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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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zusammengestellt, als daß man ein wirklich klares Bild der ineinandergreifenden
Operationen auf beiden Seiten gewinnen könnte. Die winterliche Jahreszeit,
welche an der Donau jede größere Operation beider Seiten fast unmöglich macht,
ist den Türken am schwarzen Meere bis jetzt nicht von Vortheil gewesen. Freilich
kaun dieses selber im Winter durchaus nicht als Kriegsschauplatz benutzt werden und
auch was bisher vou Gefechten dort berichtet wird, scheine" mehr zufällige als ab¬
sichtliche Zusammenstöße gewesen zu sein. Dagegen haben die Bergvölker ihre zahl¬
reichsten und den Russen verderblichste" Expeditionen von jeher im Winter
unternommen. Die Menge der reißenden Ströme hindert sie dann nicht bei den
Angriffen und Rückzügen, weil sie fast alle zufrieren (sogar der Kuban), wäh¬
rend die russischen Schiffe den Uferfestungen nur mit Gefahr oder gar nicht vom
Meer aus zu Hilfe kommen können. -- Sicherlich ist es auch auffallend,
daß am Ostende des Kaukasus, wo Schamyl bei den ersten Anzeigen des
türkisch-russischen Conflicts sehr bedeutende, selbst nach russischen Berichten
keineswegs erfolglose Expeditionen unternahm, mehrere Tribus zu neuem
Abfall von den Russen brachte, andere seine Macht fühlen ließ u. f. w., jetzt
eine außerordentliche Stille eingetreten ist. Bekannt ist nur, daß die Berg¬
völker des Kaukasus mit der Türkei > ein, Bündniß abgeschlossen haben. Schamyl
beherrscht nun militärisch den Osten des Gebirgs und kämpfte bisher meistens,
ohne sich in nähere Beziehungen mit dem Westen zu setzen. Diese Beziehungen
herzustellen und somit ein Jneinandergreifen der östlichen und westlichen Opera¬
tionen scheint in der letzten Zeit die Hauptbestrebnng verschiedener Agenten ge¬
wesen zu sein. Würde dies gelingen, so wären die Vortheile der Türken an
dieser Stelle über die russische Position gradezu überwiegend. Denn man darf
nicht vergesst", daß hier lauter russeufeiudliche,. wenn auch theilweise bezwungene
Völkerbund Staaten zusammenstoßen. Ueberall ist man hier schon gewohnt, den
Krieg nicht blos als patriotischen, sondern als Glaubeuskampf auszufechten.
Endlich aber sind hier Englands Interessen mit denen der Türkei vollkommen
identisch. ,




zusammengestellt, als daß man ein wirklich klares Bild der ineinandergreifenden
Operationen auf beiden Seiten gewinnen könnte. Die winterliche Jahreszeit,
welche an der Donau jede größere Operation beider Seiten fast unmöglich macht,
ist den Türken am schwarzen Meere bis jetzt nicht von Vortheil gewesen. Freilich
kaun dieses selber im Winter durchaus nicht als Kriegsschauplatz benutzt werden und
auch was bisher vou Gefechten dort berichtet wird, scheine» mehr zufällige als ab¬
sichtliche Zusammenstöße gewesen zu sein. Dagegen haben die Bergvölker ihre zahl¬
reichsten und den Russen verderblichste» Expeditionen von jeher im Winter
unternommen. Die Menge der reißenden Ströme hindert sie dann nicht bei den
Angriffen und Rückzügen, weil sie fast alle zufrieren (sogar der Kuban), wäh¬
rend die russischen Schiffe den Uferfestungen nur mit Gefahr oder gar nicht vom
Meer aus zu Hilfe kommen können. — Sicherlich ist es auch auffallend,
daß am Ostende des Kaukasus, wo Schamyl bei den ersten Anzeigen des
türkisch-russischen Conflicts sehr bedeutende, selbst nach russischen Berichten
keineswegs erfolglose Expeditionen unternahm, mehrere Tribus zu neuem
Abfall von den Russen brachte, andere seine Macht fühlen ließ u. f. w., jetzt
eine außerordentliche Stille eingetreten ist. Bekannt ist nur, daß die Berg¬
völker des Kaukasus mit der Türkei > ein, Bündniß abgeschlossen haben. Schamyl
beherrscht nun militärisch den Osten des Gebirgs und kämpfte bisher meistens,
ohne sich in nähere Beziehungen mit dem Westen zu setzen. Diese Beziehungen
herzustellen und somit ein Jneinandergreifen der östlichen und westlichen Opera¬
tionen scheint in der letzten Zeit die Hauptbestrebnng verschiedener Agenten ge¬
wesen zu sein. Würde dies gelingen, so wären die Vortheile der Türken an
dieser Stelle über die russische Position gradezu überwiegend. Denn man darf
nicht vergesst«, daß hier lauter russeufeiudliche,. wenn auch theilweise bezwungene
Völkerbund Staaten zusammenstoßen. Ueberall ist man hier schon gewohnt, den
Krieg nicht blos als patriotischen, sondern als Glaubeuskampf auszufechten.
Endlich aber sind hier Englands Interessen mit denen der Türkei vollkommen
identisch. ,




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/112>, abgerufen am 22.07.2024.