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Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band.

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tausig auch dem Kriege zugeschrieben wird) Kriegs- und politische Zukunfts¬
pläne macht, sitzt er daheim im Lehnstuhl und studirt emsig den Siscle oder
die Patrie. Die Frau schmollt in einem Winkel und verwünscht die Männer
mit ihrer Knegsleidenschaft und seufzt über Sebastopol, daß aus dem Selbst¬
beherrscher aller fünf Stockwerke auch noch einen Autokraten des kleinen Haus¬
wesens in der heimlichen finstern Loge macht, in welcher sonst gemüthlich
Canaans über die sämmtlichen Bewohner der Straße erzählt, nach Umständen
erdichtet wurden. Die gute Frau muß sich wie ein Dramenheid mit Monologen
behelfen, während sie über den Suppentopf wacht. Der Mann bleibt mit
imponirender Würde an seinem Staatsgeschäfte und paukt sich gewissenhaft die
Argumente ein, welche ihm die Egeria seiner politischen Weisheit in so reichem
Maße darbietet. Seit die Presse nicht mehr frei ist, wird mit großem Ernst
nicht nur das discutirt, was gesagt wird, unsre pfiffigen Haushunde, welche
mit ihrer Glockenschnur an die Loge gebunden sind, schnüffeln mit lobenswerthem
Eifer zwischen den Zeilen herum, ob nicht irgendwo ein inedirter Knochen auf¬
zuschnappen wäre, an dem der Gegner in der Schenke sich einen Zahn aus-
brechen könnte. Der Inwohner ist gewiß, die Loge offen zu finden, so spät er
auch heimkommen mag -- der Concierge wacht gegen seine Gewohnheit, er
reicht uns ebenfalls gegen seine Gewohnheit mit freundlicher Zuvorkommenheit
das Licht und sucht unter allerlei Vorwänden ein Gespräch über die Zustände
und Vorgänge des Moments mit uns anzuknüpfen. Cerbera dehnt sich mit
ungern errungener Bequemlichkeit in dem breiten Himmelbette aus. Sie schläft
den Schlaf der Gerechten, nachdem sie mit vergeblicher Beredtsamkeit das Un¬
nütze und Schädliche der nächtlichen Journallectüre und Kannegießerei ihrem
verstockten Politikus zu schildern versucht hatte. Alles was sie gewinnt, ist,
sich selbst in den Schlaf zu demonstriren. Abermals wehe dem Bewohner,
welcher ohne sich von dem eil, Kien, monsisur, 11 parat "zus esta va mal angeln
zu lassen in sein Bette zu kommen sucht. Er wird in den Bann gethan --
für ihn vergißt der Auvergnat den Wassertag, ihm geht das Holz aus, er
wird wie ein Stiefkind behandelt, er muß Hiobsleidcn ausstehen. Schreiber
dieser Zeilen zollt mit bewunderungswürdiger Geduld den unvermeidlichen Zoll
der häuslichen Ruhe, diese Holz- und Wasserstcuer. Er liest ohne Murren
sein fettes oder rußiges Journal, er hat die Feigheit soweit getrieben, sich
bei seiner Hauspolizei zu entschuldigen, daß er zuweilen Journale in englischer
oder deutscher Sprache zugeschickt bekommt, die leider dem wißbegierigen Portier
(ich hoffe, er liest es nicht, daß ich vergessen habe, Concierge zu schreiben)
nicht zugänglich sind. Es ließe sich eine interessante Abhandlung schreiben
über den Zusammenhang der hiesigen Conciergeeinrichtung mit dem politischen
Absolutismus, der sich unter den Regierungen aller Parteien und jeder Form
in Paris, also in Frankreich, geltendmacht.


tausig auch dem Kriege zugeschrieben wird) Kriegs- und politische Zukunfts¬
pläne macht, sitzt er daheim im Lehnstuhl und studirt emsig den Siscle oder
die Patrie. Die Frau schmollt in einem Winkel und verwünscht die Männer
mit ihrer Knegsleidenschaft und seufzt über Sebastopol, daß aus dem Selbst¬
beherrscher aller fünf Stockwerke auch noch einen Autokraten des kleinen Haus¬
wesens in der heimlichen finstern Loge macht, in welcher sonst gemüthlich
Canaans über die sämmtlichen Bewohner der Straße erzählt, nach Umständen
erdichtet wurden. Die gute Frau muß sich wie ein Dramenheid mit Monologen
behelfen, während sie über den Suppentopf wacht. Der Mann bleibt mit
imponirender Würde an seinem Staatsgeschäfte und paukt sich gewissenhaft die
Argumente ein, welche ihm die Egeria seiner politischen Weisheit in so reichem
Maße darbietet. Seit die Presse nicht mehr frei ist, wird mit großem Ernst
nicht nur das discutirt, was gesagt wird, unsre pfiffigen Haushunde, welche
mit ihrer Glockenschnur an die Loge gebunden sind, schnüffeln mit lobenswerthem
Eifer zwischen den Zeilen herum, ob nicht irgendwo ein inedirter Knochen auf¬
zuschnappen wäre, an dem der Gegner in der Schenke sich einen Zahn aus-
brechen könnte. Der Inwohner ist gewiß, die Loge offen zu finden, so spät er
auch heimkommen mag — der Concierge wacht gegen seine Gewohnheit, er
reicht uns ebenfalls gegen seine Gewohnheit mit freundlicher Zuvorkommenheit
das Licht und sucht unter allerlei Vorwänden ein Gespräch über die Zustände
und Vorgänge des Moments mit uns anzuknüpfen. Cerbera dehnt sich mit
ungern errungener Bequemlichkeit in dem breiten Himmelbette aus. Sie schläft
den Schlaf der Gerechten, nachdem sie mit vergeblicher Beredtsamkeit das Un¬
nütze und Schädliche der nächtlichen Journallectüre und Kannegießerei ihrem
verstockten Politikus zu schildern versucht hatte. Alles was sie gewinnt, ist,
sich selbst in den Schlaf zu demonstriren. Abermals wehe dem Bewohner,
welcher ohne sich von dem eil, Kien, monsisur, 11 parat «zus esta va mal angeln
zu lassen in sein Bette zu kommen sucht. Er wird in den Bann gethan —
für ihn vergißt der Auvergnat den Wassertag, ihm geht das Holz aus, er
wird wie ein Stiefkind behandelt, er muß Hiobsleidcn ausstehen. Schreiber
dieser Zeilen zollt mit bewunderungswürdiger Geduld den unvermeidlichen Zoll
der häuslichen Ruhe, diese Holz- und Wasserstcuer. Er liest ohne Murren
sein fettes oder rußiges Journal, er hat die Feigheit soweit getrieben, sich
bei seiner Hauspolizei zu entschuldigen, daß er zuweilen Journale in englischer
oder deutscher Sprache zugeschickt bekommt, die leider dem wißbegierigen Portier
(ich hoffe, er liest es nicht, daß ich vergessen habe, Concierge zu schreiben)
nicht zugänglich sind. Es ließe sich eine interessante Abhandlung schreiben
über den Zusammenhang der hiesigen Conciergeeinrichtung mit dem politischen
Absolutismus, der sich unter den Regierungen aller Parteien und jeder Form
in Paris, also in Frankreich, geltendmacht.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 13, 1854, II. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341578_96706/392>, abgerufen am 22.07.2024.