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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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drängen und die Unzufriedenheit immermehr nähren, jeweiliger ihnen Spiel¬
raum für eigne productive Thätigkeit gegeben ist.

Weit entfernt, daß die östreichische Regierung das Erwachen eines poli¬
tischen, patriotischen, östreichischen Lebens im Volk zu fürchten hätte, sollte
sie dasselbe vielmehr aus allen Kräften befördern, denn es ist die einzige Ga¬
rantie, die sie für die Fortdauer ihres Princips gewinnen kann. Sie soll ein
Volk nicht voraussetzen, sondern sie soll es gewissermaßen schaffen, indem sie
es constituirt und ihm die Richtung gibt. Man erinnere sich, doch nur an die
Geschichte der frühern Zeit. Oestreichs politische Haltung war in den Jahren
1795--1812 gewiß viel anerkennenswerther, als die Haltung Preußens. Der
Patriotismus seiner Staatsbürger war nicht minder groß, und in der Zeit
der Freiheitskriege blieb es wenigstens hinter seinen Stammverwandten nicht
zurück. Nun folgte unter der Regierung des Fürsten Metternich eine Reihe
von Friedensjahren, die sich über eine ganze Generation hinzogen und in
denen man eine gedeihliche Entwicklung umsveher hätte erwarten mögen, da
Fürst Metternich zu den talentvollsten Staatsmännern gehörte und auch per¬
sönlich nicht ohne Wohlwollen war. Statt dessen mußte man im Jahr 1848
erkennen, daß die Fundamente des Staatsgebäudes unterwühlt waren. Eine
Hand erhob sich gegen die andere, die wahnsinnigsten Entwürfe durchkreuzten
sich und niemand konnte mit Gewißheit behaupten, daß er nach Ablauf eines
Monats noch bei den nämlichen Ueberzeugungen bleiben würde. In einer so
aufgeregten, völlig haltlosen Periode eine organische Verfassung feststellen zu
wollen, ist freilich eine Thorheit, und es war vollkommen richtig, ,daß man
sich zuletzt darauf resignirte, den Staat militärisch herzustellen und die Ver-
fassungsprojecte, mit denen doch nichts anzufangen war, über den Haufen zu
werfen. Aber dabei, darf es nicht stehen bleiben, sonst kehren in einem drang¬
vollen Augenblick die alten bösen Zustände zurück, nur noch dadurch verschlim¬
mert, daß alsdann alle constituirten Gewalten gebrochen, alle Mittel der
Selbsthilfe aus dem Volke gewichen sein werden. In diesem Augenblick übt
die glänzende Persönlichkeit des jungen Kaisers, übt die feste Haltung der
Regierung, übt die nationale Richtung der Politik einen mächtigen Einfluß
aus. Aber diese Einflüsse sind doch ihrer Natur nach nur momentan, und will
die Regierung ihrem großen Werk, der Umwandlung der östreichischen Länder¬
masse in einen östreichischen Staat, Dauer zusichern, so muß sie das Volk
dabei betheiligen, sie muß das Volk zu einer Nation umwandeln. Sie hat
bisher, was für jede reformirende Regierung nothwendig ist, ein starkes Ver¬
trauen zu sich selbst entwickelt; möge sie jetzt auch Vertrauen zu ihrem Volke
zeigen, das dieses Vertrauen wahrlich verdient; dann wird Oestreich auch in
Deutschland eine ganz andere Rolle spielen können, und der nothwendige und
natürliche Wetteifer mit Preußen um den Einfluß in Deutschland, der sich


drängen und die Unzufriedenheit immermehr nähren, jeweiliger ihnen Spiel¬
raum für eigne productive Thätigkeit gegeben ist.

Weit entfernt, daß die östreichische Regierung das Erwachen eines poli¬
tischen, patriotischen, östreichischen Lebens im Volk zu fürchten hätte, sollte
sie dasselbe vielmehr aus allen Kräften befördern, denn es ist die einzige Ga¬
rantie, die sie für die Fortdauer ihres Princips gewinnen kann. Sie soll ein
Volk nicht voraussetzen, sondern sie soll es gewissermaßen schaffen, indem sie
es constituirt und ihm die Richtung gibt. Man erinnere sich, doch nur an die
Geschichte der frühern Zeit. Oestreichs politische Haltung war in den Jahren
1795—1812 gewiß viel anerkennenswerther, als die Haltung Preußens. Der
Patriotismus seiner Staatsbürger war nicht minder groß, und in der Zeit
der Freiheitskriege blieb es wenigstens hinter seinen Stammverwandten nicht
zurück. Nun folgte unter der Regierung des Fürsten Metternich eine Reihe
von Friedensjahren, die sich über eine ganze Generation hinzogen und in
denen man eine gedeihliche Entwicklung umsveher hätte erwarten mögen, da
Fürst Metternich zu den talentvollsten Staatsmännern gehörte und auch per¬
sönlich nicht ohne Wohlwollen war. Statt dessen mußte man im Jahr 1848
erkennen, daß die Fundamente des Staatsgebäudes unterwühlt waren. Eine
Hand erhob sich gegen die andere, die wahnsinnigsten Entwürfe durchkreuzten
sich und niemand konnte mit Gewißheit behaupten, daß er nach Ablauf eines
Monats noch bei den nämlichen Ueberzeugungen bleiben würde. In einer so
aufgeregten, völlig haltlosen Periode eine organische Verfassung feststellen zu
wollen, ist freilich eine Thorheit, und es war vollkommen richtig, ,daß man
sich zuletzt darauf resignirte, den Staat militärisch herzustellen und die Ver-
fassungsprojecte, mit denen doch nichts anzufangen war, über den Haufen zu
werfen. Aber dabei, darf es nicht stehen bleiben, sonst kehren in einem drang¬
vollen Augenblick die alten bösen Zustände zurück, nur noch dadurch verschlim¬
mert, daß alsdann alle constituirten Gewalten gebrochen, alle Mittel der
Selbsthilfe aus dem Volke gewichen sein werden. In diesem Augenblick übt
die glänzende Persönlichkeit des jungen Kaisers, übt die feste Haltung der
Regierung, übt die nationale Richtung der Politik einen mächtigen Einfluß
aus. Aber diese Einflüsse sind doch ihrer Natur nach nur momentan, und will
die Regierung ihrem großen Werk, der Umwandlung der östreichischen Länder¬
masse in einen östreichischen Staat, Dauer zusichern, so muß sie das Volk
dabei betheiligen, sie muß das Volk zu einer Nation umwandeln. Sie hat
bisher, was für jede reformirende Regierung nothwendig ist, ein starkes Ver¬
trauen zu sich selbst entwickelt; möge sie jetzt auch Vertrauen zu ihrem Volke
zeigen, das dieses Vertrauen wahrlich verdient; dann wird Oestreich auch in
Deutschland eine ganz andere Rolle spielen können, und der nothwendige und
natürliche Wetteifer mit Preußen um den Einfluß in Deutschland, der sich


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[0458] drängen und die Unzufriedenheit immermehr nähren, jeweiliger ihnen Spiel¬ raum für eigne productive Thätigkeit gegeben ist. Weit entfernt, daß die östreichische Regierung das Erwachen eines poli¬ tischen, patriotischen, östreichischen Lebens im Volk zu fürchten hätte, sollte sie dasselbe vielmehr aus allen Kräften befördern, denn es ist die einzige Ga¬ rantie, die sie für die Fortdauer ihres Princips gewinnen kann. Sie soll ein Volk nicht voraussetzen, sondern sie soll es gewissermaßen schaffen, indem sie es constituirt und ihm die Richtung gibt. Man erinnere sich, doch nur an die Geschichte der frühern Zeit. Oestreichs politische Haltung war in den Jahren 1795—1812 gewiß viel anerkennenswerther, als die Haltung Preußens. Der Patriotismus seiner Staatsbürger war nicht minder groß, und in der Zeit der Freiheitskriege blieb es wenigstens hinter seinen Stammverwandten nicht zurück. Nun folgte unter der Regierung des Fürsten Metternich eine Reihe von Friedensjahren, die sich über eine ganze Generation hinzogen und in denen man eine gedeihliche Entwicklung umsveher hätte erwarten mögen, da Fürst Metternich zu den talentvollsten Staatsmännern gehörte und auch per¬ sönlich nicht ohne Wohlwollen war. Statt dessen mußte man im Jahr 1848 erkennen, daß die Fundamente des Staatsgebäudes unterwühlt waren. Eine Hand erhob sich gegen die andere, die wahnsinnigsten Entwürfe durchkreuzten sich und niemand konnte mit Gewißheit behaupten, daß er nach Ablauf eines Monats noch bei den nämlichen Ueberzeugungen bleiben würde. In einer so aufgeregten, völlig haltlosen Periode eine organische Verfassung feststellen zu wollen, ist freilich eine Thorheit, und es war vollkommen richtig, ,daß man sich zuletzt darauf resignirte, den Staat militärisch herzustellen und die Ver- fassungsprojecte, mit denen doch nichts anzufangen war, über den Haufen zu werfen. Aber dabei, darf es nicht stehen bleiben, sonst kehren in einem drang¬ vollen Augenblick die alten bösen Zustände zurück, nur noch dadurch verschlim¬ mert, daß alsdann alle constituirten Gewalten gebrochen, alle Mittel der Selbsthilfe aus dem Volke gewichen sein werden. In diesem Augenblick übt die glänzende Persönlichkeit des jungen Kaisers, übt die feste Haltung der Regierung, übt die nationale Richtung der Politik einen mächtigen Einfluß aus. Aber diese Einflüsse sind doch ihrer Natur nach nur momentan, und will die Regierung ihrem großen Werk, der Umwandlung der östreichischen Länder¬ masse in einen östreichischen Staat, Dauer zusichern, so muß sie das Volk dabei betheiligen, sie muß das Volk zu einer Nation umwandeln. Sie hat bisher, was für jede reformirende Regierung nothwendig ist, ein starkes Ver¬ trauen zu sich selbst entwickelt; möge sie jetzt auch Vertrauen zu ihrem Volke zeigen, das dieses Vertrauen wahrlich verdient; dann wird Oestreich auch in Deutschland eine ganz andere Rolle spielen können, und der nothwendige und natürliche Wetteifer mit Preußen um den Einfluß in Deutschland, der sich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/458>, abgerufen am 22.07.2024.