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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Volk bekannt machte. Die Zeit war grade damals sehr empfänglich für
alles Fremdartige und Ungewöhnliche, wenn man es iM- irgend als eine
neue Offenbarung des Schönen betrachten konnte. Herder und Goethe sprachen
ein warmes, fast überschwengliches Lob aus und die romantische Schule wett¬
eiferte mit ihnen, die süßen Geheimnisse der indischen Poesie dem deutschen
Bewußtsein einzuschmeicheln. Seit der Zeit hat sich unsre Kenntniß des in¬
dischen Wesens unendlich erweitert, wir haben über das Verhältniß der ver¬
schiedenen Dichtnngsformen zueinander ernsthafter nachgedacht, und so scheint
es wol an der Zeit zu sein, die neugewonnenen ästhetischen Principien an dem
Versuch einer neuen Uebertragung zu bethätigen. Was seit Forster in dieser
Beziehung geschehen ist, kann als ein wahrer Fortschritt nicht betrachtet werden.
Der gegenwärtig?'Uebersetzer hat sich die Aufgabe gestellt, bei möglichster Treue
in Beziehung auf den Inhalt das Erzeugniß eines fremden Himmelstrichs
den Formen der deutschen Poesie soweit anzunähern, als die Verschiedenartig¬
keit des Gegenstandes erlaubt. Lassen wir das Princip einmal gelten, so müssen
wir zugestehen, daß die Absicht erreicht ist. Der Verfasser hat den fünffüßigen
Jambus beibehalten, er hat die eigenthümliche indische Wortbildung, welche
manche unsrer Übersetzungen so ungenießbar macht, vollständig bei Seite
gelassen, und er hat die Sprache in der Weise behandelt, wie sie durch Goethes
Vorbild in unsrer Poesie festgestellt ist. So seltsam uns also zuweilen die
Vorstellungen des Werks erscheinen, so bleibt uns in der Form nichts Frem¬
des; sie macht auf uns den Eindruck eines deutschen Originalwerkes.

Was das Princip betrifft, so können wir uns damit nicht unbedingt ein¬
verstanden erklären. Wir gehen zwar nicht von der Ansicht aus, die seit der
romantischen Schule bei uns die herrschende gewesen ist, daß jede poetische
Uebersetzung die Form des Originals getreu wiedergeben müsse; denn wenn wir
diesem Grundsatz streng huldigen, so wird in vielen Fällen der Zweck der
Uebersetzung unmöglich gemacht, der doch nur darin bestehen kann, daß
die Uebersetzung auf uns ungefähr denselben Eindruck macht, wie das Original
aus das Volk, aus dem es hervorgegangen ist. Die Nachbildung eines aus¬
ländischen Versmaßes kann nur dann einen Sinn haben, wenn es wirklich in
unsrem Ohr liegt, und dieses ist bei den indischen Versmaßen unzweifelhaft
nicht der Fall. Eine solche Nachbildung würde also keinen andern Zweck haben,
als die deutsche Sprache gewaltsam zu verrenken und wo das Original vielleicht
ganz unbefangen und naiv zu Werke geht, den Eindruck von etwas Erkün¬
steltem und Erzwungenem zu machen.

Auf der andern Seite glauben wir aber, daß der Uebersetzer alles vermei¬
den muß, durch die Form den Schein der Verwandtschaft hervorzubringen, wo
in dem Inhalt der vollständige Gegensatz herrscht. DaS scheint uns bei der
Sakuntala der Fall zu sein. Der fünffüßige Jambus erinnert uns zu lebhaft


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Volk bekannt machte. Die Zeit war grade damals sehr empfänglich für
alles Fremdartige und Ungewöhnliche, wenn man es iM- irgend als eine
neue Offenbarung des Schönen betrachten konnte. Herder und Goethe sprachen
ein warmes, fast überschwengliches Lob aus und die romantische Schule wett¬
eiferte mit ihnen, die süßen Geheimnisse der indischen Poesie dem deutschen
Bewußtsein einzuschmeicheln. Seit der Zeit hat sich unsre Kenntniß des in¬
dischen Wesens unendlich erweitert, wir haben über das Verhältniß der ver¬
schiedenen Dichtnngsformen zueinander ernsthafter nachgedacht, und so scheint
es wol an der Zeit zu sein, die neugewonnenen ästhetischen Principien an dem
Versuch einer neuen Uebertragung zu bethätigen. Was seit Forster in dieser
Beziehung geschehen ist, kann als ein wahrer Fortschritt nicht betrachtet werden.
Der gegenwärtig?'Uebersetzer hat sich die Aufgabe gestellt, bei möglichster Treue
in Beziehung auf den Inhalt das Erzeugniß eines fremden Himmelstrichs
den Formen der deutschen Poesie soweit anzunähern, als die Verschiedenartig¬
keit des Gegenstandes erlaubt. Lassen wir das Princip einmal gelten, so müssen
wir zugestehen, daß die Absicht erreicht ist. Der Verfasser hat den fünffüßigen
Jambus beibehalten, er hat die eigenthümliche indische Wortbildung, welche
manche unsrer Übersetzungen so ungenießbar macht, vollständig bei Seite
gelassen, und er hat die Sprache in der Weise behandelt, wie sie durch Goethes
Vorbild in unsrer Poesie festgestellt ist. So seltsam uns also zuweilen die
Vorstellungen des Werks erscheinen, so bleibt uns in der Form nichts Frem¬
des; sie macht auf uns den Eindruck eines deutschen Originalwerkes.

Was das Princip betrifft, so können wir uns damit nicht unbedingt ein¬
verstanden erklären. Wir gehen zwar nicht von der Ansicht aus, die seit der
romantischen Schule bei uns die herrschende gewesen ist, daß jede poetische
Uebersetzung die Form des Originals getreu wiedergeben müsse; denn wenn wir
diesem Grundsatz streng huldigen, so wird in vielen Fällen der Zweck der
Uebersetzung unmöglich gemacht, der doch nur darin bestehen kann, daß
die Uebersetzung auf uns ungefähr denselben Eindruck macht, wie das Original
aus das Volk, aus dem es hervorgegangen ist. Die Nachbildung eines aus¬
ländischen Versmaßes kann nur dann einen Sinn haben, wenn es wirklich in
unsrem Ohr liegt, und dieses ist bei den indischen Versmaßen unzweifelhaft
nicht der Fall. Eine solche Nachbildung würde also keinen andern Zweck haben,
als die deutsche Sprache gewaltsam zu verrenken und wo das Original vielleicht
ganz unbefangen und naiv zu Werke geht, den Eindruck von etwas Erkün¬
steltem und Erzwungenem zu machen.

Auf der andern Seite glauben wir aber, daß der Uebersetzer alles vermei¬
den muß, durch die Form den Schein der Verwandtschaft hervorzubringen, wo
in dem Inhalt der vollständige Gegensatz herrscht. DaS scheint uns bei der
Sakuntala der Fall zu sein. Der fünffüßige Jambus erinnert uns zu lebhaft


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[0099] Volk bekannt machte. Die Zeit war grade damals sehr empfänglich für alles Fremdartige und Ungewöhnliche, wenn man es iM- irgend als eine neue Offenbarung des Schönen betrachten konnte. Herder und Goethe sprachen ein warmes, fast überschwengliches Lob aus und die romantische Schule wett¬ eiferte mit ihnen, die süßen Geheimnisse der indischen Poesie dem deutschen Bewußtsein einzuschmeicheln. Seit der Zeit hat sich unsre Kenntniß des in¬ dischen Wesens unendlich erweitert, wir haben über das Verhältniß der ver¬ schiedenen Dichtnngsformen zueinander ernsthafter nachgedacht, und so scheint es wol an der Zeit zu sein, die neugewonnenen ästhetischen Principien an dem Versuch einer neuen Uebertragung zu bethätigen. Was seit Forster in dieser Beziehung geschehen ist, kann als ein wahrer Fortschritt nicht betrachtet werden. Der gegenwärtig?'Uebersetzer hat sich die Aufgabe gestellt, bei möglichster Treue in Beziehung auf den Inhalt das Erzeugniß eines fremden Himmelstrichs den Formen der deutschen Poesie soweit anzunähern, als die Verschiedenartig¬ keit des Gegenstandes erlaubt. Lassen wir das Princip einmal gelten, so müssen wir zugestehen, daß die Absicht erreicht ist. Der Verfasser hat den fünffüßigen Jambus beibehalten, er hat die eigenthümliche indische Wortbildung, welche manche unsrer Übersetzungen so ungenießbar macht, vollständig bei Seite gelassen, und er hat die Sprache in der Weise behandelt, wie sie durch Goethes Vorbild in unsrer Poesie festgestellt ist. So seltsam uns also zuweilen die Vorstellungen des Werks erscheinen, so bleibt uns in der Form nichts Frem¬ des; sie macht auf uns den Eindruck eines deutschen Originalwerkes. Was das Princip betrifft, so können wir uns damit nicht unbedingt ein¬ verstanden erklären. Wir gehen zwar nicht von der Ansicht aus, die seit der romantischen Schule bei uns die herrschende gewesen ist, daß jede poetische Uebersetzung die Form des Originals getreu wiedergeben müsse; denn wenn wir diesem Grundsatz streng huldigen, so wird in vielen Fällen der Zweck der Uebersetzung unmöglich gemacht, der doch nur darin bestehen kann, daß die Uebersetzung auf uns ungefähr denselben Eindruck macht, wie das Original aus das Volk, aus dem es hervorgegangen ist. Die Nachbildung eines aus¬ ländischen Versmaßes kann nur dann einen Sinn haben, wenn es wirklich in unsrem Ohr liegt, und dieses ist bei den indischen Versmaßen unzweifelhaft nicht der Fall. Eine solche Nachbildung würde also keinen andern Zweck haben, als die deutsche Sprache gewaltsam zu verrenken und wo das Original vielleicht ganz unbefangen und naiv zu Werke geht, den Eindruck von etwas Erkün¬ steltem und Erzwungenem zu machen. Auf der andern Seite glauben wir aber, daß der Uebersetzer alles vermei¬ den muß, durch die Form den Schein der Verwandtschaft hervorzubringen, wo in dem Inhalt der vollständige Gegensatz herrscht. DaS scheint uns bei der Sakuntala der Fall zu sein. Der fünffüßige Jambus erinnert uns zu lebhaft 12 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/99>, abgerufen am 22.07.2024.