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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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zuviel gethan. Wenn der König und der Heerrufer fast nur unter Accorden
von Blechinstrumenten singen, so ist damit der allgemeine Ton schon viel zu schwer
und pathetisch genommen; allein wenn nicht nur der König, dem ein billiges
Maß von Rhetorik zugestanden werden kann, sondern auch der Heerrnfer seine
sittliche Entrüstung, seine Rührung und andere unpassende Gemüthsbewegungen
pathetisch äußert, so ist dem Einzelnen zu Liebe die Wahrheit und Haltung des
Ganzen geopfert. Weit bedenklicher aber wird die musikalische Charakteristik da,
wo sie einer fortschreitenden psychologischen Motivirung dienen soll, wie im An¬
fang des zweiten und des dritten Acts. Denn da sie der allmälig fortschreitenden
rationellen Entwickelung nicht gleichmäßig folgen kann, sondern nur einzelne
Spitzen, in denen die Empfindung hervortritt, diese aber um so scharfer hervor¬
hebt, so wird eine solche Charakteristik nothwendig lückenhaft, meistens schief, je¬
denfalls ungenügend werden. Der Zuhörer wird durch rasch auseinander fol¬
gende frappante Einzelnheiten anfangs gereizt und gespannt, ans die Länge aber,
weil ohne gleichmäßige Kontinuität auch kein wahres Verständniß denkbar ist, er¬
müdet und abgespannt werden. Der Komponist wird zu beiden Extremen ge¬
drängt, sowol die der musikalischen Darstellung günstige" Momente zu übertreiben,
als auch das an sich der Musik Uuzusageude, durch Mittel zu erzwingen, welche
außer ihrer Sphäre liegen. Beides ist auch bei Wagner eingetreten. Uebertrieben
ist schon seine Declamation, die, obgleich im allgemeinen lobenswerth genau und
scharf, doch sehr häusig auf die Spitze getrieben ist, was ein musikalisch gebildetes
Ohr ebenso verletzt, wie wenn ein Schauspieler zwar richtig recitirt, aber im Be¬
tonen und Articnliren übertreibt; ferner ist er in seiner Declamation mehr rhetorisch-
als mnstkalisch, und entscheidet sich, anstatt in Zweifelsfällen auszugleichen, stets
gegen das musikalische Element. Nicht minder übertrieben ist auch melodisch und
harmonisch bis zur unschönsten Verzerrung ein großer Theil der charakterisirenden
Züge, womit die Partie der Ortrud reichlich bedacht ist; nach anderer Seite
hin kann Lohengrins Stelle: "Athmest du nicht mit mir die süßen Düfte"
angeführt werden, wo man durch einen süßlichen Schwulst haarsträubender Har¬
monien hindurchgepeiuigt wird, so widernatürlich und unwahr, als die romantische
Rhetorik der Tcxtesworte.

Das Bestreben, überall die Charakteristik zu forciren, hat Wagner noch
auf ein anderes Princip geführt. Ani dem musikalischen Ausdruck der Si¬
tuation eine Verständlichkeit und Deutlichkeit zu geben, welche gewissermaßen
handgreiflich und unzweifelhaft wäre, hat er für die wesentlichen Elemente
der Handlung, mögen sie die Personen oder die Situationen angehen, be¬
stimmte charakteristische Motive erfunden, welche er 'überall Wnz oder teil¬
weise wiederholt oder auch mir anklingen läßt, wo er im Zuschauer die Vor¬
stellung erwecken will, welche das Motiv ausdrückt. Solche Motive, welche
sich vorwärts und rückwärts deutend durch die ganze Oper ziehen, sind die Me-


zuviel gethan. Wenn der König und der Heerrufer fast nur unter Accorden
von Blechinstrumenten singen, so ist damit der allgemeine Ton schon viel zu schwer
und pathetisch genommen; allein wenn nicht nur der König, dem ein billiges
Maß von Rhetorik zugestanden werden kann, sondern auch der Heerrnfer seine
sittliche Entrüstung, seine Rührung und andere unpassende Gemüthsbewegungen
pathetisch äußert, so ist dem Einzelnen zu Liebe die Wahrheit und Haltung des
Ganzen geopfert. Weit bedenklicher aber wird die musikalische Charakteristik da,
wo sie einer fortschreitenden psychologischen Motivirung dienen soll, wie im An¬
fang des zweiten und des dritten Acts. Denn da sie der allmälig fortschreitenden
rationellen Entwickelung nicht gleichmäßig folgen kann, sondern nur einzelne
Spitzen, in denen die Empfindung hervortritt, diese aber um so scharfer hervor¬
hebt, so wird eine solche Charakteristik nothwendig lückenhaft, meistens schief, je¬
denfalls ungenügend werden. Der Zuhörer wird durch rasch auseinander fol¬
gende frappante Einzelnheiten anfangs gereizt und gespannt, ans die Länge aber,
weil ohne gleichmäßige Kontinuität auch kein wahres Verständniß denkbar ist, er¬
müdet und abgespannt werden. Der Komponist wird zu beiden Extremen ge¬
drängt, sowol die der musikalischen Darstellung günstige» Momente zu übertreiben,
als auch das an sich der Musik Uuzusageude, durch Mittel zu erzwingen, welche
außer ihrer Sphäre liegen. Beides ist auch bei Wagner eingetreten. Uebertrieben
ist schon seine Declamation, die, obgleich im allgemeinen lobenswerth genau und
scharf, doch sehr häusig auf die Spitze getrieben ist, was ein musikalisch gebildetes
Ohr ebenso verletzt, wie wenn ein Schauspieler zwar richtig recitirt, aber im Be¬
tonen und Articnliren übertreibt; ferner ist er in seiner Declamation mehr rhetorisch-
als mnstkalisch, und entscheidet sich, anstatt in Zweifelsfällen auszugleichen, stets
gegen das musikalische Element. Nicht minder übertrieben ist auch melodisch und
harmonisch bis zur unschönsten Verzerrung ein großer Theil der charakterisirenden
Züge, womit die Partie der Ortrud reichlich bedacht ist; nach anderer Seite
hin kann Lohengrins Stelle: „Athmest du nicht mit mir die süßen Düfte"
angeführt werden, wo man durch einen süßlichen Schwulst haarsträubender Har¬
monien hindurchgepeiuigt wird, so widernatürlich und unwahr, als die romantische
Rhetorik der Tcxtesworte.

Das Bestreben, überall die Charakteristik zu forciren, hat Wagner noch
auf ein anderes Princip geführt. Ani dem musikalischen Ausdruck der Si¬
tuation eine Verständlichkeit und Deutlichkeit zu geben, welche gewissermaßen
handgreiflich und unzweifelhaft wäre, hat er für die wesentlichen Elemente
der Handlung, mögen sie die Personen oder die Situationen angehen, be¬
stimmte charakteristische Motive erfunden, welche er 'überall Wnz oder teil¬
weise wiederholt oder auch mir anklingen läßt, wo er im Zuschauer die Vor¬
stellung erwecken will, welche das Motiv ausdrückt. Solche Motive, welche
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/134>, abgerufen am 22.07.2024.