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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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Wir wollten längst schon eine Monographie der Pariser Portiers schreiben,
allein wir schreckten jedes Mal vor der Schwierigkeit dieser Aufgabe zurück.
Die deutschen Touristen, die über Paris geschrieben haben, liefern fast alle
Beiträge zur Geschichte dieser naturhistorisch-etnographischen Merkwürdigkeit, aber
sie schildern meist einzelne Exemplare, wie sie selbe sozusagen im Fluge studirt
haben. Die Concierges in einem Hotel meublv, in dem Touristen gewöhnlich
ihren Sitz aufschlagen, sind nämlich blos eine Abart, welche keinen richtigen
Blick in die wahre Natur dieser Herrscher von Paris gestattet. Der Concierge
eines Hotel meuble ist ein mediatisirter Fürst, der blos seinen Gehalt bezieht
und den leeren Titel einer erträumten Macht führt. Er ist ein Diener der
Vermietherin und nicht die Leibgarde des Hauseigenthümers. Die Vermietherin
aber hängt von den Launen der Fremden ab, sie muß diese zu gewinnen, allen
ihren Gewohnheiten und Phantasien zu schmeicheln wissen und der Concierge
ist ein serviler Abklatsch dieser interessirten Dienstbereitwilligkeit, dieser lackirten
Gutmüthigkeit, hinter welche sich der schmuzigste Eigennutz verbirgt. Der
Concierge des Hotel meubls kann mit keiner Aufkündigung drohen, nachdem
man sich die Wände mit neuen Tapeten bekleben ließ, nachdem man sich in
einem Hause warm eingenistet hat. Der Concierge der Maisons garnies ist
eine kosmopolitische Sparbüchse, in welche Trinkgelder aus allen Weltgegenden
fallen, und sie klingt munter jedem Groschen entgegen, der zu ihrer Füllung
beiträgt. Der Concierge der Maisons garnies ist wie der Beichtvater von
Gefangenen, wie eine' Krankenwärterin, er ist darauf angewiesen, schnell Ver¬
trauen zu gewinnen und innige Freundschaft zu schließen, um sie ebenso schnell
zu vergessen. Der Fremde wird dupirt und der gemüthliche Deutsche entwirft
gerührt ein reizendes Bild von der theilnehmenden und wohlthuenden Gestalt
des Herrn und Madame Jacotot. Wieweit aber ist von diesem zu dem Cherub
mit der Klingelschnur, der uns vor dem Thore unsres Paradieses im Winter
zappeln und im Sommer die Sterne bewundern läßt!

Daß aber der Concierge auch der möblirten Häuser die Aufmerksamkeit
des Fremden auf sich zieht, ist natürlich, denn er theilt mit dem Genus der
Portiers die Eigenschaft des Parisers. Der Concierge ist Pariser par exosUsnos.
Die Minister, Künstler, Journalisten, Bankiers, Magistrate, hohe Offiziere,
Wechselagcnten und Loretten recrutiren sich auch und zum größern Theile aus
der Provinz oder aus der Fremde. Der Portier ist gebürtiger und geborner
Pariser. Man erzählt sich Beispiele von staatsmüden Concierges, die sich in
die Heimlichkeit des Landlebens zurückgezogen haben, aber es gibt keinen Fall
von einem Concierge, der aus der Provinz nach Paris gekommen wäre.
Ein anderer Grund, warum die Conciergefamilie selten verfehlt, einen ge¬
wissen Eindruck auf den Fremden zu machen, ist der, daß der Concierge
gewöhnlich eine gefallene Größe ist, ein zugrundegerichteter Kaufmann, ein


Grenzboten. IV. 48tu>. 49

Wir wollten längst schon eine Monographie der Pariser Portiers schreiben,
allein wir schreckten jedes Mal vor der Schwierigkeit dieser Aufgabe zurück.
Die deutschen Touristen, die über Paris geschrieben haben, liefern fast alle
Beiträge zur Geschichte dieser naturhistorisch-etnographischen Merkwürdigkeit, aber
sie schildern meist einzelne Exemplare, wie sie selbe sozusagen im Fluge studirt
haben. Die Concierges in einem Hotel meublv, in dem Touristen gewöhnlich
ihren Sitz aufschlagen, sind nämlich blos eine Abart, welche keinen richtigen
Blick in die wahre Natur dieser Herrscher von Paris gestattet. Der Concierge
eines Hotel meuble ist ein mediatisirter Fürst, der blos seinen Gehalt bezieht
und den leeren Titel einer erträumten Macht führt. Er ist ein Diener der
Vermietherin und nicht die Leibgarde des Hauseigenthümers. Die Vermietherin
aber hängt von den Launen der Fremden ab, sie muß diese zu gewinnen, allen
ihren Gewohnheiten und Phantasien zu schmeicheln wissen und der Concierge
ist ein serviler Abklatsch dieser interessirten Dienstbereitwilligkeit, dieser lackirten
Gutmüthigkeit, hinter welche sich der schmuzigste Eigennutz verbirgt. Der
Concierge des Hotel meubls kann mit keiner Aufkündigung drohen, nachdem
man sich die Wände mit neuen Tapeten bekleben ließ, nachdem man sich in
einem Hause warm eingenistet hat. Der Concierge der Maisons garnies ist
eine kosmopolitische Sparbüchse, in welche Trinkgelder aus allen Weltgegenden
fallen, und sie klingt munter jedem Groschen entgegen, der zu ihrer Füllung
beiträgt. Der Concierge der Maisons garnies ist wie der Beichtvater von
Gefangenen, wie eine' Krankenwärterin, er ist darauf angewiesen, schnell Ver¬
trauen zu gewinnen und innige Freundschaft zu schließen, um sie ebenso schnell
zu vergessen. Der Fremde wird dupirt und der gemüthliche Deutsche entwirft
gerührt ein reizendes Bild von der theilnehmenden und wohlthuenden Gestalt
des Herrn und Madame Jacotot. Wieweit aber ist von diesem zu dem Cherub
mit der Klingelschnur, der uns vor dem Thore unsres Paradieses im Winter
zappeln und im Sommer die Sterne bewundern läßt!

Daß aber der Concierge auch der möblirten Häuser die Aufmerksamkeit
des Fremden auf sich zieht, ist natürlich, denn er theilt mit dem Genus der
Portiers die Eigenschaft des Parisers. Der Concierge ist Pariser par exosUsnos.
Die Minister, Künstler, Journalisten, Bankiers, Magistrate, hohe Offiziere,
Wechselagcnten und Loretten recrutiren sich auch und zum größern Theile aus
der Provinz oder aus der Fremde. Der Portier ist gebürtiger und geborner
Pariser. Man erzählt sich Beispiele von staatsmüden Concierges, die sich in
die Heimlichkeit des Landlebens zurückgezogen haben, aber es gibt keinen Fall
von einem Concierge, der aus der Provinz nach Paris gekommen wäre.
Ein anderer Grund, warum die Conciergefamilie selten verfehlt, einen ge¬
wissen Eindruck auf den Fremden zu machen, ist der, daß der Concierge
gewöhnlich eine gefallene Größe ist, ein zugrundegerichteter Kaufmann, ein


Grenzboten. IV. 48tu>. 49
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[0393] Wir wollten längst schon eine Monographie der Pariser Portiers schreiben, allein wir schreckten jedes Mal vor der Schwierigkeit dieser Aufgabe zurück. Die deutschen Touristen, die über Paris geschrieben haben, liefern fast alle Beiträge zur Geschichte dieser naturhistorisch-etnographischen Merkwürdigkeit, aber sie schildern meist einzelne Exemplare, wie sie selbe sozusagen im Fluge studirt haben. Die Concierges in einem Hotel meublv, in dem Touristen gewöhnlich ihren Sitz aufschlagen, sind nämlich blos eine Abart, welche keinen richtigen Blick in die wahre Natur dieser Herrscher von Paris gestattet. Der Concierge eines Hotel meuble ist ein mediatisirter Fürst, der blos seinen Gehalt bezieht und den leeren Titel einer erträumten Macht führt. Er ist ein Diener der Vermietherin und nicht die Leibgarde des Hauseigenthümers. Die Vermietherin aber hängt von den Launen der Fremden ab, sie muß diese zu gewinnen, allen ihren Gewohnheiten und Phantasien zu schmeicheln wissen und der Concierge ist ein serviler Abklatsch dieser interessirten Dienstbereitwilligkeit, dieser lackirten Gutmüthigkeit, hinter welche sich der schmuzigste Eigennutz verbirgt. Der Concierge des Hotel meubls kann mit keiner Aufkündigung drohen, nachdem man sich die Wände mit neuen Tapeten bekleben ließ, nachdem man sich in einem Hause warm eingenistet hat. Der Concierge der Maisons garnies ist eine kosmopolitische Sparbüchse, in welche Trinkgelder aus allen Weltgegenden fallen, und sie klingt munter jedem Groschen entgegen, der zu ihrer Füllung beiträgt. Der Concierge der Maisons garnies ist wie der Beichtvater von Gefangenen, wie eine' Krankenwärterin, er ist darauf angewiesen, schnell Ver¬ trauen zu gewinnen und innige Freundschaft zu schließen, um sie ebenso schnell zu vergessen. Der Fremde wird dupirt und der gemüthliche Deutsche entwirft gerührt ein reizendes Bild von der theilnehmenden und wohlthuenden Gestalt des Herrn und Madame Jacotot. Wieweit aber ist von diesem zu dem Cherub mit der Klingelschnur, der uns vor dem Thore unsres Paradieses im Winter zappeln und im Sommer die Sterne bewundern läßt! Daß aber der Concierge auch der möblirten Häuser die Aufmerksamkeit des Fremden auf sich zieht, ist natürlich, denn er theilt mit dem Genus der Portiers die Eigenschaft des Parisers. Der Concierge ist Pariser par exosUsnos. Die Minister, Künstler, Journalisten, Bankiers, Magistrate, hohe Offiziere, Wechselagcnten und Loretten recrutiren sich auch und zum größern Theile aus der Provinz oder aus der Fremde. Der Portier ist gebürtiger und geborner Pariser. Man erzählt sich Beispiele von staatsmüden Concierges, die sich in die Heimlichkeit des Landlebens zurückgezogen haben, aber es gibt keinen Fall von einem Concierge, der aus der Provinz nach Paris gekommen wäre. Ein anderer Grund, warum die Conciergefamilie selten verfehlt, einen ge¬ wissen Eindruck auf den Fremden zu machen, ist der, daß der Concierge gewöhnlich eine gefallene Größe ist, ein zugrundegerichteter Kaufmann, ein Grenzboten. IV. 48tu>. 49

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/393>, abgerufen am 02.10.2024.