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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Einflusses wegen die Geschäfte, übernommen haben, und nur sehr ausnahms¬
weise für ihr ganzes Leben, woraus sich auch die Möglichkeit der staatsgrund-
gesetzlichen Bestimmung erklärt, daß alle Bürgermeister -- die niederen Verwal¬
tungsbeamten für Stadt und Land -- alle fünf Jahre der königlichen Bestä¬
tigung bedürfen. Die höheren Verwaltungsstellen sind reine Ehrenämter, wie
z. B. die Mitglieder der Provinzialregierung, die mit Ausnahme des Präsiden¬
ten und Secretärs, nur Diäten und Reisekosten, keinen Gehalt erhalten.

Bau-, Post-, Steuer-, Eisenbahn-,:c. Beamte sind theils keine Staats¬
diener, theils viel mehr zeitweilig Angestellte, als das z. B, in Deutschland der
Fall, wo noch immer zu viele den Staatsdienst als ihre Versorgungsanstalt
ansehen, zum Theil leider müssen.

Die höchsten Verwaltungsbehörden wechseln in einem so parteienreichcn
Lande, wie die Niederlande, so häufig, daß auch hier an die Bildung einer
höheren Büreaukratie nicht zu denken; überhaupt ist die Büreaukratie eine so
fremde Pflanze in den Niederlanden, daß sie selbst in dem üppigen Boden
einer ministeriellen Autokratie über die Colonien nicht hat gedeihen wollen.

Was endlich die Beamten der Wissenschaft betrifft, so sind auch sie dem
Staatseiuflusse sehr entzogen, indem die Gymnasien fast alle Gemeindeanstalten
sind / die 3 Universitäten wenigstens zum Theil unter provinziellen Korporatio¬
nen und Stiftungseinflüssen stehen, außerdem alle kleine gelehrte Schulen,
als Athenaea, chirurgische, Seefahrtö-, Handels-, Industrie-, Ackerbau- :e.
Schulen mit dem Staate wenig oder nichts zu schaffen haben.

Die Geistlichkeit endlich hängt, was die reformirte Konfession und die
protestantischen Sekten betrifft, mit dem Staate in keinerlei Weise mehr zusam¬
men, man möchte denn das gesetzlich geregelte Bestätigungsrecht des Königs
dahin rechnen wollen; sogar der Patrvnatspfarrer sind nur noch wenige, und
Claßiö und Synode sind also die einzig einflußreichen Organe der protestanti¬
schen Kirche; wenn irgendwo, hat die Demokratie des Nesormirtenthumö in der
niederländischen reformirten Kirche gesiegt.

Die katholische Geistlichkeit ist natürlich vom Staate ebenso unabhängig,
inzwischen zu allen Zeiten ohne Einfluß auf die reformirt geistige Entwicklung
des niederländischen Volkes gewesen.

Am allerwenigsten eristirt etwas von militärischer Büreaukratie, da es
nicht einmal einen einflußreichen Milirärstand gibt, indem die Landarmee noch
mit den üblen Traditionen des früheren und noch nicht ganz abgeschafften
Werbesystems zu kämpfen hat, sehr viele Ausländer, auch als Offiziere, unter
sich zählt, welche die Nation für ihre gemietheten Kriegsknechte hält, endlich
durch die Verbindung mit der an schlechten Subjecten reichen Eolonialarmee
und den Gegensatz gegen die allgemein angesehene Marine wie die bürgerlich
geachtete Landwehr -- Schutterei -- sehr in Ansehen und Einfluß leidet, zumal


Einflusses wegen die Geschäfte, übernommen haben, und nur sehr ausnahms¬
weise für ihr ganzes Leben, woraus sich auch die Möglichkeit der staatsgrund-
gesetzlichen Bestimmung erklärt, daß alle Bürgermeister — die niederen Verwal¬
tungsbeamten für Stadt und Land — alle fünf Jahre der königlichen Bestä¬
tigung bedürfen. Die höheren Verwaltungsstellen sind reine Ehrenämter, wie
z. B. die Mitglieder der Provinzialregierung, die mit Ausnahme des Präsiden¬
ten und Secretärs, nur Diäten und Reisekosten, keinen Gehalt erhalten.

Bau-, Post-, Steuer-, Eisenbahn-,:c. Beamte sind theils keine Staats¬
diener, theils viel mehr zeitweilig Angestellte, als das z. B, in Deutschland der
Fall, wo noch immer zu viele den Staatsdienst als ihre Versorgungsanstalt
ansehen, zum Theil leider müssen.

Die höchsten Verwaltungsbehörden wechseln in einem so parteienreichcn
Lande, wie die Niederlande, so häufig, daß auch hier an die Bildung einer
höheren Büreaukratie nicht zu denken; überhaupt ist die Büreaukratie eine so
fremde Pflanze in den Niederlanden, daß sie selbst in dem üppigen Boden
einer ministeriellen Autokratie über die Colonien nicht hat gedeihen wollen.

Was endlich die Beamten der Wissenschaft betrifft, so sind auch sie dem
Staatseiuflusse sehr entzogen, indem die Gymnasien fast alle Gemeindeanstalten
sind / die 3 Universitäten wenigstens zum Theil unter provinziellen Korporatio¬
nen und Stiftungseinflüssen stehen, außerdem alle kleine gelehrte Schulen,
als Athenaea, chirurgische, Seefahrtö-, Handels-, Industrie-, Ackerbau- :e.
Schulen mit dem Staate wenig oder nichts zu schaffen haben.

Die Geistlichkeit endlich hängt, was die reformirte Konfession und die
protestantischen Sekten betrifft, mit dem Staate in keinerlei Weise mehr zusam¬
men, man möchte denn das gesetzlich geregelte Bestätigungsrecht des Königs
dahin rechnen wollen; sogar der Patrvnatspfarrer sind nur noch wenige, und
Claßiö und Synode sind also die einzig einflußreichen Organe der protestanti¬
schen Kirche; wenn irgendwo, hat die Demokratie des Nesormirtenthumö in der
niederländischen reformirten Kirche gesiegt.

Die katholische Geistlichkeit ist natürlich vom Staate ebenso unabhängig,
inzwischen zu allen Zeiten ohne Einfluß auf die reformirt geistige Entwicklung
des niederländischen Volkes gewesen.

Am allerwenigsten eristirt etwas von militärischer Büreaukratie, da es
nicht einmal einen einflußreichen Milirärstand gibt, indem die Landarmee noch
mit den üblen Traditionen des früheren und noch nicht ganz abgeschafften
Werbesystems zu kämpfen hat, sehr viele Ausländer, auch als Offiziere, unter
sich zählt, welche die Nation für ihre gemietheten Kriegsknechte hält, endlich
durch die Verbindung mit der an schlechten Subjecten reichen Eolonialarmee
und den Gegensatz gegen die allgemein angesehene Marine wie die bürgerlich
geachtete Landwehr — Schutterei — sehr in Ansehen und Einfluß leidet, zumal


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[0093] Einflusses wegen die Geschäfte, übernommen haben, und nur sehr ausnahms¬ weise für ihr ganzes Leben, woraus sich auch die Möglichkeit der staatsgrund- gesetzlichen Bestimmung erklärt, daß alle Bürgermeister — die niederen Verwal¬ tungsbeamten für Stadt und Land — alle fünf Jahre der königlichen Bestä¬ tigung bedürfen. Die höheren Verwaltungsstellen sind reine Ehrenämter, wie z. B. die Mitglieder der Provinzialregierung, die mit Ausnahme des Präsiden¬ ten und Secretärs, nur Diäten und Reisekosten, keinen Gehalt erhalten. Bau-, Post-, Steuer-, Eisenbahn-,:c. Beamte sind theils keine Staats¬ diener, theils viel mehr zeitweilig Angestellte, als das z. B, in Deutschland der Fall, wo noch immer zu viele den Staatsdienst als ihre Versorgungsanstalt ansehen, zum Theil leider müssen. Die höchsten Verwaltungsbehörden wechseln in einem so parteienreichcn Lande, wie die Niederlande, so häufig, daß auch hier an die Bildung einer höheren Büreaukratie nicht zu denken; überhaupt ist die Büreaukratie eine so fremde Pflanze in den Niederlanden, daß sie selbst in dem üppigen Boden einer ministeriellen Autokratie über die Colonien nicht hat gedeihen wollen. Was endlich die Beamten der Wissenschaft betrifft, so sind auch sie dem Staatseiuflusse sehr entzogen, indem die Gymnasien fast alle Gemeindeanstalten sind / die 3 Universitäten wenigstens zum Theil unter provinziellen Korporatio¬ nen und Stiftungseinflüssen stehen, außerdem alle kleine gelehrte Schulen, als Athenaea, chirurgische, Seefahrtö-, Handels-, Industrie-, Ackerbau- :e. Schulen mit dem Staate wenig oder nichts zu schaffen haben. Die Geistlichkeit endlich hängt, was die reformirte Konfession und die protestantischen Sekten betrifft, mit dem Staate in keinerlei Weise mehr zusam¬ men, man möchte denn das gesetzlich geregelte Bestätigungsrecht des Königs dahin rechnen wollen; sogar der Patrvnatspfarrer sind nur noch wenige, und Claßiö und Synode sind also die einzig einflußreichen Organe der protestanti¬ schen Kirche; wenn irgendwo, hat die Demokratie des Nesormirtenthumö in der niederländischen reformirten Kirche gesiegt. Die katholische Geistlichkeit ist natürlich vom Staate ebenso unabhängig, inzwischen zu allen Zeiten ohne Einfluß auf die reformirt geistige Entwicklung des niederländischen Volkes gewesen. Am allerwenigsten eristirt etwas von militärischer Büreaukratie, da es nicht einmal einen einflußreichen Milirärstand gibt, indem die Landarmee noch mit den üblen Traditionen des früheren und noch nicht ganz abgeschafften Werbesystems zu kämpfen hat, sehr viele Ausländer, auch als Offiziere, unter sich zählt, welche die Nation für ihre gemietheten Kriegsknechte hält, endlich durch die Verbindung mit der an schlechten Subjecten reichen Eolonialarmee und den Gegensatz gegen die allgemein angesehene Marine wie die bürgerlich geachtete Landwehr — Schutterei — sehr in Ansehen und Einfluß leidet, zumal

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/93>, abgerufen am 22.07.2024.