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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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von den Vorschriften der Moral und Religion, nicht um das Gesetz zu schwächen,
sondern um es praktischer und wirksamer zu machen. Da aber die gesammte
Gesetzgebung nicht mit einem Schlage umgestaltet werden konnte, so richtete die
Regierung ihre Aufmerksamkeit auf die wesentlichsten Theile derselben, welche am
dringendsten der Verbesserung bedurften, und erließ seit 1839: 1) das Strafgesetz¬
buch von 1840. 2) die Ordonanzen vom November 1846, Palimati v moumieh,
das neue Polizeireglement und die allgemeinen Instructionen für alle Beamte
des Reiches, eine Art von Verwaltuugscodex. 3) das Handelsgesetzbuch
von 1847.

Höchst charakteristisch für die Zustande der Türkei ist das Strafgesetzbuch.
In der Einleitung heißt es: "Es ist bekannt, daß infolge des Hattischerifs von
Gnlhane allen Unterthanen des ottomanischen Reichs ohne Ausnahme vollkommene
Sicherheit ihres Lebens, ihres Vermögens und ihrer Ehre gewährleistet ist und
daß sie alle als gleich vor dem Gesetze betrachtet werden."

Das Strafgesetz selbst bestimmt sodann: "Artikel 1. Da der Großherr sich
verpflichtet hat, weder öffentlich noch heimlich, weder durch Gift noch durch irgend
eine andere Todesart einen Verbrecher eher hinrichten zu lassen, als sein Ver¬
gehen gesetzlich constatirt und verurtheilt ist, so ist es keinem Beamten des Reiches
oder einer andern Person erlaubt, irgend ein Individuum tödten zu lassen: selbst
ein Vezier darf nicht gegen einen Schäfer so verfahren und wird im Uebertretnngs-
falle selbst mit dem Tode bestraft. -- Jeder Proceß, der Todesstrafe nach sich
ziehen kann, wird öffentlich vor dem Scheik-ni-islam verhandelt, wenn das Ver¬
brechen zu Konstantinopel begangen ist, und die Hinrichtung kaun ohne vorgängige
kaiserliche Genehmigung nicht stattfinden. Ist das Verbrechen in einem von der
Hauptstadt entfernten Lande begangen, so wird der Proceß in dem Provinzial-
rathe des betreffenden Landes verhandelt und das Urtheil Sr. Hoheit zur Be¬
schlußnahme eingereicht.

Art. 2. Jede aufrührerische Rede oder Aufforderung zum Haß gegen die
Regierung wird mit 1 bis S Jahre Bagno bestraft. -- Jede Anreizung zur
Empörung wird mit dem Tode oder lebenslänglichem Bagno bestraft. -- Diese
Verbrechen, mögen sie innerhalb oder außerhalb Konstantinopels begangen sein,
richtet der Staatsrath.

Art. 3. Jede Beleidigung und Gewaltthätigkeit seitens eines Kavaß, Offi¬
ziers oder Beamten der Regierung, wird, welches auch sein Rang sein möge, von
dem Staatsrath gerichtet und mit Gefängniß bestraft. Ist das Verbrechen in den
Provinzen begangen, so kommt es vor den betreffenden Provinzialrath.

Art. i. Da Se. Hoheit davon Abstand genommen, das Vermögen und
Eigenthum irgend eines Privatmannes in Besitz zu nehmen, so ist es Niemandem
wehr erlaubt, sich fremdes Gut gewaltsam anzueignen oder irgend Jemanden zum
Verkauf seines Eigenthums zu nöthigen, um sich desselben ungerechterweise zu be-


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von den Vorschriften der Moral und Religion, nicht um das Gesetz zu schwächen,
sondern um es praktischer und wirksamer zu machen. Da aber die gesammte
Gesetzgebung nicht mit einem Schlage umgestaltet werden konnte, so richtete die
Regierung ihre Aufmerksamkeit auf die wesentlichsten Theile derselben, welche am
dringendsten der Verbesserung bedurften, und erließ seit 1839: 1) das Strafgesetz¬
buch von 1840. 2) die Ordonanzen vom November 1846, Palimati v moumieh,
das neue Polizeireglement und die allgemeinen Instructionen für alle Beamte
des Reiches, eine Art von Verwaltuugscodex. 3) das Handelsgesetzbuch
von 1847.

Höchst charakteristisch für die Zustande der Türkei ist das Strafgesetzbuch.
In der Einleitung heißt es: „Es ist bekannt, daß infolge des Hattischerifs von
Gnlhane allen Unterthanen des ottomanischen Reichs ohne Ausnahme vollkommene
Sicherheit ihres Lebens, ihres Vermögens und ihrer Ehre gewährleistet ist und
daß sie alle als gleich vor dem Gesetze betrachtet werden."

Das Strafgesetz selbst bestimmt sodann: „Artikel 1. Da der Großherr sich
verpflichtet hat, weder öffentlich noch heimlich, weder durch Gift noch durch irgend
eine andere Todesart einen Verbrecher eher hinrichten zu lassen, als sein Ver¬
gehen gesetzlich constatirt und verurtheilt ist, so ist es keinem Beamten des Reiches
oder einer andern Person erlaubt, irgend ein Individuum tödten zu lassen: selbst
ein Vezier darf nicht gegen einen Schäfer so verfahren und wird im Uebertretnngs-
falle selbst mit dem Tode bestraft. — Jeder Proceß, der Todesstrafe nach sich
ziehen kann, wird öffentlich vor dem Scheik-ni-islam verhandelt, wenn das Ver¬
brechen zu Konstantinopel begangen ist, und die Hinrichtung kaun ohne vorgängige
kaiserliche Genehmigung nicht stattfinden. Ist das Verbrechen in einem von der
Hauptstadt entfernten Lande begangen, so wird der Proceß in dem Provinzial-
rathe des betreffenden Landes verhandelt und das Urtheil Sr. Hoheit zur Be¬
schlußnahme eingereicht.

Art. 2. Jede aufrührerische Rede oder Aufforderung zum Haß gegen die
Regierung wird mit 1 bis S Jahre Bagno bestraft. — Jede Anreizung zur
Empörung wird mit dem Tode oder lebenslänglichem Bagno bestraft. — Diese
Verbrechen, mögen sie innerhalb oder außerhalb Konstantinopels begangen sein,
richtet der Staatsrath.

Art. 3. Jede Beleidigung und Gewaltthätigkeit seitens eines Kavaß, Offi¬
ziers oder Beamten der Regierung, wird, welches auch sein Rang sein möge, von
dem Staatsrath gerichtet und mit Gefängniß bestraft. Ist das Verbrechen in den
Provinzen begangen, so kommt es vor den betreffenden Provinzialrath.

Art. i. Da Se. Hoheit davon Abstand genommen, das Vermögen und
Eigenthum irgend eines Privatmannes in Besitz zu nehmen, so ist es Niemandem
wehr erlaubt, sich fremdes Gut gewaltsam anzueignen oder irgend Jemanden zum
Verkauf seines Eigenthums zu nöthigen, um sich desselben ungerechterweise zu be-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/115>, abgerufen am 22.07.2024.