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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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einen gesunden Körper verlangt, ist schon ein altes Sprichwort, und jedes Be¬
streben, die Gesundheit der Menschen zu verbessern, arbeitet auch für die Ver¬
besserung der Wissenschaft, --

Die Sammlung "Aus der Natur" haben wir bereits in ihren frühern
Lieferungen angezeigt. Auch das gegenwärtige Hest entspricht vollkommen der
würdigen Stellung, die das ganze Werk einnimmt, und ist ebenso gründlich in
seiner wissenschaftlichen Haltung, als ansprechend in seinem Inhalt. --

Die Schrift von Neimann ist vorzugsweise zum Lesebuch für Schulen be¬
stimmt. Sie enthält eine Beschreibung der> sämmtlichen Naturerscheinungen,
welche uns in unmittelbarster Gegenwart berühren, in einer sehr anschaulichen
Darstellung, an der wir nur das eine auszusetzen haben, daß sie nicht immer
einfach genug ist. Nach unsrer Ansicht hat der Lehrer nichts weiter zu thun,
als die Wunder der Schöpfung in ihrer Mannigfaltigkeit und ihrem Zusammen¬
hang dem Schüler klar und deutlich vorzulegen; die Gemüthsbewegungen, die
daraus entspringen sollen, kann man füglich dem natürlichen Eindruck überlassen.
Im übrigen ist das Buch aber sehr empfehlenswert!), und wenn wir es mit
Schriften ähnlicher Art vergleichen, die vor 20 bis 23 Jahren in den Schulen
gäng und gebe waren, so wird uns recht deutlich, wie sehr sich der Sinn und
das Verständniß für das wirkliche Leben in dieser Zeit geschärft und ent¬
wickelt hat. --

Ein sehr geistvolles kleines Werk ist die Schrift, die wir zuletzt angeführt
haben. Es ist noch nicht lange her, daß wir auf eine ähnliche Schrift von
Herrn Goldschmidt aufmerksam machten, über die Volksmedicin im Großherzog-
thum Oldenburg. Die gegenwärtige Schrift, die ihr würdig zur Seite steht,
bemüht sich, nachzuweisen, wie die gegenwärtigen Fortschritte in der Natur¬
kunde und in der Aufklärung überhaupt auf die gesellschaftliche Stellung des¬
jenigen Standes, in dessen Lebensweise, Beschäftigung und Ansicht sie am un¬
mittelbarsten eingreifen mußten, keinen ganz vortheilhaften Einfluß ausgeübt
haben. Früher standen die Aerzte dem Publicum mit der Würde deS Priester-
thums gegenüber. Diese Unnahbarkeit machte sie bald zu komischen Personen,
sobald die Ehrfurcht vor dem Dunklen und Mystischen sich überhaupt verlor,
und indem bei dem Fortschritt der Wissenschaft die verschiedenen Schulen und
Sekten der Medicin sich an das Publicum wendeten" es gleichsam zum Richter
in einer wissenschaftlichen Streitfrage machen mußten, ging es dem Stande der
Aerzte wie dem Staude der protestantischen Geistlichen:' ein jeder Laie gab seine
Kritik über ihn ab, und das drückende Gefühl der Concurrenz trieb wieder zu
einer neuen Methode der Marktschreierei. Als besonders schädlich stellt der
Verfasser den Einfluß der Homöopathie dar. "Hier wurde die Charlatanerie,
die Unwissenheit in ein System gebracht und als eine besondere Heilkunde ge¬
lehrt und weitcrgetragen, und die ganze Wissenschaft der Heilkunde geleugnet


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einen gesunden Körper verlangt, ist schon ein altes Sprichwort, und jedes Be¬
streben, die Gesundheit der Menschen zu verbessern, arbeitet auch für die Ver¬
besserung der Wissenschaft, —

Die Sammlung „Aus der Natur" haben wir bereits in ihren frühern
Lieferungen angezeigt. Auch das gegenwärtige Hest entspricht vollkommen der
würdigen Stellung, die das ganze Werk einnimmt, und ist ebenso gründlich in
seiner wissenschaftlichen Haltung, als ansprechend in seinem Inhalt. —

Die Schrift von Neimann ist vorzugsweise zum Lesebuch für Schulen be¬
stimmt. Sie enthält eine Beschreibung der> sämmtlichen Naturerscheinungen,
welche uns in unmittelbarster Gegenwart berühren, in einer sehr anschaulichen
Darstellung, an der wir nur das eine auszusetzen haben, daß sie nicht immer
einfach genug ist. Nach unsrer Ansicht hat der Lehrer nichts weiter zu thun,
als die Wunder der Schöpfung in ihrer Mannigfaltigkeit und ihrem Zusammen¬
hang dem Schüler klar und deutlich vorzulegen; die Gemüthsbewegungen, die
daraus entspringen sollen, kann man füglich dem natürlichen Eindruck überlassen.
Im übrigen ist das Buch aber sehr empfehlenswert!), und wenn wir es mit
Schriften ähnlicher Art vergleichen, die vor 20 bis 23 Jahren in den Schulen
gäng und gebe waren, so wird uns recht deutlich, wie sehr sich der Sinn und
das Verständniß für das wirkliche Leben in dieser Zeit geschärft und ent¬
wickelt hat. —

Ein sehr geistvolles kleines Werk ist die Schrift, die wir zuletzt angeführt
haben. Es ist noch nicht lange her, daß wir auf eine ähnliche Schrift von
Herrn Goldschmidt aufmerksam machten, über die Volksmedicin im Großherzog-
thum Oldenburg. Die gegenwärtige Schrift, die ihr würdig zur Seite steht,
bemüht sich, nachzuweisen, wie die gegenwärtigen Fortschritte in der Natur¬
kunde und in der Aufklärung überhaupt auf die gesellschaftliche Stellung des¬
jenigen Standes, in dessen Lebensweise, Beschäftigung und Ansicht sie am un¬
mittelbarsten eingreifen mußten, keinen ganz vortheilhaften Einfluß ausgeübt
haben. Früher standen die Aerzte dem Publicum mit der Würde deS Priester-
thums gegenüber. Diese Unnahbarkeit machte sie bald zu komischen Personen,
sobald die Ehrfurcht vor dem Dunklen und Mystischen sich überhaupt verlor,
und indem bei dem Fortschritt der Wissenschaft die verschiedenen Schulen und
Sekten der Medicin sich an das Publicum wendeten» es gleichsam zum Richter
in einer wissenschaftlichen Streitfrage machen mußten, ging es dem Stande der
Aerzte wie dem Staude der protestantischen Geistlichen:' ein jeder Laie gab seine
Kritik über ihn ab, und das drückende Gefühl der Concurrenz trieb wieder zu
einer neuen Methode der Marktschreierei. Als besonders schädlich stellt der
Verfasser den Einfluß der Homöopathie dar. „Hier wurde die Charlatanerie,
die Unwissenheit in ein System gebracht und als eine besondere Heilkunde ge¬
lehrt und weitcrgetragen, und die ganze Wissenschaft der Heilkunde geleugnet


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/427>, abgerufen am 22.07.2024.