Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.in einem Handelstande der Militärstand nie recht angesehen, und noch seltener Alle hier aufgezählten, aber nicht ausgeführten Ursachen haben das Aus¬ Die Hauptsvlgen des Fehlens eines büreaukratischen Geistes zeigen sich in einem Handelstande der Militärstand nie recht angesehen, und noch seltener Alle hier aufgezählten, aber nicht ausgeführten Ursachen haben das Aus¬ Die Hauptsvlgen des Fehlens eines büreaukratischen Geistes zeigen sich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0094" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98408"/> <p xml:id="ID_259" prev="#ID_258"> in einem Handelstande der Militärstand nie recht angesehen, und noch seltener<lb/> einflußreich ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_260"> Alle hier aufgezählten, aber nicht ausgeführten Ursachen haben das Aus¬<lb/> kommen des büreaukratischen Geistes auch in der Literatur völlig gehindert, sie<lb/> bewahrt vor einer Staatsphilosophie, Staatsreligion, officieller oder dynastischer<lb/> Geschichtschreibung und allen ähnlichen Gärtnerkünsteu an dem freien Baume<lb/> des menschlichen Wissens und Denkens, und so aus einem Gebiete die völlige<lb/> Freiheit erhalten, wo die deutsche und noch mehr die französische Literatur ge¬<lb/> nöthigt worden sind, die Wahrheit Mehr oder weniger zu fälschen; freilich wiegt<lb/> dieser große Vorzug dennoch die religiöse sreie Bewegung nicht auf, welcher<lb/> die fremden Literaturen sich mehr oder weniger erfreuen.</p><lb/> <p xml:id="ID_261" next="#ID_262"> Die Hauptsvlgen des Fehlens eines büreaukratischen Geistes zeigen sich<lb/> erstlich als sreie und praktische Urtheile über menschliche Handlungen und<lb/> staatliche Zustände, an deren Stelle die deutsche Literatur so oft ein philoso¬<lb/> phisches Prokrustesbett setzt; man lese nur z. B. einen Wagenaar, einen Luzac,<lb/> einen de Jorge und man wird seine freudige Anerkennung dieser wahrhaft<lb/> antiken, von allen philosophischen Künsteleien befreiten, recht menschlich-prakti¬<lb/> schen Auffassung der geschichtlichen Ereignisse nicht versagen können, d. h. über¬<lb/> all, wo nicht der biblische Standpunkt in Gefahr ist, wie z. B. bei den Wie¬<lb/> dertäufern, wo bei allen holländischen Historikern alle Billigkeit, alles Verständ¬<lb/> niß aufhört. Eine zweite Folge ist die Selbstständigkeit der politischen, juri¬<lb/> stischen, pädagogischen, theologischen Ansichten und praktischen Ausführungen,<lb/> allerdings stets in den religiösen Grenzen. Denn wo findet man mehre aus<lb/> dem Boden der praktischen Verständigkeit streitende und wo ein solches voll¬<lb/> ständiges Fehlen der idealen und extremen politischen Parteien, als in den Nie¬<lb/> derlanden, wo sogar selbst die stürmische Reformationszeit nur schwache Ansätze<lb/> zum religiös-politischen Radicalismus erzeugt hat; wo gibt es eine Rechts¬<lb/> wissenschaft, die weniger vom Staate und mehr von den praktischen Bedürf¬<lb/> nissen der Nation beeinflußt ist und wird, als in den Niederlanden, welche den<lb/> Code Napoleon auf das weiseste dem niederländischen Volksgeiste angepaßt<lb/> und zu musterhaften Specialgesetzbüchern entwickelt haben; wo herrscht<lb/> auf dem Gebiete der religiösen Dogmatik ein regeres Interesse aufopfernder<lb/> Parteinahme, als in der niederländischen Nation, welche keine Superintenden¬<lb/> ten, keine Konsistorien, kein Cultusministerium — und kaum Staatöprofessorcn<lb/> der Theologie kennt? Das niederländische Schulwesen verdankt seine Blüte,<lb/> das höhere und mittlere die des 17. und 18. Jahrhunderts, das niedere seine<lb/> jetzige Blüte lediglich der Privat- und Associations-Thätigkeit und übertrifft<lb/> dadurch an Vielseitigkeit der Methode, und vor allem an praktischem Sinn<lb/> die deutschen Anstalten weit, wenn auch die niederländischen Lehrer an allge¬<lb/> meiner Bildung, philosophischer Umschau, humanistischer Auffassung den denk-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0094]
in einem Handelstande der Militärstand nie recht angesehen, und noch seltener
einflußreich ist.
Alle hier aufgezählten, aber nicht ausgeführten Ursachen haben das Aus¬
kommen des büreaukratischen Geistes auch in der Literatur völlig gehindert, sie
bewahrt vor einer Staatsphilosophie, Staatsreligion, officieller oder dynastischer
Geschichtschreibung und allen ähnlichen Gärtnerkünsteu an dem freien Baume
des menschlichen Wissens und Denkens, und so aus einem Gebiete die völlige
Freiheit erhalten, wo die deutsche und noch mehr die französische Literatur ge¬
nöthigt worden sind, die Wahrheit Mehr oder weniger zu fälschen; freilich wiegt
dieser große Vorzug dennoch die religiöse sreie Bewegung nicht auf, welcher
die fremden Literaturen sich mehr oder weniger erfreuen.
Die Hauptsvlgen des Fehlens eines büreaukratischen Geistes zeigen sich
erstlich als sreie und praktische Urtheile über menschliche Handlungen und
staatliche Zustände, an deren Stelle die deutsche Literatur so oft ein philoso¬
phisches Prokrustesbett setzt; man lese nur z. B. einen Wagenaar, einen Luzac,
einen de Jorge und man wird seine freudige Anerkennung dieser wahrhaft
antiken, von allen philosophischen Künsteleien befreiten, recht menschlich-prakti¬
schen Auffassung der geschichtlichen Ereignisse nicht versagen können, d. h. über¬
all, wo nicht der biblische Standpunkt in Gefahr ist, wie z. B. bei den Wie¬
dertäufern, wo bei allen holländischen Historikern alle Billigkeit, alles Verständ¬
niß aufhört. Eine zweite Folge ist die Selbstständigkeit der politischen, juri¬
stischen, pädagogischen, theologischen Ansichten und praktischen Ausführungen,
allerdings stets in den religiösen Grenzen. Denn wo findet man mehre aus
dem Boden der praktischen Verständigkeit streitende und wo ein solches voll¬
ständiges Fehlen der idealen und extremen politischen Parteien, als in den Nie¬
derlanden, wo sogar selbst die stürmische Reformationszeit nur schwache Ansätze
zum religiös-politischen Radicalismus erzeugt hat; wo gibt es eine Rechts¬
wissenschaft, die weniger vom Staate und mehr von den praktischen Bedürf¬
nissen der Nation beeinflußt ist und wird, als in den Niederlanden, welche den
Code Napoleon auf das weiseste dem niederländischen Volksgeiste angepaßt
und zu musterhaften Specialgesetzbüchern entwickelt haben; wo herrscht
auf dem Gebiete der religiösen Dogmatik ein regeres Interesse aufopfernder
Parteinahme, als in der niederländischen Nation, welche keine Superintenden¬
ten, keine Konsistorien, kein Cultusministerium — und kaum Staatöprofessorcn
der Theologie kennt? Das niederländische Schulwesen verdankt seine Blüte,
das höhere und mittlere die des 17. und 18. Jahrhunderts, das niedere seine
jetzige Blüte lediglich der Privat- und Associations-Thätigkeit und übertrifft
dadurch an Vielseitigkeit der Methode, und vor allem an praktischem Sinn
die deutschen Anstalten weit, wenn auch die niederländischen Lehrer an allge¬
meiner Bildung, philosophischer Umschau, humanistischer Auffassung den denk-
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