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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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blicks zu einer vollständigen Einheit mit der Negierung fortgerissen. In diesem
Augenblick ist die östreichische Regierung im Stande, eine durchaus konser¬
vative und doch populäre Verfassung zu geben, die seine Stellung den euro¬
päischen Mächten gegenüber und namentlich der noch immer grollenden Revo¬
lution gegenüber auf das erfolgreichste ändern würde.

Wir wiederholen noch einmal, daß wir von den Ständen kein unmittelbares,
wohlthätiges Eingreifen in die Gesetzgebung erwarten, ja wir wollen soviel zu¬
geben, daß sie der Regierug in manchen Punkten ihr Werk erschweren würden;
aber wir halten sie für nothwendig: einmal weil die Regierung ihren Völkern
schuldig ist, für das, was sie ihnen genommen hat, Ersatz zu gewähren; sodann
um die Fortdauer des Staatsprincips über die Dauer der gegenwärtigen Re¬
gierung hinaus zu garantiren.

Daß die Negierung die bestehenden Sonderverfassungen in Ungarn u. s. w.
gebrochen hat, war für die Durchführung ihres Princips nothwendig, und eben¬
darum kann es zu den alten Zuständen nicht wieder zurückkehren. Aber so
schädlich jene Einrichtungen für den Gesammstaat waren, so waren sie doch sür
die Betheiligten ein wirkliches oder eingebildetes Gut, dessen Verlust nicht ver¬
schmerzt werden dürste, wenn dafür nicht etwas Andres geboten wird. Durch
die Hebung des Gemeindclebens, auch durch die Einrichtung von Landesver¬
tretungen nach dem Entwürfe vom Juli 18Se- und durch die Verbesserung der
Bureaukratie kann sehr viel geschehen; aber nicht die Hauptsache. Ganz un¬
genügend ist, was der Verfasser über die Bureaukratie sagt. Daß diese für
das politische Leben nicht allein ausreicht, zeigt der preußische Staat, obgleich
dieser doch im unendlichen Vortheil ist. Denn daß der preußische Beamtenstand
im ganzen genommen, wenn man von den höchsten Stellen absieht, an Bildung,
Gewandtheit dem östreichischen überlegen ist, und außerdem von seinem Amt ein
klareres und festeres Bewußtsein hat, das werden die Oestreicher gewiß selbst
nicht leugnen wollen. Außerdem stehen die preußischen Beamten dem Volk
viel näher, denn sie gehen ja aus demselben hervor und treten aus seinem
Kreise eigentlich nie heraus, während sie in dem bei weitem größeren Theil
der östreichischen Monarchie dem Volk nothwendig fremd sein müssen. Darum
wird auch die Opposition der Landesvertretungen gegen den Beamtenstand,
grade weil beide denselben Gegenstand haben und doch von verschiedenen Stand¬
punkten ausgehen, in Oestreich viel lebhafter sein, sobald die Landesvertretungen
nur einigermaßen das Gefühl von Kraft erlangt haben; und die gedeihliche
Wirksamkeit der Staatsgewalt viel mehr hemmen, als in Preußen. Der Ver¬
fasser stellt es als einen Vorzug auf, daß diese Landesvertretungcn sich nicht
mit politischen Dingen zu befassen haben werden; asiein grade deshalb werden
sie auch kein politisches, kein östreichisches, patriotisches Gefühl im Volk erwe¬
cken, sondern sie werden dasselbe immermehr in kleinstädtische 'Interessen zurück-


Grenzboten IV. -I8si. Z?

blicks zu einer vollständigen Einheit mit der Negierung fortgerissen. In diesem
Augenblick ist die östreichische Regierung im Stande, eine durchaus konser¬
vative und doch populäre Verfassung zu geben, die seine Stellung den euro¬
päischen Mächten gegenüber und namentlich der noch immer grollenden Revo¬
lution gegenüber auf das erfolgreichste ändern würde.

Wir wiederholen noch einmal, daß wir von den Ständen kein unmittelbares,
wohlthätiges Eingreifen in die Gesetzgebung erwarten, ja wir wollen soviel zu¬
geben, daß sie der Regierug in manchen Punkten ihr Werk erschweren würden;
aber wir halten sie für nothwendig: einmal weil die Regierung ihren Völkern
schuldig ist, für das, was sie ihnen genommen hat, Ersatz zu gewähren; sodann
um die Fortdauer des Staatsprincips über die Dauer der gegenwärtigen Re¬
gierung hinaus zu garantiren.

Daß die Negierung die bestehenden Sonderverfassungen in Ungarn u. s. w.
gebrochen hat, war für die Durchführung ihres Princips nothwendig, und eben¬
darum kann es zu den alten Zuständen nicht wieder zurückkehren. Aber so
schädlich jene Einrichtungen für den Gesammstaat waren, so waren sie doch sür
die Betheiligten ein wirkliches oder eingebildetes Gut, dessen Verlust nicht ver¬
schmerzt werden dürste, wenn dafür nicht etwas Andres geboten wird. Durch
die Hebung des Gemeindclebens, auch durch die Einrichtung von Landesver¬
tretungen nach dem Entwürfe vom Juli 18Se- und durch die Verbesserung der
Bureaukratie kann sehr viel geschehen; aber nicht die Hauptsache. Ganz un¬
genügend ist, was der Verfasser über die Bureaukratie sagt. Daß diese für
das politische Leben nicht allein ausreicht, zeigt der preußische Staat, obgleich
dieser doch im unendlichen Vortheil ist. Denn daß der preußische Beamtenstand
im ganzen genommen, wenn man von den höchsten Stellen absieht, an Bildung,
Gewandtheit dem östreichischen überlegen ist, und außerdem von seinem Amt ein
klareres und festeres Bewußtsein hat, das werden die Oestreicher gewiß selbst
nicht leugnen wollen. Außerdem stehen die preußischen Beamten dem Volk
viel näher, denn sie gehen ja aus demselben hervor und treten aus seinem
Kreise eigentlich nie heraus, während sie in dem bei weitem größeren Theil
der östreichischen Monarchie dem Volk nothwendig fremd sein müssen. Darum
wird auch die Opposition der Landesvertretungen gegen den Beamtenstand,
grade weil beide denselben Gegenstand haben und doch von verschiedenen Stand¬
punkten ausgehen, in Oestreich viel lebhafter sein, sobald die Landesvertretungen
nur einigermaßen das Gefühl von Kraft erlangt haben; und die gedeihliche
Wirksamkeit der Staatsgewalt viel mehr hemmen, als in Preußen. Der Ver¬
fasser stellt es als einen Vorzug auf, daß diese Landesvertretungcn sich nicht
mit politischen Dingen zu befassen haben werden; asiein grade deshalb werden
sie auch kein politisches, kein östreichisches, patriotisches Gefühl im Volk erwe¬
cken, sondern sie werden dasselbe immermehr in kleinstädtische 'Interessen zurück-


Grenzboten IV. -I8si. Z?
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[0457] blicks zu einer vollständigen Einheit mit der Negierung fortgerissen. In diesem Augenblick ist die östreichische Regierung im Stande, eine durchaus konser¬ vative und doch populäre Verfassung zu geben, die seine Stellung den euro¬ päischen Mächten gegenüber und namentlich der noch immer grollenden Revo¬ lution gegenüber auf das erfolgreichste ändern würde. Wir wiederholen noch einmal, daß wir von den Ständen kein unmittelbares, wohlthätiges Eingreifen in die Gesetzgebung erwarten, ja wir wollen soviel zu¬ geben, daß sie der Regierug in manchen Punkten ihr Werk erschweren würden; aber wir halten sie für nothwendig: einmal weil die Regierung ihren Völkern schuldig ist, für das, was sie ihnen genommen hat, Ersatz zu gewähren; sodann um die Fortdauer des Staatsprincips über die Dauer der gegenwärtigen Re¬ gierung hinaus zu garantiren. Daß die Negierung die bestehenden Sonderverfassungen in Ungarn u. s. w. gebrochen hat, war für die Durchführung ihres Princips nothwendig, und eben¬ darum kann es zu den alten Zuständen nicht wieder zurückkehren. Aber so schädlich jene Einrichtungen für den Gesammstaat waren, so waren sie doch sür die Betheiligten ein wirkliches oder eingebildetes Gut, dessen Verlust nicht ver¬ schmerzt werden dürste, wenn dafür nicht etwas Andres geboten wird. Durch die Hebung des Gemeindclebens, auch durch die Einrichtung von Landesver¬ tretungen nach dem Entwürfe vom Juli 18Se- und durch die Verbesserung der Bureaukratie kann sehr viel geschehen; aber nicht die Hauptsache. Ganz un¬ genügend ist, was der Verfasser über die Bureaukratie sagt. Daß diese für das politische Leben nicht allein ausreicht, zeigt der preußische Staat, obgleich dieser doch im unendlichen Vortheil ist. Denn daß der preußische Beamtenstand im ganzen genommen, wenn man von den höchsten Stellen absieht, an Bildung, Gewandtheit dem östreichischen überlegen ist, und außerdem von seinem Amt ein klareres und festeres Bewußtsein hat, das werden die Oestreicher gewiß selbst nicht leugnen wollen. Außerdem stehen die preußischen Beamten dem Volk viel näher, denn sie gehen ja aus demselben hervor und treten aus seinem Kreise eigentlich nie heraus, während sie in dem bei weitem größeren Theil der östreichischen Monarchie dem Volk nothwendig fremd sein müssen. Darum wird auch die Opposition der Landesvertretungen gegen den Beamtenstand, grade weil beide denselben Gegenstand haben und doch von verschiedenen Stand¬ punkten ausgehen, in Oestreich viel lebhafter sein, sobald die Landesvertretungen nur einigermaßen das Gefühl von Kraft erlangt haben; und die gedeihliche Wirksamkeit der Staatsgewalt viel mehr hemmen, als in Preußen. Der Ver¬ fasser stellt es als einen Vorzug auf, daß diese Landesvertretungcn sich nicht mit politischen Dingen zu befassen haben werden; asiein grade deshalb werden sie auch kein politisches, kein östreichisches, patriotisches Gefühl im Volk erwe¬ cken, sondern sie werden dasselbe immermehr in kleinstädtische 'Interessen zurück- Grenzboten IV. -I8si. Z?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/457>, abgerufen am 24.08.2024.