Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Staub warf, wenn er,'der Himmel und Erde mit einem Wort vernichten konnte,
mit Inbrunst flehte: Vater, laß 'sie eins sein, wie du und ich eins sind? Wenn
wir glauben, daß auch das unbedeutendste seiner Worte gesprochen ist, um von
der Menschheit aufbewahrt und heilig gehalten zu werden, um wieviel mehr
dies feierliche Geber! Und wenn wir glauben, daß die Bitte des Sohnes Gottes
erhört ist -- denn er selbst sagt: ich weiß, daß du mich allezeit erhörst -- dann
können wir nicht gleichgiltig zusehen, wie ein großer Theil der Menschheit des
Segens beraubt bleibt, der ihr durch Christus erbeten und gewährt ist. Es ist
unsere Pflicht, daran mirznarbcien, daß die Prophezeiung von dem Reich Christi
erfüllt werde. Worin aber besteht das Wesen eines Reichs? An dem Beispiel
.Amerikas wurde nun> weitläufig gezeigt, daß es nicht die Uebereinstimmung in
Sprache und Staium, an dem Belgiens (rliat noble court-r^), daß es nicht Gleich¬
heit der politischen Einrichtungen und bürgerlichen Zustände sei. Aber wenn einer
von uns auf dem Ocean von Stürmen umhergetrieben nach langer Gefahr end¬
lich Land sähe -- beim Näherkommen erwiese es sich als eine rauhe Felseninsel,
von halbcivilisirten Wilden bewohnt -- doch nun erblickte er von der Höhe her¬
abwehend die britische Flagge: würde er sich nicht, wenn auch tausende von
Meilen von der Heimat entfernt, wie im Vaterlande fühlen.? Worin liegt der
mächtige Zander, der diese Wirkung hervorbringt, der die Insel im fernen Ocean
zu einem Theil des Heimatlandes umschafft? -- Es ist die gemeinsame Ober¬
hoheit (common irrMoril.^). -- In der katholischen Kirche herrscht jene Ein¬
heit, um die Christus betete; die Millionen ihrer'Bekenner, durch Welttheile und
Ocean getrennt, nnter der Linie und an der Grenze des Eismeers, in China
wie in England -- alle haben einen Glauben. Wahrlich ein sichtbarer Beweis,
daß Gottes Hand über der Kirche ist; denn menschliche Macht hätte dies nie ver¬
mocht. Wir können wol, dem Befehl Gottes gehorchend, unsre Brüder lieben,
aber nicht sie zwingen uns wieder zu lieben. -- Dagegen wer wäre je zum Pro¬
testantismus durch seine innere Einheit geführt worden? Hier ist das gerade Gegen¬
theil, Spaltungen, Meinungsverschiedenheiten jeder Art und unzählige Sekten.
Nun -- hier wurde sein Ausdruck feierlich und traurig -- muß ich eine schmerz¬
liche aber ernste Wahrheit aussprechen: wie Uebereinstimmung der Beweis ist für
Wahrheit, so Spaltung für Irrthum. -- Indem er zum Schluß dies Thema
ausführte, ließ er sich von seinem Hang zu Gleichnissen zu einer großen Ge¬
schmacklosigkeit hinreißen. Wie der im Tempel von Jerusalem zerrissene Vorhang als
Symbol gelten könne für die Zerstörung der jüdischen Religion, so der unge-
nähte Rock Christi, deu nicht einmal die Kriegsknechte zerrissen, sondern darüber
würfelten -- als Sympol der einigen und ungetheilten Kirche'! -- Vielleicht sei
es ihm gelungen, in manchem seiner Zuhörer die Ueberzeugung zu'befestigen, daß
allgemeine Einheit der Kirche in der That der Wunsch Christi gewesen sei; aber


Staub warf, wenn er,'der Himmel und Erde mit einem Wort vernichten konnte,
mit Inbrunst flehte: Vater, laß 'sie eins sein, wie du und ich eins sind? Wenn
wir glauben, daß auch das unbedeutendste seiner Worte gesprochen ist, um von
der Menschheit aufbewahrt und heilig gehalten zu werden, um wieviel mehr
dies feierliche Geber! Und wenn wir glauben, daß die Bitte des Sohnes Gottes
erhört ist — denn er selbst sagt: ich weiß, daß du mich allezeit erhörst — dann
können wir nicht gleichgiltig zusehen, wie ein großer Theil der Menschheit des
Segens beraubt bleibt, der ihr durch Christus erbeten und gewährt ist. Es ist
unsere Pflicht, daran mirznarbcien, daß die Prophezeiung von dem Reich Christi
erfüllt werde. Worin aber besteht das Wesen eines Reichs? An dem Beispiel
.Amerikas wurde nun> weitläufig gezeigt, daß es nicht die Uebereinstimmung in
Sprache und Staium, an dem Belgiens (rliat noble court-r^), daß es nicht Gleich¬
heit der politischen Einrichtungen und bürgerlichen Zustände sei. Aber wenn einer
von uns auf dem Ocean von Stürmen umhergetrieben nach langer Gefahr end¬
lich Land sähe — beim Näherkommen erwiese es sich als eine rauhe Felseninsel,
von halbcivilisirten Wilden bewohnt — doch nun erblickte er von der Höhe her¬
abwehend die britische Flagge: würde er sich nicht, wenn auch tausende von
Meilen von der Heimat entfernt, wie im Vaterlande fühlen.? Worin liegt der
mächtige Zander, der diese Wirkung hervorbringt, der die Insel im fernen Ocean
zu einem Theil des Heimatlandes umschafft? — Es ist die gemeinsame Ober¬
hoheit (common irrMoril.^). — In der katholischen Kirche herrscht jene Ein¬
heit, um die Christus betete; die Millionen ihrer'Bekenner, durch Welttheile und
Ocean getrennt, nnter der Linie und an der Grenze des Eismeers, in China
wie in England — alle haben einen Glauben. Wahrlich ein sichtbarer Beweis,
daß Gottes Hand über der Kirche ist; denn menschliche Macht hätte dies nie ver¬
mocht. Wir können wol, dem Befehl Gottes gehorchend, unsre Brüder lieben,
aber nicht sie zwingen uns wieder zu lieben. — Dagegen wer wäre je zum Pro¬
testantismus durch seine innere Einheit geführt worden? Hier ist das gerade Gegen¬
theil, Spaltungen, Meinungsverschiedenheiten jeder Art und unzählige Sekten.
Nun — hier wurde sein Ausdruck feierlich und traurig — muß ich eine schmerz¬
liche aber ernste Wahrheit aussprechen: wie Uebereinstimmung der Beweis ist für
Wahrheit, so Spaltung für Irrthum. — Indem er zum Schluß dies Thema
ausführte, ließ er sich von seinem Hang zu Gleichnissen zu einer großen Ge¬
schmacklosigkeit hinreißen. Wie der im Tempel von Jerusalem zerrissene Vorhang als
Symbol gelten könne für die Zerstörung der jüdischen Religion, so der unge-
nähte Rock Christi, deu nicht einmal die Kriegsknechte zerrissen, sondern darüber
würfelten — als Sympol der einigen und ungetheilten Kirche'! — Vielleicht sei
es ihm gelungen, in manchem seiner Zuhörer die Ueberzeugung zu'befestigen, daß
allgemeine Einheit der Kirche in der That der Wunsch Christi gewesen sei; aber


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0150" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/97396"/>
          <p xml:id="ID_384" prev="#ID_383" next="#ID_385"> Staub warf, wenn er,'der Himmel und Erde mit einem Wort vernichten konnte,<lb/>
mit Inbrunst flehte: Vater, laß 'sie eins sein, wie du und ich eins sind? Wenn<lb/>
wir glauben, daß auch das unbedeutendste seiner Worte gesprochen ist, um von<lb/>
der Menschheit aufbewahrt und heilig gehalten zu werden, um wieviel mehr<lb/>
dies feierliche Geber! Und wenn wir glauben, daß die Bitte des Sohnes Gottes<lb/>
erhört ist &#x2014; denn er selbst sagt: ich weiß, daß du mich allezeit erhörst &#x2014; dann<lb/>
können wir nicht gleichgiltig zusehen, wie ein großer Theil der Menschheit des<lb/>
Segens beraubt bleibt, der ihr durch Christus erbeten und gewährt ist. Es ist<lb/>
unsere Pflicht, daran mirznarbcien, daß die Prophezeiung von dem Reich Christi<lb/>
erfüllt werde. Worin aber besteht das Wesen eines Reichs? An dem Beispiel<lb/>
.Amerikas wurde nun&gt; weitläufig gezeigt, daß es nicht die Uebereinstimmung in<lb/>
Sprache und Staium, an dem Belgiens (rliat noble court-r^), daß es nicht Gleich¬<lb/>
heit der politischen Einrichtungen und bürgerlichen Zustände sei. Aber wenn einer<lb/>
von uns auf dem Ocean von Stürmen umhergetrieben nach langer Gefahr end¬<lb/>
lich Land sähe &#x2014; beim Näherkommen erwiese es sich als eine rauhe Felseninsel,<lb/>
von halbcivilisirten Wilden bewohnt &#x2014; doch nun erblickte er von der Höhe her¬<lb/>
abwehend die britische Flagge: würde er sich nicht, wenn auch tausende von<lb/>
Meilen von der Heimat entfernt, wie im Vaterlande fühlen.? Worin liegt der<lb/>
mächtige Zander, der diese Wirkung hervorbringt, der die Insel im fernen Ocean<lb/>
zu einem Theil des Heimatlandes umschafft? &#x2014; Es ist die gemeinsame Ober¬<lb/>
hoheit (common irrMoril.^). &#x2014; In der katholischen Kirche herrscht jene Ein¬<lb/>
heit, um die Christus betete; die Millionen ihrer'Bekenner, durch Welttheile und<lb/>
Ocean getrennt, nnter der Linie und an der Grenze des Eismeers, in China<lb/>
wie in England &#x2014; alle haben einen Glauben. Wahrlich ein sichtbarer Beweis,<lb/>
daß Gottes Hand über der Kirche ist; denn menschliche Macht hätte dies nie ver¬<lb/>
mocht. Wir können wol, dem Befehl Gottes gehorchend, unsre Brüder lieben,<lb/>
aber nicht sie zwingen uns wieder zu lieben. &#x2014; Dagegen wer wäre je zum Pro¬<lb/>
testantismus durch seine innere Einheit geführt worden? Hier ist das gerade Gegen¬<lb/>
theil, Spaltungen, Meinungsverschiedenheiten jeder Art und unzählige Sekten.<lb/>
Nun &#x2014; hier wurde sein Ausdruck feierlich und traurig &#x2014; muß ich eine schmerz¬<lb/>
liche aber ernste Wahrheit aussprechen: wie Uebereinstimmung der Beweis ist für<lb/>
Wahrheit, so Spaltung für Irrthum. &#x2014; Indem er zum Schluß dies Thema<lb/>
ausführte, ließ er sich von seinem Hang zu Gleichnissen zu einer großen Ge¬<lb/>
schmacklosigkeit hinreißen. Wie der im Tempel von Jerusalem zerrissene Vorhang als<lb/>
Symbol gelten könne für die Zerstörung der jüdischen Religion, so der unge-<lb/>
nähte Rock Christi, deu nicht einmal die Kriegsknechte zerrissen, sondern darüber<lb/>
würfelten &#x2014; als Sympol der einigen und ungetheilten Kirche'! &#x2014; Vielleicht sei<lb/>
es ihm gelungen, in manchem seiner Zuhörer die Ueberzeugung zu'befestigen, daß<lb/>
allgemeine Einheit der Kirche in der That der Wunsch Christi gewesen sei; aber</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0150] Staub warf, wenn er,'der Himmel und Erde mit einem Wort vernichten konnte, mit Inbrunst flehte: Vater, laß 'sie eins sein, wie du und ich eins sind? Wenn wir glauben, daß auch das unbedeutendste seiner Worte gesprochen ist, um von der Menschheit aufbewahrt und heilig gehalten zu werden, um wieviel mehr dies feierliche Geber! Und wenn wir glauben, daß die Bitte des Sohnes Gottes erhört ist — denn er selbst sagt: ich weiß, daß du mich allezeit erhörst — dann können wir nicht gleichgiltig zusehen, wie ein großer Theil der Menschheit des Segens beraubt bleibt, der ihr durch Christus erbeten und gewährt ist. Es ist unsere Pflicht, daran mirznarbcien, daß die Prophezeiung von dem Reich Christi erfüllt werde. Worin aber besteht das Wesen eines Reichs? An dem Beispiel .Amerikas wurde nun> weitläufig gezeigt, daß es nicht die Uebereinstimmung in Sprache und Staium, an dem Belgiens (rliat noble court-r^), daß es nicht Gleich¬ heit der politischen Einrichtungen und bürgerlichen Zustände sei. Aber wenn einer von uns auf dem Ocean von Stürmen umhergetrieben nach langer Gefahr end¬ lich Land sähe — beim Näherkommen erwiese es sich als eine rauhe Felseninsel, von halbcivilisirten Wilden bewohnt — doch nun erblickte er von der Höhe her¬ abwehend die britische Flagge: würde er sich nicht, wenn auch tausende von Meilen von der Heimat entfernt, wie im Vaterlande fühlen.? Worin liegt der mächtige Zander, der diese Wirkung hervorbringt, der die Insel im fernen Ocean zu einem Theil des Heimatlandes umschafft? — Es ist die gemeinsame Ober¬ hoheit (common irrMoril.^). — In der katholischen Kirche herrscht jene Ein¬ heit, um die Christus betete; die Millionen ihrer'Bekenner, durch Welttheile und Ocean getrennt, nnter der Linie und an der Grenze des Eismeers, in China wie in England — alle haben einen Glauben. Wahrlich ein sichtbarer Beweis, daß Gottes Hand über der Kirche ist; denn menschliche Macht hätte dies nie ver¬ mocht. Wir können wol, dem Befehl Gottes gehorchend, unsre Brüder lieben, aber nicht sie zwingen uns wieder zu lieben. — Dagegen wer wäre je zum Pro¬ testantismus durch seine innere Einheit geführt worden? Hier ist das gerade Gegen¬ theil, Spaltungen, Meinungsverschiedenheiten jeder Art und unzählige Sekten. Nun — hier wurde sein Ausdruck feierlich und traurig — muß ich eine schmerz¬ liche aber ernste Wahrheit aussprechen: wie Uebereinstimmung der Beweis ist für Wahrheit, so Spaltung für Irrthum. — Indem er zum Schluß dies Thema ausführte, ließ er sich von seinem Hang zu Gleichnissen zu einer großen Ge¬ schmacklosigkeit hinreißen. Wie der im Tempel von Jerusalem zerrissene Vorhang als Symbol gelten könne für die Zerstörung der jüdischen Religion, so der unge- nähte Rock Christi, deu nicht einmal die Kriegsknechte zerrissen, sondern darüber würfelten — als Sympol der einigen und ungetheilten Kirche'! — Vielleicht sei es ihm gelungen, in manchem seiner Zuhörer die Ueberzeugung zu'befestigen, daß allgemeine Einheit der Kirche in der That der Wunsch Christi gewesen sei; aber

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/150
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/150>, abgerufen am 25.08.2024.