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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Nation entsprachen die Spiegelbilder dieses Lebens, die Götter. Sie wurden
in diesem Processe persönlicher, sie erhielten eine Geschichte, aber sie wurden
zugleich aus vorwiegend friedlichen Wesen zu finstern blutigen Gestalten.
Wuotan, einst als leuchtende, segnende Himmclsmacht angestaunt, dann denk'
licher als Geber der Feldfrucht und aller dem Ackerbau entsprießenden Wohl¬
thaten verehrt, wurde zum persönlichen Ausdrucke der heranstürmenden Kriegs--
wuth. Donar, sein Sohn, bekämpfte nicht blos die Elementarriesen mehr,
sonder" schmetterte auch mit den donnerkeilförmigen Heeresspitzen die Reihen
der Feinde nieder. Der milde, reichthumverleihende Fro trat in den Hinter¬
grund, um dem schrecklichen Würger Ziu, dem Gotte deS Schwertes, Platz zu
machen. Balder, der Unschuldige und Gerechte, mußte sterben vor der Treu¬
losigkeit, der Gier und dem Grimm, welche im Gefolge des Krieges sich des
vorher harmlosen Volksgeistes bemächtigten. Auch die niedern Gottheiten
verwilderten. Eine Welt voll Dämonen bevölkerte Feld und Wald, und schon
in diese Zeit fallen die Anfänge des spätern Zauberwesens. Edleren Gemüthern
mußte dieser Zustand unerträglich sein, und so entwickelte sich allmälig der
grausige Gedanke des einstigen Untergangs der Welt sammt den Göttern.

Indeß waren Erinnerungen des vormaligen friedsamen Wesens der Götter¬
welt geblieben, grade so und in demselben Maße, wie im Volke der Sinn für
seßhaftes Leben und Feldbau geblieben war. Noch trug Wuotan den grauen
flatternden Mantel und den breiten Hut, die den Wolkenhimmel bedeuteten, und
noch war das Rad, das Symbol der Sonne, sein Attribut. Noch spendete
Thor heilkräftige Kräuter. Noch zog hin und wieder Fro die Saaten segnend
durch das Land. Noch stand die weiße Bertha und Frau Holle den Flachs¬
feldern und den Spinnstuben vor, und noch immer feierte man den Früh¬
lingsanfang und die beiden Sonnenwenden, den Mittsommertag und das
Julfest.

In dieser Gestalt, als eine Verschmelzung der drei soeben bezeichneten
Phasen, wurde das deutsche Heidenthum von dem Christenthume angegriffen
und überwunden. Die alte, trotz ihrer Erkrankung- noch geliebte Religion
wurde von ihm nur unterjocht, nicht aber aus dem Herzen vertilgt. Die Ver¬
künder des Evangeliums konnten die Göttereichen fällen, die Schößlinge aber,
welche deren Wurzeln unter dem statt ihrer aufgepflanzten Kreuze trieben, ließen
sie im allgemeinen unangetastet. Sie fanden in den Göttern, die sie zu ver¬
drängen kamen, wilde und milde Züge. Die einen verwandelten sie in Teufel
und Spukgestalten. Die andern waren unschädlich, und so konnte die Geist¬
lichkeit sichs gefallen lassen, wenn das Volk sich ihren Fortbesitz dadurch sicherte,
daß' es> ihnen christliche Attribute und Namen gab und den Mythen von ihnen
ein christliches Colorit verlieh; ja selbst unter dem alten Namen ließ man ihnen
Duldung angedeihen, wofern sie nur nicht mit dem Anspruch auf göttliche


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Nation entsprachen die Spiegelbilder dieses Lebens, die Götter. Sie wurden
in diesem Processe persönlicher, sie erhielten eine Geschichte, aber sie wurden
zugleich aus vorwiegend friedlichen Wesen zu finstern blutigen Gestalten.
Wuotan, einst als leuchtende, segnende Himmclsmacht angestaunt, dann denk'
licher als Geber der Feldfrucht und aller dem Ackerbau entsprießenden Wohl¬
thaten verehrt, wurde zum persönlichen Ausdrucke der heranstürmenden Kriegs--
wuth. Donar, sein Sohn, bekämpfte nicht blos die Elementarriesen mehr,
sonder» schmetterte auch mit den donnerkeilförmigen Heeresspitzen die Reihen
der Feinde nieder. Der milde, reichthumverleihende Fro trat in den Hinter¬
grund, um dem schrecklichen Würger Ziu, dem Gotte deS Schwertes, Platz zu
machen. Balder, der Unschuldige und Gerechte, mußte sterben vor der Treu¬
losigkeit, der Gier und dem Grimm, welche im Gefolge des Krieges sich des
vorher harmlosen Volksgeistes bemächtigten. Auch die niedern Gottheiten
verwilderten. Eine Welt voll Dämonen bevölkerte Feld und Wald, und schon
in diese Zeit fallen die Anfänge des spätern Zauberwesens. Edleren Gemüthern
mußte dieser Zustand unerträglich sein, und so entwickelte sich allmälig der
grausige Gedanke des einstigen Untergangs der Welt sammt den Göttern.

Indeß waren Erinnerungen des vormaligen friedsamen Wesens der Götter¬
welt geblieben, grade so und in demselben Maße, wie im Volke der Sinn für
seßhaftes Leben und Feldbau geblieben war. Noch trug Wuotan den grauen
flatternden Mantel und den breiten Hut, die den Wolkenhimmel bedeuteten, und
noch war das Rad, das Symbol der Sonne, sein Attribut. Noch spendete
Thor heilkräftige Kräuter. Noch zog hin und wieder Fro die Saaten segnend
durch das Land. Noch stand die weiße Bertha und Frau Holle den Flachs¬
feldern und den Spinnstuben vor, und noch immer feierte man den Früh¬
lingsanfang und die beiden Sonnenwenden, den Mittsommertag und das
Julfest.

In dieser Gestalt, als eine Verschmelzung der drei soeben bezeichneten
Phasen, wurde das deutsche Heidenthum von dem Christenthume angegriffen
und überwunden. Die alte, trotz ihrer Erkrankung- noch geliebte Religion
wurde von ihm nur unterjocht, nicht aber aus dem Herzen vertilgt. Die Ver¬
künder des Evangeliums konnten die Göttereichen fällen, die Schößlinge aber,
welche deren Wurzeln unter dem statt ihrer aufgepflanzten Kreuze trieben, ließen
sie im allgemeinen unangetastet. Sie fanden in den Göttern, die sie zu ver¬
drängen kamen, wilde und milde Züge. Die einen verwandelten sie in Teufel
und Spukgestalten. Die andern waren unschädlich, und so konnte die Geist¬
lichkeit sichs gefallen lassen, wenn das Volk sich ihren Fortbesitz dadurch sicherte,
daß' es> ihnen christliche Attribute und Namen gab und den Mythen von ihnen
ein christliches Colorit verlieh; ja selbst unter dem alten Namen ließ man ihnen
Duldung angedeihen, wofern sie nur nicht mit dem Anspruch auf göttliche


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[0491] Nation entsprachen die Spiegelbilder dieses Lebens, die Götter. Sie wurden in diesem Processe persönlicher, sie erhielten eine Geschichte, aber sie wurden zugleich aus vorwiegend friedlichen Wesen zu finstern blutigen Gestalten. Wuotan, einst als leuchtende, segnende Himmclsmacht angestaunt, dann denk' licher als Geber der Feldfrucht und aller dem Ackerbau entsprießenden Wohl¬ thaten verehrt, wurde zum persönlichen Ausdrucke der heranstürmenden Kriegs-- wuth. Donar, sein Sohn, bekämpfte nicht blos die Elementarriesen mehr, sonder» schmetterte auch mit den donnerkeilförmigen Heeresspitzen die Reihen der Feinde nieder. Der milde, reichthumverleihende Fro trat in den Hinter¬ grund, um dem schrecklichen Würger Ziu, dem Gotte deS Schwertes, Platz zu machen. Balder, der Unschuldige und Gerechte, mußte sterben vor der Treu¬ losigkeit, der Gier und dem Grimm, welche im Gefolge des Krieges sich des vorher harmlosen Volksgeistes bemächtigten. Auch die niedern Gottheiten verwilderten. Eine Welt voll Dämonen bevölkerte Feld und Wald, und schon in diese Zeit fallen die Anfänge des spätern Zauberwesens. Edleren Gemüthern mußte dieser Zustand unerträglich sein, und so entwickelte sich allmälig der grausige Gedanke des einstigen Untergangs der Welt sammt den Göttern. Indeß waren Erinnerungen des vormaligen friedsamen Wesens der Götter¬ welt geblieben, grade so und in demselben Maße, wie im Volke der Sinn für seßhaftes Leben und Feldbau geblieben war. Noch trug Wuotan den grauen flatternden Mantel und den breiten Hut, die den Wolkenhimmel bedeuteten, und noch war das Rad, das Symbol der Sonne, sein Attribut. Noch spendete Thor heilkräftige Kräuter. Noch zog hin und wieder Fro die Saaten segnend durch das Land. Noch stand die weiße Bertha und Frau Holle den Flachs¬ feldern und den Spinnstuben vor, und noch immer feierte man den Früh¬ lingsanfang und die beiden Sonnenwenden, den Mittsommertag und das Julfest. In dieser Gestalt, als eine Verschmelzung der drei soeben bezeichneten Phasen, wurde das deutsche Heidenthum von dem Christenthume angegriffen und überwunden. Die alte, trotz ihrer Erkrankung- noch geliebte Religion wurde von ihm nur unterjocht, nicht aber aus dem Herzen vertilgt. Die Ver¬ künder des Evangeliums konnten die Göttereichen fällen, die Schößlinge aber, welche deren Wurzeln unter dem statt ihrer aufgepflanzten Kreuze trieben, ließen sie im allgemeinen unangetastet. Sie fanden in den Göttern, die sie zu ver¬ drängen kamen, wilde und milde Züge. Die einen verwandelten sie in Teufel und Spukgestalten. Die andern waren unschädlich, und so konnte die Geist¬ lichkeit sichs gefallen lassen, wenn das Volk sich ihren Fortbesitz dadurch sicherte, daß' es> ihnen christliche Attribute und Namen gab und den Mythen von ihnen ein christliches Colorit verlieh; ja selbst unter dem alten Namen ließ man ihnen Duldung angedeihen, wofern sie nur nicht mit dem Anspruch auf göttliche 61 *

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/491>, abgerufen am 06.01.2025.