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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band.

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Die russischen Festungen der Küste sind sämmtlich isolirten Nissen im brandenden
Meere zu vergleichen. Soweit ihre Kanonen und die Aufmerksamkeit ihrer Wachen
reicht, mag man den Nvrdsaum des schwarzen Meeres russisch heißen. Und selbst nicht
soweit. Jeder einzelne Russe, der nicht unmittelbar unter den rohen Wällen
dieser Festungen bleibt, wird von den kleinen Kugeln der stets auflauernden Berg¬
bewohner erreicht; ohne Bedeckung vou mindestens 30--40 Kosacken von einer
Festung zur andern reisen wollen, wäre eiw tollkühnes Wagniß; selbst die kleinste
Excursion landeinwärts (d. i. bergaufwärts) ohne ein paar Feldgeschütze würde
die Theilnehmer wahrscheinlich ihre Freiheit, wenn nicht ihr Leben kosten. Auch in
das Meer hinaus haben die Russen grade nur soweit Macht, als ihre Schisse an
den Küsten hinfahren. In den unzähligen Buchten der Einmündungen wilder
Gebirgsströme verkehren dagegen die tscherkessischen Fahrzeuge, welche von den
Engländern, Franzosen, Türken, Italienern n. s. w. auf hohem Meere Kriegs¬
bedürfnisse, besonders auch Salz (ein Hauptmangel des kaukasischen Hochgebirgs) und
Nahrungsmittel gegen die Erzeugnisse ihrer Höhen, auch gegen Sklaven und
Frauen für die Harems eintauschen. Und umsonst lauern ihnen die russischen
Fahrzeuge ans; fast immer gelingts ihnen, jenen zu entkommen. Wäre diese
Küste nicht tscherkessisch, trotz etwa 30 russischen Forts und Häfen, so wäre der
kaukasische Krieg wahrscheinlich längst durch die vollkommene Unterwerfung seiner
Gebirgsvölker entschieden. Dies wissen diese so genau als die Russen, und so ist
ihnen natürlich das Bündniß mit der Türkei, die Unterstützung ihrer Operationen
gegen die Russen eine Lebensfrage.

Freilich sind jene Forts meistens sehr unbedeutend, wie wir stets in den
russischen Bülletins lesen, wenn eines oder das andere von den Tscherkessen über¬
rumpelt und abgebrannt wurde. Auch können sich die Sieger darin nicht halten,
versuchens übrigens meistens gar nicht. Allein man darf doch nicht vergessen, daß
die gleichen Nachtheile auch die Russen treffen und daß eben die vollkommene
Unsicherheit des Besitzes dieser Uferstrecke der Grund ist, weshalb sie nirgends
erweiterte, größere Werke anlegen können. Auch Reboul-Kato, der Haupthafen
des Ostendes des schwarzen Meeres, die Schutzfestung für die Tifliser Straße,
ist als Ort ebenso elend, als die andern Plätze und dadurch noch elender geworden, daß
ihm das kaukasische Gouvernement seit 1832 sein Freihafenrechr nahm.

Alle Nachrichten stimmen darin überein, daß auch hier die Gebirgsvölker
entschieden zu den Türken halten, und daß die Unterstützung der russischen Ope¬
rationen von Tiflis und Eriwan oder Etschwiadsin ans vorzugsweise dadurch ge¬
hindert ist, weil die Gebirgsvölker an Persiens Grenze nur des Augenblicks zum
Losbruch zu harren scheinen, das früher zuverlässig erachtete Nordpersien selber
aber eine mehr als zweifelhafte Haltung anzunehmen beginnt.

Die Nachrichten von dem asiatischen Theile des Kriegsschauplatzes sind zu
verworren und offenbar meistens zu entfernt von dem Orte der Begebenheiten


Die russischen Festungen der Küste sind sämmtlich isolirten Nissen im brandenden
Meere zu vergleichen. Soweit ihre Kanonen und die Aufmerksamkeit ihrer Wachen
reicht, mag man den Nvrdsaum des schwarzen Meeres russisch heißen. Und selbst nicht
soweit. Jeder einzelne Russe, der nicht unmittelbar unter den rohen Wällen
dieser Festungen bleibt, wird von den kleinen Kugeln der stets auflauernden Berg¬
bewohner erreicht; ohne Bedeckung vou mindestens 30—40 Kosacken von einer
Festung zur andern reisen wollen, wäre eiw tollkühnes Wagniß; selbst die kleinste
Excursion landeinwärts (d. i. bergaufwärts) ohne ein paar Feldgeschütze würde
die Theilnehmer wahrscheinlich ihre Freiheit, wenn nicht ihr Leben kosten. Auch in
das Meer hinaus haben die Russen grade nur soweit Macht, als ihre Schisse an
den Küsten hinfahren. In den unzähligen Buchten der Einmündungen wilder
Gebirgsströme verkehren dagegen die tscherkessischen Fahrzeuge, welche von den
Engländern, Franzosen, Türken, Italienern n. s. w. auf hohem Meere Kriegs¬
bedürfnisse, besonders auch Salz (ein Hauptmangel des kaukasischen Hochgebirgs) und
Nahrungsmittel gegen die Erzeugnisse ihrer Höhen, auch gegen Sklaven und
Frauen für die Harems eintauschen. Und umsonst lauern ihnen die russischen
Fahrzeuge ans; fast immer gelingts ihnen, jenen zu entkommen. Wäre diese
Küste nicht tscherkessisch, trotz etwa 30 russischen Forts und Häfen, so wäre der
kaukasische Krieg wahrscheinlich längst durch die vollkommene Unterwerfung seiner
Gebirgsvölker entschieden. Dies wissen diese so genau als die Russen, und so ist
ihnen natürlich das Bündniß mit der Türkei, die Unterstützung ihrer Operationen
gegen die Russen eine Lebensfrage.

Freilich sind jene Forts meistens sehr unbedeutend, wie wir stets in den
russischen Bülletins lesen, wenn eines oder das andere von den Tscherkessen über¬
rumpelt und abgebrannt wurde. Auch können sich die Sieger darin nicht halten,
versuchens übrigens meistens gar nicht. Allein man darf doch nicht vergessen, daß
die gleichen Nachtheile auch die Russen treffen und daß eben die vollkommene
Unsicherheit des Besitzes dieser Uferstrecke der Grund ist, weshalb sie nirgends
erweiterte, größere Werke anlegen können. Auch Reboul-Kato, der Haupthafen
des Ostendes des schwarzen Meeres, die Schutzfestung für die Tifliser Straße,
ist als Ort ebenso elend, als die andern Plätze und dadurch noch elender geworden, daß
ihm das kaukasische Gouvernement seit 1832 sein Freihafenrechr nahm.

Alle Nachrichten stimmen darin überein, daß auch hier die Gebirgsvölker
entschieden zu den Türken halten, und daß die Unterstützung der russischen Ope¬
rationen von Tiflis und Eriwan oder Etschwiadsin ans vorzugsweise dadurch ge¬
hindert ist, weil die Gebirgsvölker an Persiens Grenze nur des Augenblicks zum
Losbruch zu harren scheinen, das früher zuverlässig erachtete Nordpersien selber
aber eine mehr als zweifelhafte Haltung anzunehmen beginnt.

Die Nachrichten von dem asiatischen Theile des Kriegsschauplatzes sind zu
verworren und offenbar meistens zu entfernt von dem Orte der Begebenheiten


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[0111] Die russischen Festungen der Küste sind sämmtlich isolirten Nissen im brandenden Meere zu vergleichen. Soweit ihre Kanonen und die Aufmerksamkeit ihrer Wachen reicht, mag man den Nvrdsaum des schwarzen Meeres russisch heißen. Und selbst nicht soweit. Jeder einzelne Russe, der nicht unmittelbar unter den rohen Wällen dieser Festungen bleibt, wird von den kleinen Kugeln der stets auflauernden Berg¬ bewohner erreicht; ohne Bedeckung vou mindestens 30—40 Kosacken von einer Festung zur andern reisen wollen, wäre eiw tollkühnes Wagniß; selbst die kleinste Excursion landeinwärts (d. i. bergaufwärts) ohne ein paar Feldgeschütze würde die Theilnehmer wahrscheinlich ihre Freiheit, wenn nicht ihr Leben kosten. Auch in das Meer hinaus haben die Russen grade nur soweit Macht, als ihre Schisse an den Küsten hinfahren. In den unzähligen Buchten der Einmündungen wilder Gebirgsströme verkehren dagegen die tscherkessischen Fahrzeuge, welche von den Engländern, Franzosen, Türken, Italienern n. s. w. auf hohem Meere Kriegs¬ bedürfnisse, besonders auch Salz (ein Hauptmangel des kaukasischen Hochgebirgs) und Nahrungsmittel gegen die Erzeugnisse ihrer Höhen, auch gegen Sklaven und Frauen für die Harems eintauschen. Und umsonst lauern ihnen die russischen Fahrzeuge ans; fast immer gelingts ihnen, jenen zu entkommen. Wäre diese Küste nicht tscherkessisch, trotz etwa 30 russischen Forts und Häfen, so wäre der kaukasische Krieg wahrscheinlich längst durch die vollkommene Unterwerfung seiner Gebirgsvölker entschieden. Dies wissen diese so genau als die Russen, und so ist ihnen natürlich das Bündniß mit der Türkei, die Unterstützung ihrer Operationen gegen die Russen eine Lebensfrage. Freilich sind jene Forts meistens sehr unbedeutend, wie wir stets in den russischen Bülletins lesen, wenn eines oder das andere von den Tscherkessen über¬ rumpelt und abgebrannt wurde. Auch können sich die Sieger darin nicht halten, versuchens übrigens meistens gar nicht. Allein man darf doch nicht vergessen, daß die gleichen Nachtheile auch die Russen treffen und daß eben die vollkommene Unsicherheit des Besitzes dieser Uferstrecke der Grund ist, weshalb sie nirgends erweiterte, größere Werke anlegen können. Auch Reboul-Kato, der Haupthafen des Ostendes des schwarzen Meeres, die Schutzfestung für die Tifliser Straße, ist als Ort ebenso elend, als die andern Plätze und dadurch noch elender geworden, daß ihm das kaukasische Gouvernement seit 1832 sein Freihafenrechr nahm. Alle Nachrichten stimmen darin überein, daß auch hier die Gebirgsvölker entschieden zu den Türken halten, und daß die Unterstützung der russischen Ope¬ rationen von Tiflis und Eriwan oder Etschwiadsin ans vorzugsweise dadurch ge¬ hindert ist, weil die Gebirgsvölker an Persiens Grenze nur des Augenblicks zum Losbruch zu harren scheinen, das früher zuverlässig erachtete Nordpersien selber aber eine mehr als zweifelhafte Haltung anzunehmen beginnt. Die Nachrichten von dem asiatischen Theile des Kriegsschauplatzes sind zu verworren und offenbar meistens zu entfernt von dem Orte der Begebenheiten

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_97245/111>, abgerufen am 26.06.2024.