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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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geht nicht. Ich schäme mich vor mir selbst, wenn ich die Feder jetzt dazu ansetzen
soll, Ihnen zu berichten, wie Hinz gestern den Helden in einem Birchpfeifferschcn
Schauspiel gespielt oder Kunz die große Arie in Hernaui gesungen hat. Wer
heute noch ein Herz im Leibe hat, das nicht gradezu mit seinem Magen oder
andern Sinnesorganen verwachsen ist, kann sich von dem Interesse an den großen
Tagesfragen nicht losmachen, und zögen ihn auch hundert schöne Balletbeine in die
Höhe oder rissen ihn die bezauberndsten Glockentöne einer Primadonna mit sich
fort. Die Politik hält nun einmal unser ganzes Sinnen und Treiben gefangen.
Wir haben keine Zeit mehr für die Lectüre geistreicher Recensionen über dies, das
und jenes, was vor oder hinter den leinenen Coulissen vorgeht, wir lieben und
putzen uns nicht mehr mit dem Raffinement von ehedem, wir genießen alles, was
dem Gaumen, dem Ohr und dem Ange frommt, nur mit halber Theilnahme, nur
so eben, damit man nicht ganz der reizenden Wirklichkeit enthoben wird. Aber
im Grunde der Seele lauert stets ein verkappter Russe und zwischen den Zeilen
eines Billetdoux voll der innigsten Liebesschwnre ist auch für den ungeschicktesten
Diplomaten ganz deutlich der Wortlaut irgendeiner welterschütternden Note zu
lesen. So würde auch mir heute irgendein politischer Kobold gewiß einen bösen
Streich spielen, wollte ich Ihnen von andern menschlichen Dingen als von Con-
ferenzen und Kriegsrüstungen schreiben. Also lieber gleich zur ernsten Sache. Was
verschiedene Zeitungen von nächst zu eröffnenden Konferenzen in Wien schreiben,
ist eitel Trug und Lüge. Worüber sollte man hier conferiren und wer wollte jetzt
conferiren? Doch nicht über die vier Garantiepunkte, über welche die Wcstmächte
und Oestreich schon solange einig sind, daß die Konferenzen darüber bereits der
Vergessenheit angehören? Oder über die nunmehrige Zustimmung der deutschen
Mächte? Nun, diese wird von den Alliirten als eine abgemachte Sache hingenommen,
welche recht angenehm ist, aber man macht kein zu großes Aufhebens davon. Also
wol über Rußlands Geneigtheit zu Friedenspräliminarien? Aber kann man im
Ernste daran denken, daß die kriegführenden Mächte nach soviel Blutvergießen es
der Mühe werth halten werden, auch nur den leisesten Gedanken an eine Konferenz
zu verschwenden, welche auf nichts basiren könnte als ans die Geneigtheit des
Feindes, im allgemeinen über einen möglichen Frieden zu unterhandeln? Und mehr
als diese allgemeine Versicherung hat das Petersburger Cabinet bisher,
deß können Sie versichert sein, nicht abgegeben. Alles, was sonst von einer
Note oder blendenden Erklärungen in dieser Beziehung mit Absicht ausposaunt wird,
beruht auf der nackten Absicht, dem deutschen Publicum' Saud in die
Augen zu streuen. Man hat in den kleinern bürgerlichen Kreisen Deutschlands,
wo man so liebreich und gemüthlich zusammensitzt und über die Türken, Kosacken
und Zuaven kannegießert, nicht den leisesten Begriff davon, von welchen Intriguen
und großen und kleinen Machinationen gerade diese Kreise, nicht minder als die
Kabinete und Boudoirs der feinen Herren und Damen, umsponnen sind. Ueberall
träufelt der russische Balsam in die Ohren, überall tuller unsichtbare Stimmen aus
dem Norden das friedfertige Gemüth in sanften Schlummer. Glauben Sie mir,
daß ich dies heute nicht ohne gewichtige Gründe erwähne. Man ist hier in guten
Kreisen vollständig im Besitze eines Materials, betreffend die russischen Einflüsse in
den deutschen Ländern, dessen Veröffentlichung, wenn es die Umstände erlaubten,


geht nicht. Ich schäme mich vor mir selbst, wenn ich die Feder jetzt dazu ansetzen
soll, Ihnen zu berichten, wie Hinz gestern den Helden in einem Birchpfeifferschcn
Schauspiel gespielt oder Kunz die große Arie in Hernaui gesungen hat. Wer
heute noch ein Herz im Leibe hat, das nicht gradezu mit seinem Magen oder
andern Sinnesorganen verwachsen ist, kann sich von dem Interesse an den großen
Tagesfragen nicht losmachen, und zögen ihn auch hundert schöne Balletbeine in die
Höhe oder rissen ihn die bezauberndsten Glockentöne einer Primadonna mit sich
fort. Die Politik hält nun einmal unser ganzes Sinnen und Treiben gefangen.
Wir haben keine Zeit mehr für die Lectüre geistreicher Recensionen über dies, das
und jenes, was vor oder hinter den leinenen Coulissen vorgeht, wir lieben und
putzen uns nicht mehr mit dem Raffinement von ehedem, wir genießen alles, was
dem Gaumen, dem Ohr und dem Ange frommt, nur mit halber Theilnahme, nur
so eben, damit man nicht ganz der reizenden Wirklichkeit enthoben wird. Aber
im Grunde der Seele lauert stets ein verkappter Russe und zwischen den Zeilen
eines Billetdoux voll der innigsten Liebesschwnre ist auch für den ungeschicktesten
Diplomaten ganz deutlich der Wortlaut irgendeiner welterschütternden Note zu
lesen. So würde auch mir heute irgendein politischer Kobold gewiß einen bösen
Streich spielen, wollte ich Ihnen von andern menschlichen Dingen als von Con-
ferenzen und Kriegsrüstungen schreiben. Also lieber gleich zur ernsten Sache. Was
verschiedene Zeitungen von nächst zu eröffnenden Konferenzen in Wien schreiben,
ist eitel Trug und Lüge. Worüber sollte man hier conferiren und wer wollte jetzt
conferiren? Doch nicht über die vier Garantiepunkte, über welche die Wcstmächte
und Oestreich schon solange einig sind, daß die Konferenzen darüber bereits der
Vergessenheit angehören? Oder über die nunmehrige Zustimmung der deutschen
Mächte? Nun, diese wird von den Alliirten als eine abgemachte Sache hingenommen,
welche recht angenehm ist, aber man macht kein zu großes Aufhebens davon. Also
wol über Rußlands Geneigtheit zu Friedenspräliminarien? Aber kann man im
Ernste daran denken, daß die kriegführenden Mächte nach soviel Blutvergießen es
der Mühe werth halten werden, auch nur den leisesten Gedanken an eine Konferenz
zu verschwenden, welche auf nichts basiren könnte als ans die Geneigtheit des
Feindes, im allgemeinen über einen möglichen Frieden zu unterhandeln? Und mehr
als diese allgemeine Versicherung hat das Petersburger Cabinet bisher,
deß können Sie versichert sein, nicht abgegeben. Alles, was sonst von einer
Note oder blendenden Erklärungen in dieser Beziehung mit Absicht ausposaunt wird,
beruht auf der nackten Absicht, dem deutschen Publicum' Saud in die
Augen zu streuen. Man hat in den kleinern bürgerlichen Kreisen Deutschlands,
wo man so liebreich und gemüthlich zusammensitzt und über die Türken, Kosacken
und Zuaven kannegießert, nicht den leisesten Begriff davon, von welchen Intriguen
und großen und kleinen Machinationen gerade diese Kreise, nicht minder als die
Kabinete und Boudoirs der feinen Herren und Damen, umsponnen sind. Ueberall
träufelt der russische Balsam in die Ohren, überall tuller unsichtbare Stimmen aus
dem Norden das friedfertige Gemüth in sanften Schlummer. Glauben Sie mir,
daß ich dies heute nicht ohne gewichtige Gründe erwähne. Man ist hier in guten
Kreisen vollständig im Besitze eines Materials, betreffend die russischen Einflüsse in
den deutschen Ländern, dessen Veröffentlichung, wenn es die Umstände erlaubten,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/444>, abgerufen am 29.12.2024.