Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

größte Theil desselben ist verstümmelter, verwandelter, verdunkelter Rest der
Religion, die vor der christlichen unter den deutschen Stämmen herrschte, ist
Nachhall des alten Heidenthums, als "Bciglaube" neben dem siegreichen
Christenthume geblieben, ja in einigen Beziehungen sogar in die Erscheinungen
desselben verschmolzen.

Die Religion der germanischen Völker war in der Urzeit unzweifelhaft das,
was die Anfänge alles Heidenthums ausmacht, ein Anstaunen der Elementar-
inächte, ein Gefühl der Abhängigkeit von der Natur. Man verehrte den
Sturm, der die Wolken über den Wald jagte und zugleich aus diesen Wolken
fruchtbaren Regen spendete. Man betrachtete mit Wonne und doch wieder
mit ehrfurchtsvoller Scheu die Sonne, die hoch über den-Häuptern der Men¬
schen, unnahbar, klar und rein, mit ihrem Lichte und ihrer Wärme allenthalben
Leben weckend am Himmel dahinzog. Man sah mit Zagen das Gewitter mit
seinem Strahle mächtige Bäume spalten und hörte bebend zu, wenn seine
grimme Donnerstimme durch die Thaler rollte. Aus dem Anstaunen wurde
allmälig ein Anbeten, aus den Kräften entstanden Personen., aus den Ge¬
stirnen und Elementen traten Götter hervor, die einen Charakter und Attribute
hatten.

Das Wesen dieser Götter war anfangs noch sehr wenig von ihrer phy¬
sikalischen Basis unterschieben, noch sehr einfach, noch ohne Geschichte wie das
Volk, das sie anbetete, und dessen Spiegelbild sie zu werden begannen. Die
Götter der germanischen Urzeit waren als Götter ackerbautreibender Stämme
in der Hauptsache Wesen, welche die Arbeit des Pflügers und Säemanns
segneten. Man verehrte Wuotan, den Gott des Himmels mit seinen Winden
und seinen jagenden Wolken, vor allem aber mit seiner segnenden Sonne.
Man betete zu Donar, dem Götte des Gewitters, der ein Bekämpfer der als
Niesen vorgestellten Mächte des Winters war. Man opferte Fru, dem Spender
des Getreides, dessen Attribut, der gvldbvrstige Eber, daS Feld mit den reifen
Halmen versinnbildete. Man hatte sich aus der Vorstellung von der frucht¬
gebärenden Erde das Bild einer Göttin entwickelt, die bald als Saatbewahrerin,
bald' als Beschützerin des Haushalts, bald als Herrscherin der Todten, allent¬
halben aber als Gemahlin des Sonnen- und Himmelsgottes auftritt.

Aber die Zeit kam, wo aus dem Idyll, welches das deutsche Volk bis
dahin dargelebt, eine Tragödie wurde. Die Kriege mit dem Römerthum be¬
gannen. Einzelne Stämme gingen unter, andere drängten nach. Von Osten
her brachen mit dem Ungestüm von ungebändigten Naturkräften wilde Horden
in den Lebenskreis der Germanen ein,-und derselbe that sich nach Westen zu
auf und ward aus einem vergleichsweise stillen Meere zum reißenden Strome.
Und wie auf Erden, so auch im Himmel; dem sich mehr und mehr verdüsternden,
dabei aber auch mehr und mehr ethischen. Gehalt aufnehmenden Leben der


größte Theil desselben ist verstümmelter, verwandelter, verdunkelter Rest der
Religion, die vor der christlichen unter den deutschen Stämmen herrschte, ist
Nachhall des alten Heidenthums, als „Bciglaube" neben dem siegreichen
Christenthume geblieben, ja in einigen Beziehungen sogar in die Erscheinungen
desselben verschmolzen.

Die Religion der germanischen Völker war in der Urzeit unzweifelhaft das,
was die Anfänge alles Heidenthums ausmacht, ein Anstaunen der Elementar-
inächte, ein Gefühl der Abhängigkeit von der Natur. Man verehrte den
Sturm, der die Wolken über den Wald jagte und zugleich aus diesen Wolken
fruchtbaren Regen spendete. Man betrachtete mit Wonne und doch wieder
mit ehrfurchtsvoller Scheu die Sonne, die hoch über den-Häuptern der Men¬
schen, unnahbar, klar und rein, mit ihrem Lichte und ihrer Wärme allenthalben
Leben weckend am Himmel dahinzog. Man sah mit Zagen das Gewitter mit
seinem Strahle mächtige Bäume spalten und hörte bebend zu, wenn seine
grimme Donnerstimme durch die Thaler rollte. Aus dem Anstaunen wurde
allmälig ein Anbeten, aus den Kräften entstanden Personen., aus den Ge¬
stirnen und Elementen traten Götter hervor, die einen Charakter und Attribute
hatten.

Das Wesen dieser Götter war anfangs noch sehr wenig von ihrer phy¬
sikalischen Basis unterschieben, noch sehr einfach, noch ohne Geschichte wie das
Volk, das sie anbetete, und dessen Spiegelbild sie zu werden begannen. Die
Götter der germanischen Urzeit waren als Götter ackerbautreibender Stämme
in der Hauptsache Wesen, welche die Arbeit des Pflügers und Säemanns
segneten. Man verehrte Wuotan, den Gott des Himmels mit seinen Winden
und seinen jagenden Wolken, vor allem aber mit seiner segnenden Sonne.
Man betete zu Donar, dem Götte des Gewitters, der ein Bekämpfer der als
Niesen vorgestellten Mächte des Winters war. Man opferte Fru, dem Spender
des Getreides, dessen Attribut, der gvldbvrstige Eber, daS Feld mit den reifen
Halmen versinnbildete. Man hatte sich aus der Vorstellung von der frucht¬
gebärenden Erde das Bild einer Göttin entwickelt, die bald als Saatbewahrerin,
bald' als Beschützerin des Haushalts, bald als Herrscherin der Todten, allent¬
halben aber als Gemahlin des Sonnen- und Himmelsgottes auftritt.

Aber die Zeit kam, wo aus dem Idyll, welches das deutsche Volk bis
dahin dargelebt, eine Tragödie wurde. Die Kriege mit dem Römerthum be¬
gannen. Einzelne Stämme gingen unter, andere drängten nach. Von Osten
her brachen mit dem Ungestüm von ungebändigten Naturkräften wilde Horden
in den Lebenskreis der Germanen ein,-und derselbe that sich nach Westen zu
auf und ward aus einem vergleichsweise stillen Meere zum reißenden Strome.
Und wie auf Erden, so auch im Himmel; dem sich mehr und mehr verdüsternden,
dabei aber auch mehr und mehr ethischen. Gehalt aufnehmenden Leben der


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0490" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/98804"/>
          <p xml:id="ID_1565" prev="#ID_1564"> größte Theil desselben ist verstümmelter, verwandelter, verdunkelter Rest der<lb/>
Religion, die vor der christlichen unter den deutschen Stämmen herrschte, ist<lb/>
Nachhall des alten Heidenthums, als &#x201E;Bciglaube" neben dem siegreichen<lb/>
Christenthume geblieben, ja in einigen Beziehungen sogar in die Erscheinungen<lb/>
desselben verschmolzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1566"> Die Religion der germanischen Völker war in der Urzeit unzweifelhaft das,<lb/>
was die Anfänge alles Heidenthums ausmacht, ein Anstaunen der Elementar-<lb/>
inächte, ein Gefühl der Abhängigkeit von der Natur. Man verehrte den<lb/>
Sturm, der die Wolken über den Wald jagte und zugleich aus diesen Wolken<lb/>
fruchtbaren Regen spendete. Man betrachtete mit Wonne und doch wieder<lb/>
mit ehrfurchtsvoller Scheu die Sonne, die hoch über den-Häuptern der Men¬<lb/>
schen, unnahbar, klar und rein, mit ihrem Lichte und ihrer Wärme allenthalben<lb/>
Leben weckend am Himmel dahinzog. Man sah mit Zagen das Gewitter mit<lb/>
seinem Strahle mächtige Bäume spalten und hörte bebend zu, wenn seine<lb/>
grimme Donnerstimme durch die Thaler rollte. Aus dem Anstaunen wurde<lb/>
allmälig ein Anbeten, aus den Kräften entstanden Personen., aus den Ge¬<lb/>
stirnen und Elementen traten Götter hervor, die einen Charakter und Attribute<lb/>
hatten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1567"> Das Wesen dieser Götter war anfangs noch sehr wenig von ihrer phy¬<lb/>
sikalischen Basis unterschieben, noch sehr einfach, noch ohne Geschichte wie das<lb/>
Volk, das sie anbetete, und dessen Spiegelbild sie zu werden begannen. Die<lb/>
Götter der germanischen Urzeit waren als Götter ackerbautreibender Stämme<lb/>
in der Hauptsache Wesen, welche die Arbeit des Pflügers und Säemanns<lb/>
segneten. Man verehrte Wuotan, den Gott des Himmels mit seinen Winden<lb/>
und seinen jagenden Wolken, vor allem aber mit seiner segnenden Sonne.<lb/>
Man betete zu Donar, dem Götte des Gewitters, der ein Bekämpfer der als<lb/>
Niesen vorgestellten Mächte des Winters war. Man opferte Fru, dem Spender<lb/>
des Getreides, dessen Attribut, der gvldbvrstige Eber, daS Feld mit den reifen<lb/>
Halmen versinnbildete. Man hatte sich aus der Vorstellung von der frucht¬<lb/>
gebärenden Erde das Bild einer Göttin entwickelt, die bald als Saatbewahrerin,<lb/>
bald' als Beschützerin des Haushalts, bald als Herrscherin der Todten, allent¬<lb/>
halben aber als Gemahlin des Sonnen- und Himmelsgottes auftritt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1568" next="#ID_1569"> Aber die Zeit kam, wo aus dem Idyll, welches das deutsche Volk bis<lb/>
dahin dargelebt, eine Tragödie wurde. Die Kriege mit dem Römerthum be¬<lb/>
gannen. Einzelne Stämme gingen unter, andere drängten nach. Von Osten<lb/>
her brachen mit dem Ungestüm von ungebändigten Naturkräften wilde Horden<lb/>
in den Lebenskreis der Germanen ein,-und derselbe that sich nach Westen zu<lb/>
auf und ward aus einem vergleichsweise stillen Meere zum reißenden Strome.<lb/>
Und wie auf Erden, so auch im Himmel; dem sich mehr und mehr verdüsternden,<lb/>
dabei aber auch mehr und mehr ethischen. Gehalt aufnehmenden Leben der</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0490] größte Theil desselben ist verstümmelter, verwandelter, verdunkelter Rest der Religion, die vor der christlichen unter den deutschen Stämmen herrschte, ist Nachhall des alten Heidenthums, als „Bciglaube" neben dem siegreichen Christenthume geblieben, ja in einigen Beziehungen sogar in die Erscheinungen desselben verschmolzen. Die Religion der germanischen Völker war in der Urzeit unzweifelhaft das, was die Anfänge alles Heidenthums ausmacht, ein Anstaunen der Elementar- inächte, ein Gefühl der Abhängigkeit von der Natur. Man verehrte den Sturm, der die Wolken über den Wald jagte und zugleich aus diesen Wolken fruchtbaren Regen spendete. Man betrachtete mit Wonne und doch wieder mit ehrfurchtsvoller Scheu die Sonne, die hoch über den-Häuptern der Men¬ schen, unnahbar, klar und rein, mit ihrem Lichte und ihrer Wärme allenthalben Leben weckend am Himmel dahinzog. Man sah mit Zagen das Gewitter mit seinem Strahle mächtige Bäume spalten und hörte bebend zu, wenn seine grimme Donnerstimme durch die Thaler rollte. Aus dem Anstaunen wurde allmälig ein Anbeten, aus den Kräften entstanden Personen., aus den Ge¬ stirnen und Elementen traten Götter hervor, die einen Charakter und Attribute hatten. Das Wesen dieser Götter war anfangs noch sehr wenig von ihrer phy¬ sikalischen Basis unterschieben, noch sehr einfach, noch ohne Geschichte wie das Volk, das sie anbetete, und dessen Spiegelbild sie zu werden begannen. Die Götter der germanischen Urzeit waren als Götter ackerbautreibender Stämme in der Hauptsache Wesen, welche die Arbeit des Pflügers und Säemanns segneten. Man verehrte Wuotan, den Gott des Himmels mit seinen Winden und seinen jagenden Wolken, vor allem aber mit seiner segnenden Sonne. Man betete zu Donar, dem Götte des Gewitters, der ein Bekämpfer der als Niesen vorgestellten Mächte des Winters war. Man opferte Fru, dem Spender des Getreides, dessen Attribut, der gvldbvrstige Eber, daS Feld mit den reifen Halmen versinnbildete. Man hatte sich aus der Vorstellung von der frucht¬ gebärenden Erde das Bild einer Göttin entwickelt, die bald als Saatbewahrerin, bald' als Beschützerin des Haushalts, bald als Herrscherin der Todten, allent¬ halben aber als Gemahlin des Sonnen- und Himmelsgottes auftritt. Aber die Zeit kam, wo aus dem Idyll, welches das deutsche Volk bis dahin dargelebt, eine Tragödie wurde. Die Kriege mit dem Römerthum be¬ gannen. Einzelne Stämme gingen unter, andere drängten nach. Von Osten her brachen mit dem Ungestüm von ungebändigten Naturkräften wilde Horden in den Lebenskreis der Germanen ein,-und derselbe that sich nach Westen zu auf und ward aus einem vergleichsweise stillen Meere zum reißenden Strome. Und wie auf Erden, so auch im Himmel; dem sich mehr und mehr verdüsternden, dabei aber auch mehr und mehr ethischen. Gehalt aufnehmenden Leben der

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/490
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/490>, abgerufen am 22.07.2024.