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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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und die Beschwerden der Expedition bedeutend vermehrte, und er selbst klagt dar¬
über, daß er bei seiner Ankunft im Polarmeere den Mangel eines zweiten Schis¬
ses, das wenigstens die Grabesstille des Polarmeeres in etwas gestört hätte,
schwer gefühlt hätte. Er sollte erst den Wagerfluß oder die Repulsebucht zu er¬
reichen suchen und dann die Nordküste Amerikas entlang bis Point Turnagain
vordringen, konnte aber seineu Austrag nicht ausführen. Kaum hatte er Nowes
Welcome erreicht, so stellten sich ein schwerer Seegang und ein dicker Nebel ein;
die Ebbe war eingetreten; alle Anker waren ausgeworfen, aber das Schiff trieb
unaufhaltsam ans einen flachen Strand zu, an dem sich die Brandung mit
fürchterlicher Gewalt brach. Das Schiff und die Mannschaft waren rettungslos
verloren, wenn die Ebbe noch tiefer sank. Menschenkraft konnte nichts mehr
thun. "Jeder Matrose," erzählt Capitän Lyon^ "brachte seinen Kleidersack aufs
Deck und zog sich an, und an den schönen athletischen Gestalten, die ich vor mir
sah, ließ sich anch nicht das geringste Zucken der Muskeln, die leiseste Unruhe
entdecken . . . Und jetzt, da wir alles in unserer Macht Stehende gethan hatten,
rief ich die Mannschaft aus der Schanze zusammen und betete mit ihnen zu dem
barmherzigen Gott, uns das Leben zu erhalten. Ich dankte allen für ihr vor¬
treffliches Benehmen, und ermahnte sie, da wir wahrscheinlich bald vor unserem
Schöpfer erscheinen würden, vor ihn wie Männer zu treten, die sich in ihr Schick¬
sal ergeben hätten. Die Offiziere setzten sich nieder, wo sie vor den Sturzwellen
Schutz finden konnten, und die Mannschaft lag auf dem Verdeck herum, um sich
mit der größten Gemüthsruhe miteinander zu unterhalten." Ein Zufall rettete
das Schiff noch, aber es mußte unverrichteter Sache wieder umkehren. Trotz
dieser harten Lehre schickte die Admiralität im Jahre 1836 abermals ein einzelnes
Schiff unter Sir G. Back nach diesen gefährlichen Regionen. Schon bei South-
amptoninsel fuhr es im Eise fest, und wurde nun mit seiner Mannschaft zehn
Monate lang > von den Winden, Strömungen und der Flut umhergetrieben.
Manchmal stand der Thermometer auf 33", und krachende, gegen das Schiff
drängende, schwankende Eismassen umgaben sie von allen Seiten. Vier Monate
lang war ihre Lage "och verzweifelter; das Schiff stak mitten in einem Eisfeld,
das die Strömung widerstandslos von dannen trug. Aber, anch hier trat der
Zufall als Retter ans, indem das Eis unverhofft aufging, aber auch diese Reise
blieb ohne alles Resultat.

Sieben Jahre vor Back, -1829, hatte der ältere Roß, in Begleitung seines Neffen,
des späteren Sir James Roß, eine zweite Reise zur Entdeckung der Nordwestdurchfahrt
gemacht. Die Kosten der Expedition, die blos aus einem kleinen Dampfschiff, Vic¬
tor", bestand, trug ein Privatmann, Sir Felix Booth. Capitän Roß segelte nach
der Prinzregenteneinsahrt und drang bis Brentfordbai vor, dreißig Meilen süd¬
lich von Cap Garrh, dem westlichsten Punkte, den Parry sah. Die Küste, eine
Verlängerung von North Somerset, und von diesem, wie wir seitdem wissen, nur


und die Beschwerden der Expedition bedeutend vermehrte, und er selbst klagt dar¬
über, daß er bei seiner Ankunft im Polarmeere den Mangel eines zweiten Schis¬
ses, das wenigstens die Grabesstille des Polarmeeres in etwas gestört hätte,
schwer gefühlt hätte. Er sollte erst den Wagerfluß oder die Repulsebucht zu er¬
reichen suchen und dann die Nordküste Amerikas entlang bis Point Turnagain
vordringen, konnte aber seineu Austrag nicht ausführen. Kaum hatte er Nowes
Welcome erreicht, so stellten sich ein schwerer Seegang und ein dicker Nebel ein;
die Ebbe war eingetreten; alle Anker waren ausgeworfen, aber das Schiff trieb
unaufhaltsam ans einen flachen Strand zu, an dem sich die Brandung mit
fürchterlicher Gewalt brach. Das Schiff und die Mannschaft waren rettungslos
verloren, wenn die Ebbe noch tiefer sank. Menschenkraft konnte nichts mehr
thun. „Jeder Matrose," erzählt Capitän Lyon^ „brachte seinen Kleidersack aufs
Deck und zog sich an, und an den schönen athletischen Gestalten, die ich vor mir
sah, ließ sich anch nicht das geringste Zucken der Muskeln, die leiseste Unruhe
entdecken . . . Und jetzt, da wir alles in unserer Macht Stehende gethan hatten,
rief ich die Mannschaft aus der Schanze zusammen und betete mit ihnen zu dem
barmherzigen Gott, uns das Leben zu erhalten. Ich dankte allen für ihr vor¬
treffliches Benehmen, und ermahnte sie, da wir wahrscheinlich bald vor unserem
Schöpfer erscheinen würden, vor ihn wie Männer zu treten, die sich in ihr Schick¬
sal ergeben hätten. Die Offiziere setzten sich nieder, wo sie vor den Sturzwellen
Schutz finden konnten, und die Mannschaft lag auf dem Verdeck herum, um sich
mit der größten Gemüthsruhe miteinander zu unterhalten." Ein Zufall rettete
das Schiff noch, aber es mußte unverrichteter Sache wieder umkehren. Trotz
dieser harten Lehre schickte die Admiralität im Jahre 1836 abermals ein einzelnes
Schiff unter Sir G. Back nach diesen gefährlichen Regionen. Schon bei South-
amptoninsel fuhr es im Eise fest, und wurde nun mit seiner Mannschaft zehn
Monate lang > von den Winden, Strömungen und der Flut umhergetrieben.
Manchmal stand der Thermometer auf 33", und krachende, gegen das Schiff
drängende, schwankende Eismassen umgaben sie von allen Seiten. Vier Monate
lang war ihre Lage «och verzweifelter; das Schiff stak mitten in einem Eisfeld,
das die Strömung widerstandslos von dannen trug. Aber, anch hier trat der
Zufall als Retter ans, indem das Eis unverhofft aufging, aber auch diese Reise
blieb ohne alles Resultat.

Sieben Jahre vor Back, -1829, hatte der ältere Roß, in Begleitung seines Neffen,
des späteren Sir James Roß, eine zweite Reise zur Entdeckung der Nordwestdurchfahrt
gemacht. Die Kosten der Expedition, die blos aus einem kleinen Dampfschiff, Vic¬
tor«, bestand, trug ein Privatmann, Sir Felix Booth. Capitän Roß segelte nach
der Prinzregenteneinsahrt und drang bis Brentfordbai vor, dreißig Meilen süd¬
lich von Cap Garrh, dem westlichsten Punkte, den Parry sah. Die Küste, eine
Verlängerung von North Somerset, und von diesem, wie wir seitdem wissen, nur


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/172>, abgerufen am 22.07.2024.