürliche Empfindung, nicht die Festigkeit eines
Politischen Princips solchen Ereignissen gegenüber mitbrachte, auf diese Weise
schriebe, so würden wir ihr. es nicht verübeln. Aber bei einem Staatsmann,
der eine Zeitlang sogar an der Spitze einer großen Revolution stand, kommt
einem eine solche Weichheit doch gar zu wunderlich vor. Zuweilen verliert sich
sein Colorit auch zu sehr ius Romantische, z. B. seine Schilderung von dem
finster" Eindrucke der Bastille. -- Sehr geistreich sind zuweilen die Einfälle und
Reflexionen, zu denen ihn die einzelnen Ereignisse anregen. So sagt er z. B.
gleich im Anfang, als man den Gewaltstreich gegen die Nationalversammlung vor¬
bereitet, welcher die erste Veranlassung zur Erstürmung der Bastille wurde: "der
Gedanke des Hoff, einen Staatsstreich auszuführen im Beginn der Versammlung
und im ersten Fieber der allgemeinen Aufregung, war ebenso kindisch als uner¬
fahren. Nicht zu Anfang einer Revolution gelingen die Staatsstreiche, erst am
Ende, wenn die Ermüdung, die Täuschungen und der Ekel, die natürlichen
Folgen des Enthusiasmus bei allen menschlichen Dingen die Menschen enttäuscht
und entmuthigt haben. Ein Volk hängt sich mehr an das, was es hofft, als
was es besitzt, weil was es hofft, unendlich ist und was eS besitzt, beschränkt.
Wenn man also die Hoffnung einer Nation in ihrer ersten Glut angreift, so
stellt mau sich damit ans das thörichtste mit einer beschränkten Gewalt einer un¬
endlichen Gewalt gegenüber; die Niederlage ist unzweifelhaft. Außerdem gibt
der Anfang der Revolution noch keine Gelegenheit, daß unter den "nzähligen
Anhängern der Revolution diejenigen, welche durch die Reformen gewinnen, von
denjenigen, die dadurch verlieren, die Gemäßigten von den Entschiedener sich
scheiden. Noch sind alle geeinigt durch die gemeinsame Perspective der Ver¬
besserungen, die jeder in seiner bestimmten Idee oder seinem bestimmten Interesse
anwendet, und der Institutionen, die noch keine bestimmte Gestalt angenommen
haben. Wenn man also in diesem Augenblicke diese Erwartungen antastet, so
".reift man die Revolution in ihrer Stärke und in ihrer Einstimmigkeit an, so
stellt man sich als der öffentliche Feind aller Rechte, Hoffnungen und Illusionen
der herrschenden Meinung dar, so vereinigt man alle Formen des Fanatismus
g^gen sich." Aehnlichen vortreffliche" Bemerkungen begegnen wir öfters. So
'"acht er, als Fonlvn und Berthier ermordet worden, S. 137 die Bemerkung:
"Es ist ,n de" Verbrechen deö Volks ein Etwas, das noch seiger und verworfener


obgleich auch hier wieder der gewöhnliche Fehler Lamartines zu rügen ist, daß er
sich widerstandlos jedem ersten Eindrucke überläßt. Er ist darin noch französischer,
als die übrigen Franzosen. Wenn irgend jemand lebhaft zu declamiren anfängt,
oder wenn ein paar Leute herzlich weinen, so ist er selber sofort zu Thränen
gerührt; im nächsten Augenblick bemerkt er ein ironisches Lächeln auf den Lippen
eines Umstehenden, und sofort ist auch der Zauber bei ihm gebrochen; er fängt
an zu spotten und zu lästern, wie der raffinirteste Voltairianer oder Diplomat.
Wenn eine Dame, die blos ihre natürliche Empfindung, nicht die Festigkeit eines
Politischen Princips solchen Ereignissen gegenüber mitbrachte, auf diese Weise
schriebe, so würden wir ihr. es nicht verübeln. Aber bei einem Staatsmann,
der eine Zeitlang sogar an der Spitze einer großen Revolution stand, kommt
einem eine solche Weichheit doch gar zu wunderlich vor. Zuweilen verliert sich
sein Colorit auch zu sehr ius Romantische, z. B. seine Schilderung von dem
finster» Eindrucke der Bastille. — Sehr geistreich sind zuweilen die Einfälle und
Reflexionen, zu denen ihn die einzelnen Ereignisse anregen. So sagt er z. B.
gleich im Anfang, als man den Gewaltstreich gegen die Nationalversammlung vor¬
bereitet, welcher die erste Veranlassung zur Erstürmung der Bastille wurde: „der
Gedanke des Hoff, einen Staatsstreich auszuführen im Beginn der Versammlung
und im ersten Fieber der allgemeinen Aufregung, war ebenso kindisch als uner¬
fahren. Nicht zu Anfang einer Revolution gelingen die Staatsstreiche, erst am
Ende, wenn die Ermüdung, die Täuschungen und der Ekel, die natürlichen
Folgen des Enthusiasmus bei allen menschlichen Dingen die Menschen enttäuscht
und entmuthigt haben. Ein Volk hängt sich mehr an das, was es hofft, als
was es besitzt, weil was es hofft, unendlich ist und was eS besitzt, beschränkt.
Wenn man also die Hoffnung einer Nation in ihrer ersten Glut angreift, so
stellt mau sich damit ans das thörichtste mit einer beschränkten Gewalt einer un¬
endlichen Gewalt gegenüber; die Niederlage ist unzweifelhaft. Außerdem gibt
der Anfang der Revolution noch keine Gelegenheit, daß unter den »nzähligen
Anhängern der Revolution diejenigen, welche durch die Reformen gewinnen, von
denjenigen, die dadurch verlieren, die Gemäßigten von den Entschiedener sich
scheiden. Noch sind alle geeinigt durch die gemeinsame Perspective der Ver¬
besserungen, die jeder in seiner bestimmten Idee oder seinem bestimmten Interesse
anwendet, und der Institutionen, die noch keine bestimmte Gestalt angenommen
haben. Wenn man also in diesem Augenblicke diese Erwartungen antastet, so
".reift man die Revolution in ihrer Stärke und in ihrer Einstimmigkeit an, so
stellt man sich als der öffentliche Feind aller Rechte, Hoffnungen und Illusionen
der herrschenden Meinung dar, so vereinigt man alle Formen des Fanatismus
g^gen sich." Aehnlichen vortreffliche» Bemerkungen begegnen wir öfters. So
'»acht er, als Fonlvn und Berthier ermordet worden, S. 137 die Bemerkung:
"Es ist ,n de„ Verbrechen deö Volks ein Etwas, das noch seiger und verworfener


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/239>, abgerufen am 28.09.2024.