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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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then Mrs. Jones, und den zahllosen kleinen Joneses, die sich jeden Abend
um seinen Theetisch gruppiren, heute triumphirend mit dem Bleistift in der
Hand nachweist, daß jeder Soldat von den Aliirten -- "(-06 Klsss tlrsm" --
einen und einen vierzehntel Russen todt gemacht haben muß. Das schwere
Geschütz und mehr als dieses die Miuiebüchse muß furchtbar gewirthschaftet
haben, aber den Ausschlag gab das Bajonett. Man denkt unwillkürlich an
Waterloo, obwol weder in den verwendeten Truppenkörpern noch im Ter¬
rain beider Schlachten die geringste Aehnlichkeit herrscht. Aber im Geiste sehe
ich die englischen Garden hier wie dort stehen und vordringen und fallen, und
die Russen wie sie colonnenweise anbringen und weichen und neuen Colonnen
Platz machen, die wieder weichen müssen, bis Blücher-Bosquet mit seinen
Zuaven auf dem Hügelkamin erscheint, und den Tag gegen die Russen ent¬
scheidet. Was da alles dazwischen liegt! Stoff zum Nachdenken in solcher
Fülle, daß er auf jedes Menschengehirn in Europa zu gleichen Theilen ver¬
theilt, noch immer hinreichen würde, ganz Europa toll zu machen.

England hat ein neues Unrecht auf seine Truppen stolz zu sein, und diese
haben ein verdoppeltes Recht von der Negierung zu fordern, daß sie ihre Schul¬
digkeit thue und mit den Verstärkungen nicht geize. Stärker als je ist nach
diesem Schlachtenbericht meine Ueberzeugung, daß es dem Fürsten Menschikoff
nicht gelingen wird, das kleine Häuflein in die See zu werfen. Nicht bis zum
13. November, nicht bis zum Januar. Nein niemals. Sebastopol ist geliefert,
trotz seiner tausend Geschütze und der fallenden Wiener Wechselcurse.

Eines fürchte ich -- daß man Lord Raglan tadeln wird, und wie mir
scheint, leider mit Recht. Am 3. schon und früher -- das weiß man hier
aus Privatberichten -- wurde er vom tapfern Sir De Lacy Evans darauf auf¬
merksam gemacht, daß die Position auf der rechten Flanke durch ein paar Bat¬
terien besser gedeckt werden sollte. Raglans Berichte nach zu schließen war
diese Vorsichtsmaßregel vernachlässigt worden. Bewährt sich dieser Verdacht,
so lastet eine große Verantwortlichkeit auf ihm. Doch grade heute wäre es
doppelte Sünde vorschnell zu urtheilen. Drum weg mit diesen kritischen Gedanken.

Sir De Lacy Evans, der Bravste der Braven, schlich aus dem Bette, wo
er schwer krank lag, aufs Schlachtfeld, als der Kanonendonner in seine Kajüte
drang. Er konnte zwar nicht zu Pferde sitzen, nicht commandiren, aber er
wollte den Deutschen zeigen, daß man im Unterhause sehr radical sprechen, die
Regierung einmal übers andere aufs heftigste angreifen und dabei doch ein
wackerer General sein kann. Als die Schlacht vorbei war, ließ er sich wieder
in sein Bett hinab, in den Hafen von Balaklava tragen, und wenn der Krieg
vorbei ist, wird er hoffentlich wieder sehr radical gegen die Mißbräuche in den
Regierungsbureaus sprechen. -- Strangways, der "clarlwx c>la in-rum", wie
er im Lager allgemein hieß, starb als freundlicher Gentleman, wie er gelebt


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then Mrs. Jones, und den zahllosen kleinen Joneses, die sich jeden Abend
um seinen Theetisch gruppiren, heute triumphirend mit dem Bleistift in der
Hand nachweist, daß jeder Soldat von den Aliirten — „(-06 Klsss tlrsm" —
einen und einen vierzehntel Russen todt gemacht haben muß. Das schwere
Geschütz und mehr als dieses die Miuiebüchse muß furchtbar gewirthschaftet
haben, aber den Ausschlag gab das Bajonett. Man denkt unwillkürlich an
Waterloo, obwol weder in den verwendeten Truppenkörpern noch im Ter¬
rain beider Schlachten die geringste Aehnlichkeit herrscht. Aber im Geiste sehe
ich die englischen Garden hier wie dort stehen und vordringen und fallen, und
die Russen wie sie colonnenweise anbringen und weichen und neuen Colonnen
Platz machen, die wieder weichen müssen, bis Blücher-Bosquet mit seinen
Zuaven auf dem Hügelkamin erscheint, und den Tag gegen die Russen ent¬
scheidet. Was da alles dazwischen liegt! Stoff zum Nachdenken in solcher
Fülle, daß er auf jedes Menschengehirn in Europa zu gleichen Theilen ver¬
theilt, noch immer hinreichen würde, ganz Europa toll zu machen.

England hat ein neues Unrecht auf seine Truppen stolz zu sein, und diese
haben ein verdoppeltes Recht von der Negierung zu fordern, daß sie ihre Schul¬
digkeit thue und mit den Verstärkungen nicht geize. Stärker als je ist nach
diesem Schlachtenbericht meine Ueberzeugung, daß es dem Fürsten Menschikoff
nicht gelingen wird, das kleine Häuflein in die See zu werfen. Nicht bis zum
13. November, nicht bis zum Januar. Nein niemals. Sebastopol ist geliefert,
trotz seiner tausend Geschütze und der fallenden Wiener Wechselcurse.

Eines fürchte ich — daß man Lord Raglan tadeln wird, und wie mir
scheint, leider mit Recht. Am 3. schon und früher — das weiß man hier
aus Privatberichten — wurde er vom tapfern Sir De Lacy Evans darauf auf¬
merksam gemacht, daß die Position auf der rechten Flanke durch ein paar Bat¬
terien besser gedeckt werden sollte. Raglans Berichte nach zu schließen war
diese Vorsichtsmaßregel vernachlässigt worden. Bewährt sich dieser Verdacht,
so lastet eine große Verantwortlichkeit auf ihm. Doch grade heute wäre es
doppelte Sünde vorschnell zu urtheilen. Drum weg mit diesen kritischen Gedanken.

Sir De Lacy Evans, der Bravste der Braven, schlich aus dem Bette, wo
er schwer krank lag, aufs Schlachtfeld, als der Kanonendonner in seine Kajüte
drang. Er konnte zwar nicht zu Pferde sitzen, nicht commandiren, aber er
wollte den Deutschen zeigen, daß man im Unterhause sehr radical sprechen, die
Regierung einmal übers andere aufs heftigste angreifen und dabei doch ein
wackerer General sein kann. Als die Schlacht vorbei war, ließ er sich wieder
in sein Bett hinab, in den Hafen von Balaklava tragen, und wenn der Krieg
vorbei ist, wird er hoffentlich wieder sehr radical gegen die Mißbräuche in den
Regierungsbureaus sprechen. — Strangways, der „clarlwx c>la in-rum", wie
er im Lager allgemein hieß, starb als freundlicher Gentleman, wie er gelebt


S0*
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/403>, abgerufen am 29.12.2024.