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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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werth gemacht, da sie jetzt nur wie Ercurse aussehen. Es kommt noch ein
zweiter Uebelstand hinzu. Bei einer Reisebeschreibung, die doch einen wesentlich
subjectiven Charakter hat, läßt man es sich gefallen, wenn der Verfasser Ueber¬
zeugungen, die von den gewöhnlichen Ansichten bedeutend abweichen, mit Be¬
stimmtheit aufstellt, und sich die weitere Begründung vorbehält. Bei einem
objectiven Handbuch dagegen reicht diese Methode nicht aus. Wenn man sich
in einem solchen auf Polemik einläßt, was freilich nicht immer zu vermeiden
sein dürfte, so muß diese Polemik in streng wissenschaftlicher Form gehalten
werden. Herr Stahr stellt bei seiner Ansicht über die alte Kunstgeschichte zwei
Grundsätze fest, erstens, daß die Griechen die Kunst aus dem Orient über¬
kommen haben, zweitens, daß die griechische Kunst von Perikles bis auf Kaiser
Hadrian im wesentlichen sich gleich geblieben ist, und daß die gewöhnliche
Ansicht von verschiedenen Perioden, namentlich von einer langen Periode des
Verfalls, auf Mißverständnissen beruht. In beiden Grundsätzen kommt er mit
sehr gewichtigen Autoritäten in Conflict, und nimmt es, wie es wenigstens
uns scheint, mit der Polemik zu leicht; umsomehr, da er die Waffe deS Spotts
benutzt. Ein solcher Spott findet zu jeder Zeit leicht Anklang, da der Un¬
wissende sich für das Gefühl unvollkommener Bildung an dem Gelehrten gern
durch Hervorhebung seiner lächerlichen Seiten rächt. Wenn nun aber ein
wissenschaftlich gebildeter Mann wie Herr Stahr, der von dem Ernst und der
Bedeutung des strengwissenschaftlichen Studiums sehr wohl unterrichtet ist, das
verdienstliche Werk unternimmt, die Errungenschaften unsrer Gelehrsamkeit dem
größeren Publicum zu vermitteln, so scheint es uns zweckmäßiger zu sein, dem¬
selben die Art und Weise der gelehrten Thätigkeit verständlich und dadurch ehr¬
würdig zu machen, als durch geläufige Kategorien, wie Stubensitzer und der¬
gleichen, den gemeinen Vorstellungen in die Hände zu arbeiten. Außer den
Herren Thiersch und Rost, die Herr Stahr als seine Gewährsmänner anführt,
hat noch so mancher andre unter unsren Gelehrten das Alterthum aus eigner
Anschauung kennen gelernt und daraus entgegengesetzte Ansichten gewonnen
als jene beiden Herren, und daß bei der großen Verbreitung der alten Kunst¬
werke durch Abbildungen, Abgüsse und dergleichen, sowie bei den andern Hilfs¬
mitteln der Gelehrsamkeit eine Localinspectivn nothwendig ist, um ein Urtheil
über die Entwicklung der Kunst zu fällen, das wäre noch erst zu erweisen; we¬
nigstens wenn man die Eilfertigkeit in Betracht zieht, mit der die neuesten eng¬
lischen Reisenden Entdeckungen über das Zeitalter des Königs Ninus machen,-
wobei ihnen dann zuweilen das Geständniß entschlüpft, daß sie es bei einzelnen
Werken dahingestellt lassen müssen, ob sie der Semiramis oder den Seleuciden
angehören, so sollte man wol zuweilen zu der Muthmaßung kommen, daß auch
die Localinspection, so großen Werth man ihr beilegen muß, doch an sich noch
nicht ausreicht, um ein ruhiges und besonnenes Urtheil zu begründen.


werth gemacht, da sie jetzt nur wie Ercurse aussehen. Es kommt noch ein
zweiter Uebelstand hinzu. Bei einer Reisebeschreibung, die doch einen wesentlich
subjectiven Charakter hat, läßt man es sich gefallen, wenn der Verfasser Ueber¬
zeugungen, die von den gewöhnlichen Ansichten bedeutend abweichen, mit Be¬
stimmtheit aufstellt, und sich die weitere Begründung vorbehält. Bei einem
objectiven Handbuch dagegen reicht diese Methode nicht aus. Wenn man sich
in einem solchen auf Polemik einläßt, was freilich nicht immer zu vermeiden
sein dürfte, so muß diese Polemik in streng wissenschaftlicher Form gehalten
werden. Herr Stahr stellt bei seiner Ansicht über die alte Kunstgeschichte zwei
Grundsätze fest, erstens, daß die Griechen die Kunst aus dem Orient über¬
kommen haben, zweitens, daß die griechische Kunst von Perikles bis auf Kaiser
Hadrian im wesentlichen sich gleich geblieben ist, und daß die gewöhnliche
Ansicht von verschiedenen Perioden, namentlich von einer langen Periode des
Verfalls, auf Mißverständnissen beruht. In beiden Grundsätzen kommt er mit
sehr gewichtigen Autoritäten in Conflict, und nimmt es, wie es wenigstens
uns scheint, mit der Polemik zu leicht; umsomehr, da er die Waffe deS Spotts
benutzt. Ein solcher Spott findet zu jeder Zeit leicht Anklang, da der Un¬
wissende sich für das Gefühl unvollkommener Bildung an dem Gelehrten gern
durch Hervorhebung seiner lächerlichen Seiten rächt. Wenn nun aber ein
wissenschaftlich gebildeter Mann wie Herr Stahr, der von dem Ernst und der
Bedeutung des strengwissenschaftlichen Studiums sehr wohl unterrichtet ist, das
verdienstliche Werk unternimmt, die Errungenschaften unsrer Gelehrsamkeit dem
größeren Publicum zu vermitteln, so scheint es uns zweckmäßiger zu sein, dem¬
selben die Art und Weise der gelehrten Thätigkeit verständlich und dadurch ehr¬
würdig zu machen, als durch geläufige Kategorien, wie Stubensitzer und der¬
gleichen, den gemeinen Vorstellungen in die Hände zu arbeiten. Außer den
Herren Thiersch und Rost, die Herr Stahr als seine Gewährsmänner anführt,
hat noch so mancher andre unter unsren Gelehrten das Alterthum aus eigner
Anschauung kennen gelernt und daraus entgegengesetzte Ansichten gewonnen
als jene beiden Herren, und daß bei der großen Verbreitung der alten Kunst¬
werke durch Abbildungen, Abgüsse und dergleichen, sowie bei den andern Hilfs¬
mitteln der Gelehrsamkeit eine Localinspectivn nothwendig ist, um ein Urtheil
über die Entwicklung der Kunst zu fällen, das wäre noch erst zu erweisen; we¬
nigstens wenn man die Eilfertigkeit in Betracht zieht, mit der die neuesten eng¬
lischen Reisenden Entdeckungen über das Zeitalter des Königs Ninus machen,-
wobei ihnen dann zuweilen das Geständniß entschlüpft, daß sie es bei einzelnen
Werken dahingestellt lassen müssen, ob sie der Semiramis oder den Seleuciden
angehören, so sollte man wol zuweilen zu der Muthmaßung kommen, daß auch
die Localinspection, so großen Werth man ihr beilegen muß, doch an sich noch
nicht ausreicht, um ein ruhiges und besonnenes Urtheil zu begründen.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/61>, abgerufen am 22.07.2024.