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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Sehr richtig schildert er auch dies Mal sein Verhältniß zu der deutschen
Philosophie. "Auch ich gehörte zu jenen frivolen Starkgeistem, die in der
Mehrzahl den liberalen großen Herren glichen, welche vor der Revolution
die Langeweile ihres eintönigen Hoflebens durch den Reiz neuer subversiver
Ideen zu unterbrechen suchten. Aber als ich bemerkte, daß diese Fragen auch
in den Kneipen discutirt wurden, wo an die Stelle der Armleuchter und
Wachslichter das Talglicht trat, als der Atheismus anfing, nach Talg, Schnaps
und Tabak zu riechen, da wurden meine Augen klar und ich entsagte dem
Atheismus."

Diese Darstellung ist vollkommen richtig, wohlgemerkt, wenn man den Ver¬
gleich zwischen Heine und den liberalen Seigneurs. nicht über diesen einen
bestimmten Punkt ausdehnt. Denn sonst hat Heine vom Aristokraten und vom
vornehmen Herren nicht das Geringste; er ist ein feiner Kopf, voll der glän¬
zendsten Gaben der Phantasie, aber er ist durch und durch Parvenu, der
Mann aus niederen Ständen, der im Handschuh und gezierten Wesen und
dergleichen den jungen Herrn nachäfft, die er früher im Laden bedient.. Der vor¬
nehme Mann wird nicht aufhören, es zu sein, auch in der schlechtesten Klei¬
dung, im schlechtesten Hause, denn vornehm ist, wer fest und sicher auf sich
selbst ruht.

Höchst ergötzlich ist auch die Art und Weise, wie er seine aristokratische
Gesinnung dem Schneider Weitling gegenüber entfaltet. Dieser erzürnt ihn
zunächst dadurch, daß er ihn als seinesgleichen behandelt; dann aber setzt er
ihn durch das Geständniß außer Fassung, er habe früher im Gefängniß gesessen
und zwar an Ketten. Da geht der seine Mann in sich und kommt zu der Er¬
kenntniß, daß man mit solchen Halunken nicht umgehen dürfe. Wohlgefällig
bemerkt er dazu, daß doch ein seltsamer Widerspruch in seinem Wesen wäre.
Er habe doch die Ketten von den Händen des Schneider Johann Bockhold und die
Zangen, mit denen man ihn gezwickt, geküßt und als Reliquien verehrt; aber
mit dem lebendigen Schneider, der an Ketten gelegen, habe er nichts zu thun
haben wollen. Dieser Widerspruch mag noch hingehen, denn ein Romantiker
hat seine Einbildungskraft anderwärts als seinen Verstand und sein Herz; aber
ein anderer viel näher liegender Widerspruch ist ihm entgangen. Eine Seite
vorher erzählt er von einem preußischen Regierungsrath, der auch das Schick¬
sal Weitlings getheilt, und hier stellt sich keine Spur von jenem aristokratischen
Widerwillen ein. Also ist es nicht der politische Verbrecher, der seine Phan¬
tasie unangenehm berührt, sondern der Schneider. Dagegen wäre an sich
nichts zu sagen, wenn er es offen auöspräche; aber für den Leser, dessen
Phantasie beim Gefängniß zunächst an Diebstahl, Mord und Raub denkt,
vielleicht auch für seine eigne Phantasie, stellt er es so dar, als habe die
Ideenassociation mit Diebstahl u. dergl., ihn abgeschreckt, und das ist eine von


Sehr richtig schildert er auch dies Mal sein Verhältniß zu der deutschen
Philosophie. „Auch ich gehörte zu jenen frivolen Starkgeistem, die in der
Mehrzahl den liberalen großen Herren glichen, welche vor der Revolution
die Langeweile ihres eintönigen Hoflebens durch den Reiz neuer subversiver
Ideen zu unterbrechen suchten. Aber als ich bemerkte, daß diese Fragen auch
in den Kneipen discutirt wurden, wo an die Stelle der Armleuchter und
Wachslichter das Talglicht trat, als der Atheismus anfing, nach Talg, Schnaps
und Tabak zu riechen, da wurden meine Augen klar und ich entsagte dem
Atheismus."

Diese Darstellung ist vollkommen richtig, wohlgemerkt, wenn man den Ver¬
gleich zwischen Heine und den liberalen Seigneurs. nicht über diesen einen
bestimmten Punkt ausdehnt. Denn sonst hat Heine vom Aristokraten und vom
vornehmen Herren nicht das Geringste; er ist ein feiner Kopf, voll der glän¬
zendsten Gaben der Phantasie, aber er ist durch und durch Parvenu, der
Mann aus niederen Ständen, der im Handschuh und gezierten Wesen und
dergleichen den jungen Herrn nachäfft, die er früher im Laden bedient.. Der vor¬
nehme Mann wird nicht aufhören, es zu sein, auch in der schlechtesten Klei¬
dung, im schlechtesten Hause, denn vornehm ist, wer fest und sicher auf sich
selbst ruht.

Höchst ergötzlich ist auch die Art und Weise, wie er seine aristokratische
Gesinnung dem Schneider Weitling gegenüber entfaltet. Dieser erzürnt ihn
zunächst dadurch, daß er ihn als seinesgleichen behandelt; dann aber setzt er
ihn durch das Geständniß außer Fassung, er habe früher im Gefängniß gesessen
und zwar an Ketten. Da geht der seine Mann in sich und kommt zu der Er¬
kenntniß, daß man mit solchen Halunken nicht umgehen dürfe. Wohlgefällig
bemerkt er dazu, daß doch ein seltsamer Widerspruch in seinem Wesen wäre.
Er habe doch die Ketten von den Händen des Schneider Johann Bockhold und die
Zangen, mit denen man ihn gezwickt, geküßt und als Reliquien verehrt; aber
mit dem lebendigen Schneider, der an Ketten gelegen, habe er nichts zu thun
haben wollen. Dieser Widerspruch mag noch hingehen, denn ein Romantiker
hat seine Einbildungskraft anderwärts als seinen Verstand und sein Herz; aber
ein anderer viel näher liegender Widerspruch ist ihm entgangen. Eine Seite
vorher erzählt er von einem preußischen Regierungsrath, der auch das Schick¬
sal Weitlings getheilt, und hier stellt sich keine Spur von jenem aristokratischen
Widerwillen ein. Also ist es nicht der politische Verbrecher, der seine Phan¬
tasie unangenehm berührt, sondern der Schneider. Dagegen wäre an sich
nichts zu sagen, wenn er es offen auöspräche; aber für den Leser, dessen
Phantasie beim Gefängniß zunächst an Diebstahl, Mord und Raub denkt,
vielleicht auch für seine eigne Phantasie, stellt er es so dar, als habe die
Ideenassociation mit Diebstahl u. dergl., ihn abgeschreckt, und das ist eine von


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[0077] Sehr richtig schildert er auch dies Mal sein Verhältniß zu der deutschen Philosophie. „Auch ich gehörte zu jenen frivolen Starkgeistem, die in der Mehrzahl den liberalen großen Herren glichen, welche vor der Revolution die Langeweile ihres eintönigen Hoflebens durch den Reiz neuer subversiver Ideen zu unterbrechen suchten. Aber als ich bemerkte, daß diese Fragen auch in den Kneipen discutirt wurden, wo an die Stelle der Armleuchter und Wachslichter das Talglicht trat, als der Atheismus anfing, nach Talg, Schnaps und Tabak zu riechen, da wurden meine Augen klar und ich entsagte dem Atheismus." Diese Darstellung ist vollkommen richtig, wohlgemerkt, wenn man den Ver¬ gleich zwischen Heine und den liberalen Seigneurs. nicht über diesen einen bestimmten Punkt ausdehnt. Denn sonst hat Heine vom Aristokraten und vom vornehmen Herren nicht das Geringste; er ist ein feiner Kopf, voll der glän¬ zendsten Gaben der Phantasie, aber er ist durch und durch Parvenu, der Mann aus niederen Ständen, der im Handschuh und gezierten Wesen und dergleichen den jungen Herrn nachäfft, die er früher im Laden bedient.. Der vor¬ nehme Mann wird nicht aufhören, es zu sein, auch in der schlechtesten Klei¬ dung, im schlechtesten Hause, denn vornehm ist, wer fest und sicher auf sich selbst ruht. Höchst ergötzlich ist auch die Art und Weise, wie er seine aristokratische Gesinnung dem Schneider Weitling gegenüber entfaltet. Dieser erzürnt ihn zunächst dadurch, daß er ihn als seinesgleichen behandelt; dann aber setzt er ihn durch das Geständniß außer Fassung, er habe früher im Gefängniß gesessen und zwar an Ketten. Da geht der seine Mann in sich und kommt zu der Er¬ kenntniß, daß man mit solchen Halunken nicht umgehen dürfe. Wohlgefällig bemerkt er dazu, daß doch ein seltsamer Widerspruch in seinem Wesen wäre. Er habe doch die Ketten von den Händen des Schneider Johann Bockhold und die Zangen, mit denen man ihn gezwickt, geküßt und als Reliquien verehrt; aber mit dem lebendigen Schneider, der an Ketten gelegen, habe er nichts zu thun haben wollen. Dieser Widerspruch mag noch hingehen, denn ein Romantiker hat seine Einbildungskraft anderwärts als seinen Verstand und sein Herz; aber ein anderer viel näher liegender Widerspruch ist ihm entgangen. Eine Seite vorher erzählt er von einem preußischen Regierungsrath, der auch das Schick¬ sal Weitlings getheilt, und hier stellt sich keine Spur von jenem aristokratischen Widerwillen ein. Also ist es nicht der politische Verbrecher, der seine Phan¬ tasie unangenehm berührt, sondern der Schneider. Dagegen wäre an sich nichts zu sagen, wenn er es offen auöspräche; aber für den Leser, dessen Phantasie beim Gefängniß zunächst an Diebstahl, Mord und Raub denkt, vielleicht auch für seine eigne Phantasie, stellt er es so dar, als habe die Ideenassociation mit Diebstahl u. dergl., ihn abgeschreckt, und das ist eine von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/77>, abgerufen am 24.08.2024.