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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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lodie, welche das Mysterium des Grals ausdrückt, das Motiv, mit welchem Lo-
hengrin als ritterlicher Held charakterisirt wird, die Melodie seines Verbotes an
Elsa, ferner ein oder eigentlich zwei Motive, welche die Verderben brütende Ortrud
bezeichnen, und endlich das Motiv des Gottesgerichts; ein paar andere, die
auch mehrmals wiederkehren, wie die Melodie bei Elsas Erscheinen, der Anfang
des Liebesduettes sind weniger wichtig. Die Sache ist wiederum nicht neu; viele
Componisten haben geistreich oder plump prägnante Melodien wieder anklingen
lassen, um eine bestimmte Vorstellung im Zuhörer hervorzurufen, und Bei¬
spiele sind jedem gegenwärtig. Allein sie haben dies mir im Vorüber¬
gehen gethan und uicht so, daß die musikalische Charakteristik auf diesem
Hilfsmittel beruht. Wagner eigenthümlich ist die Uebertreibung, das, was
an einem bestimmten Platz geistreich angewendet gut geheißen werden kann, zur
Regel, zum System zu erheben. Denn so ist es: so oft eine der obengenannten
Vorstellungen entweder in Action tritt, oder einem der Darstellenden in den
Sinn kommt, oder in der Stille sonst sich wirksam erweist, tritt unerbittlich das
entsprechende Motiv, meist im Orchester, ein, und einige, wie LvhengrinS Verbot
und die "corrosive" Melodie Ortruds liegen einem fortwährend i" den Ohren.
Für den Zuhörer wird es förmlich eine neue Mnemotechnik, wo er sich Melodien
merkt statt der Wörter, und er muß immer Acht geben, daß ihm nicht ein Motiv
entgeht, womit er nachher operiren soll; wer im Stande ist, selbstständig dem
Gange eines Stückes zu folgen, fühlt sich je länger je mehr belästigt, wenn ihn
das Orchester fortwährend, wie die ausgestreckte Hand in den Jntelligenzblättern
auf das hinweist, was er beachten solle und wie er es zu verstehen habe. Z. B.
Wenn im Eingange des zweiten Actes, wo Ortrud auf Rache sinnt mitten in die
"corrosive" Figur das Motiv "Nie sollst Du mich befragen" hineinschlägt, so
versteht mau freilich gleich, daß ihr dies Verbot im Sinne liegt, als der Punkt,
von dem ihre Rache ausgehen wird; oder wenn am Schluß desselben Actes,
wo Ortrud Elsa drohend ansieht, dasselbe Motiv ertönt, so weiß man gleich,
daß man denken soll, daß sie denkt: die wird ihn fragen. Ich habe nicht
etwa die handgreiflichsten Fälle ausgesucht; und nun frage ich, ob mau für Leute,
die einen stillen Triumph feiern, daß sie diese Winke verstehen, oder die es nöthig
haben, daß ihnen für das, was auf der Bühne geschieht, noch obenein die authen-
t>Iche Interpretation im Orchester gegeben werde, ein Kunstwerk schafft. Denn
daß dieses ganze Manoeuvre nichts ist, als eine äußerliche Declaration durch ein
Vehikel, welches mit dem Wesen der Musik nichts zu schaffe" hat, ist ja klar.
Denn uicht durch die lebendige Charakteristik des Moments wird dieses Ver¬
ständniß bewirkt, sondern durch die Appellation an das Gedächtniß des Zuhörers,
welche seine Verstandeskräfte zu einer, weiln auch immerhin einfachen Combination
>n Bewegung setzt, auf welcher das Verständniß beruht; das ist aber kein musi¬
kalisches. Wie schon gesagt, das Verfahren ist nicht verwerflich, wenn es mit


lodie, welche das Mysterium des Grals ausdrückt, das Motiv, mit welchem Lo-
hengrin als ritterlicher Held charakterisirt wird, die Melodie seines Verbotes an
Elsa, ferner ein oder eigentlich zwei Motive, welche die Verderben brütende Ortrud
bezeichnen, und endlich das Motiv des Gottesgerichts; ein paar andere, die
auch mehrmals wiederkehren, wie die Melodie bei Elsas Erscheinen, der Anfang
des Liebesduettes sind weniger wichtig. Die Sache ist wiederum nicht neu; viele
Componisten haben geistreich oder plump prägnante Melodien wieder anklingen
lassen, um eine bestimmte Vorstellung im Zuhörer hervorzurufen, und Bei¬
spiele sind jedem gegenwärtig. Allein sie haben dies mir im Vorüber¬
gehen gethan und uicht so, daß die musikalische Charakteristik auf diesem
Hilfsmittel beruht. Wagner eigenthümlich ist die Uebertreibung, das, was
an einem bestimmten Platz geistreich angewendet gut geheißen werden kann, zur
Regel, zum System zu erheben. Denn so ist es: so oft eine der obengenannten
Vorstellungen entweder in Action tritt, oder einem der Darstellenden in den
Sinn kommt, oder in der Stille sonst sich wirksam erweist, tritt unerbittlich das
entsprechende Motiv, meist im Orchester, ein, und einige, wie LvhengrinS Verbot
und die „corrosive" Melodie Ortruds liegen einem fortwährend i» den Ohren.
Für den Zuhörer wird es förmlich eine neue Mnemotechnik, wo er sich Melodien
merkt statt der Wörter, und er muß immer Acht geben, daß ihm nicht ein Motiv
entgeht, womit er nachher operiren soll; wer im Stande ist, selbstständig dem
Gange eines Stückes zu folgen, fühlt sich je länger je mehr belästigt, wenn ihn
das Orchester fortwährend, wie die ausgestreckte Hand in den Jntelligenzblättern
auf das hinweist, was er beachten solle und wie er es zu verstehen habe. Z. B.
Wenn im Eingange des zweiten Actes, wo Ortrud auf Rache sinnt mitten in die
„corrosive" Figur das Motiv „Nie sollst Du mich befragen" hineinschlägt, so
versteht mau freilich gleich, daß ihr dies Verbot im Sinne liegt, als der Punkt,
von dem ihre Rache ausgehen wird; oder wenn am Schluß desselben Actes,
wo Ortrud Elsa drohend ansieht, dasselbe Motiv ertönt, so weiß man gleich,
daß man denken soll, daß sie denkt: die wird ihn fragen. Ich habe nicht
etwa die handgreiflichsten Fälle ausgesucht; und nun frage ich, ob mau für Leute,
die einen stillen Triumph feiern, daß sie diese Winke verstehen, oder die es nöthig
haben, daß ihnen für das, was auf der Bühne geschieht, noch obenein die authen-
t>Iche Interpretation im Orchester gegeben werde, ein Kunstwerk schafft. Denn
daß dieses ganze Manoeuvre nichts ist, als eine äußerliche Declaration durch ein
Vehikel, welches mit dem Wesen der Musik nichts zu schaffe» hat, ist ja klar.
Denn uicht durch die lebendige Charakteristik des Moments wird dieses Ver¬
ständniß bewirkt, sondern durch die Appellation an das Gedächtniß des Zuhörers,
welche seine Verstandeskräfte zu einer, weiln auch immerhin einfachen Combination
>n Bewegung setzt, auf welcher das Verständniß beruht; das ist aber kein musi¬
kalisches. Wie schon gesagt, das Verfahren ist nicht verwerflich, wenn es mit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/135>, abgerufen am 25.08.2024.